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»Verdammt noch mal, passen Sie doch auf!« schimpfte - nein, schrie - sie. Eine Sekunde lang blickte sie mit zornesrotem Gesicht auf den häßlichen Fleck hinab, der sich auf ihrem - Atons Meinung nach sowieso ziemlich geschmacklosen - Leopardenmantel ausbreitete, dann heftete sie ihre Augen wieder auf den jungen Mann, der vor lauter Verlegenheit gar nicht wußte, was er tun sollte. »Sie blöder Trottel!« giftete sie.

Der junge Mann schien in seinem Stuhl ein Stück zusammenzuschrumpfen. »Es ... es tut mir schrecklich leid«, sagte er. »Ich werde den Schaden selbstverständlich -«

»Schaden! Papperlapapp!« unterbrach ihn die Frau. »Wenn Sie zu dämlich sind, eine Tasse Kaffee zu trinken, dann arbeiten Sie doch bei der Müllabfuhr!«

Aton riß erstaunt die Augen auf, und aus dem Gesicht des unglückseligen Angestellten wich das letzte bißchen Farbe. Aton konnte den Zorn der Frau zwar verstehen, nicht aber ihre völlig übersteigerte Reaktion. Plötzlich beugte sie sich vor, funkelte den jungen Mann wutentbrannt an - und fegte mit einer einzigen Bewegung alles, was sich noch auf dem Tisch befand, zu Boden, einschließlich des Telefons und einer zweiten Tasse, die klirrend zerbrach.

»So!« sagte sie triumphierend. »Da sehen Sie, wie es ist, wenn man es mit Idioten zu tun hat!« Damit warf sie den Kopf in den Nacken, drehte sich herum und verließ im Laufschritt den Laden. Der junge Mann blickte ihr betroffen nach - aber Aton sah auch die Wut, die in seinen Augen erwachte. Plötzlich wirkte seine ganze Haltung angespannt. Er richtete sich halb im Sessel auf, und für eine Sekunde war Aton davon überzeugt, daß er aufspringen und der Frau hinterherlaufen würde, um den Streit draußen auf der Straße fortzusetzen. Aber dann ließ er sich wieder zurücksinken und versetzte statt dessen seinem Schreibtisch einen zornigen Fußtritt. »Blöde Kuh!« sagte er.

Aton, dem die ganze Geschichte mehr als peinlich war, wandte sich wieder zu der jungen Frau auf der anderen Seite des Tisches um - und blickte in ein Gesicht, aus dem mittlerweile auch die letzte Spur von Freundlichkeit gewichen war. »Also, was ist jetzt, Kleiner?« fragte sie schneidend. »Soll ich den Flug buchen oder nicht? Ich brauche deinen Paß und die Nummer deines Visums. Bezahlen kannst du das Ticket heute abend am Flughafen - falls du wirklich vorhast, zu fliegen, heißt das.«

Aton war so verblüfft, daß er gar nicht antworten konnte. Er verstand ja, daß auch die junge Frau nicht sehr erfreut über den häßlichen Zwischenfall war - aber wieso ließ sie ihre schlechte Laune an ihm aus?

»Ich fürchte, ich muß ...« stotterte er. »Ich habe ganz vergessen, daß -«

»Daß wir nicht hier sind, um die Zeit totzuschlagen?« unterbrach sie ihn. Sie gab sich jetzt nicht einmal mehr Mühe, höflich zu klingen. »Mein lieber, junger Freund, wenn dir langweilig ist, dann geh doch nach Hause und ärgere deine Eltern. Wir sind nämlich hier, um zu arbeiten.«

Aton riß vor Verblüffung Mund und Augen auf. Normalerweise hätte er sich einen solch unbegründeten Angriff von niemandem gefallen lassen, ganz egal, wie alt er nun war, aber er war viel zu perplex, entsprechend zu reagieren. Plötzlich hatte er wieder das Gefühl, nicht allein mit den beiden Angestellten im Raum zu sein. Da schien es noch etwas zu geben, etwas Unsichtbares, Finsteres, etwas, was Öl in die Flammen ihres Zornes goß und verhinderte, daß irgend jemand - Aton eingeschlossen - die Situation mit der angemessenen Ruhe betrachtete. Aton spürte, wie auch in ihm Zorn emporwallte. Er setzte zu einer scharfen Antwort an, doch noch bevor er auch nur den Mund auftun konnte, fuhr ihn der Mann hinter dem anderen Schreibtisch an: »Verschwinde hier, bevor ich dich hinauswerfe. Stiehl jemand anderem die Zeit!«

Aton verließ fluchtartig das Reisebüro. Er lief zwanzig, dreißig Meter weit die Straße hinunter, ehe seine Schritte langsamer wurden und sich sein rasender Puls allmählich beruhigte.

