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»Ich habe dir die Geschichte des Fluches erzählt, den Echnaton über seinen Mörder verhängte«, sagte er. »Was ich bisher nicht erzählt habe - und das aus gutem Grund, das mußt du mir glauben -, ist etwas, was auch er damals nicht wußte. Und wie konnte er, denn er war nur ein sterblicher Mensch, der um die Existenz der Götter, nicht aber um ihr wirkliches Wesen wußte.«

»Sie meinen, daß sie nichts Besseres zu tun haben, als mit den Schicksalen von Menschen zu spielen?«

Petach ignorierte seine Worte. »Mit den Göttern hat es seine besondere Bewandtnis«, fuhr er fort. »Sie stehen nicht so weit über euch (euch? dachte Aton; wieso sagt er euch?), wie die meisten Menschen glauben. Die Welt und das Universum sind komplizierte Gebilde, viel komplizierter, als wir ahnen, und sie gehorchen Gesetzen, die wir niemals durchschauen werden. Es ist in eurem Volk modern geworden, ihre Existenz zu leugnen, aber du und ich, wir wissen, daß es sie gibt.

Und es wird sie geben, solange Menschen an sie glauben.

Damals, zu Echnatons Zeit und der seiner Nachfolger, waren sie groß und mächtig, denn es gab unzählige Menschen, die an ihre Existenz glaubten. Und jeder Gedanke an sie, jedes Gebet, jedes Opfer, das ihnen gebracht wurde, stärkte ihre Macht. Doch die Zeiten änderten sich. Andere Pharaonen kamen und nach ihnen andere Volker und andere Herrscher und mit ihnen andere Götter, und die Macht und Größe Osiris' und der anderen Götter schwand. So wie das Volk verging, das an sie glaubte, vergingen auch sie. Als der Glanz des Pharaonenreiches erlosch, erlosch auch der Glaube an die alten Götter, und mit dem letzten Menschen, der an sie glaubte, wären auch sie gestorben, wie so viele Götter vor ihnen und wie es im Großen Plan des Schicksals bestimmt ist.«

»Mir kommen sie ziemlich lebendig vor«, antwortete Aton.

Petach nickte. »Sie sind es«, bestätigte er. »Sie sind längst nicht mehr so mächtig, wie sie waren, nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe. Doch es gibt einen Menschen auf dieser Welt, der noch immer um ihre Existenz weiß, und so lange er lebt, werden auch sie weiterleben.«

»Eje?« fragte Aton wieder.

»Der Wanderer«, bestätigte Petach - womit er auch diesmal Atons Frage nicht wirklich beantwortete. »Es ist der Glaube eines einzigen Menschen, der sie am Leben hält. Es ist nur ein Funke gegen das Feuer, das sie einst waren, doch dieser Funke kann ausreichen, den Brand neu zu entfachen.«

»Und wenn der Verräter stirbt ...« begann Aton.

»... werden auch sie endgültig vergehen«, führte Petach den Satz zu Ende. »Ja. Er ist der letzte, der wirklich um ihre Existenz weiß, und mit ihm wird die Erinnerung an sie erlöschen und mit dieser Erinnerung sie selbst.«

»Und was ist