Er war wütend wie niemals zuvor im Leben. Es wurde nicht besser, nachdem er das Geschäft verlassen hatte, sondern eher schlimmer. Aton mußte sich mit aller Macht beherrschen, nicht zurückzugehen und diesen beiden unfreundlichen Menschen zu sagen, was er wirklich von ihnen hielt. Vielleicht hätte er es sogar getan, wäre nicht in diesem Moment schon wieder etwas passiert. Hinter ihm quietschten plötzlich Bremsen. Ein dumpfer Aufprall und das Klirren von Glas folgten. Aton drehte sich um und sah, daß unmittelbar neben ihm ein Wagen auf einen anderen aufgefahren war.

Der Schaden war nicht sehr groß. Ein zerbrochener Scheinwerfer, eine verbeulte Stoßstange und einige Kratzer im Lack, das war alles. Trotzdem rissen die beiden Fahrer die Türen auf, sprangen aus ihren Wagen und stürmten, offenbar kochend vor Zorn, aufeinander los. Völlig fassungslos beobachtete Aton, wie die beiden Männer sich anzuschreien begannen, ohne daß der eine dem anderen auch nur zugehört hätte. Einige Passanten, die den Unfall beobachtet hatten, mischten sich ein. Aber das änderte nichts, denn offensichtlich waren auch die Zeugen uneins, als hätte jeder etwas anderes gesehen. Binnen Sekunden brach auch unter ihnen ein lautstarker Streit aus, der rasch so eskalierte, daß sich Aton nicht weiter gewundert hätte, wenn sie plötzlich mit den Fäusten übereinander hergefallen wären. Dann, von einer Sekunde auf die andere, war alles vorbei. Die Passanten hörten auf, sich anzuschreien, und auch die beiden Autofahrer, die sich mit geballten Fäusten wie zwei Boxer im Ring gegenübergestanden hatten, brachen plötzlich mitten im Wort ab und sahen sich verblüfft an. Es war, als ob sich eine unsichtbare Dunkelheit von der Szenerie hob. Plötzlich war die aggressive, gewaltgeladene Stimmung nicht mehr da, und statt dessen machten sich Betroffenheit und Schrecken breit.

Aton wandte sich rasch um und ging. Er war völlig verwirrt, und plötzlich hatte er wieder Angst. Das war kein Zufall gewesen. Irgend etwas geschah hier, und er hatte sogar das Gefühl, eigentlich wissen zu müssen, was. Doch dann entglitt ihm der Gedanke wieder, und Aton wandte sich wichtigeren Problemen zu.

Und wie es aussah, hatte er davon eine ganze Menge. Eines davon hatte vier Beine, war schwarz wie die Nacht und stand zwanzig Schritte vor ihm inmitten der Passanten.

Aton blieb wie vom Donner gerührt stehen, als er den Hund sah.

Anubis stand völlig reglos da und starrte ihn an. Der Bürgersteig war voller Menschen, aber niemand nahm Notiz von dem riesigen Dobermann; dabei hätte der Anblick eines solchen Hundes, der völlig frei in der Stadt herumlief, zumindest für Aufsehen sorgen müssen. Doch niemand schien das Tier auch nur zur Kenntnis zu nehmen.

Atons Gedanken überschlugen sich. Der Hund stand weiter reglos da und starrte ihn aus seinen unheimlichen, goldgelben Augen an, und Aton spürte, daß er nicht gekommen war, um ihm etwas zuleide zu tun. Aber das Auftauchen des Hundes war eine Botschaft, wie sie deutlicher kaum hätte sein können. Hatte er wirklich geglaubt, Petach so leicht entwischen zu können?

Erschrocken sah er sich in alle Richtungen um, aber Petach war nicht da. Es war auch nicht nötig. Er verstand sehr gut, was das Erscheinen des Hundes bedeutete. Und er wußte auch, daß es im Grunde vollkommen sinnlos war, weiter davonlaufen zu wollen. Es gab keinen Ort, an dem er sich vor diesem Verfolger verstecken konnte.

Leider war Aton im Moment nicht in der Stimmung, auf die Stimme seiner Vernunft zu hören, und so fuhr er auf dem Absatz herum und begann zu laufen. Einmal sah er über die Schulter zurück. Anubis stand immer noch reglos da und blickte ihm nach, er machte keine Anstalten, ihm zu folgen. Und gerade das machte die Drohung, die von ihm ausging, noch schlimmer.

Aton war für einen Moment unaufmerksam. Er sah die Gestalt zwar noch, konnte ihr aber nicht mehr gänzlich ausweichen. In vollem Lauf prallte er gegen einen Mann, der schwer beladen mit Paketen und Taschen aus einem Geschäft heraustrat, schlug der Länge nach hin und sah aus den Augenwinkeln, wie sich die Tüten und Pakete in weitem Umkreis auf dem Bürgersteig verteilten. Der Mann selbst fiel nicht, sondern fand im letzten Moment sein Gleichgewicht wieder, aber sein Gesicht verdunkelte sich vor Zorn. Noch ehe Aton sich wieder aufrappeln konnte, trat der Mann auf ihn zu, packte ihn an der Schulter und riß ihn grob in die Höhe.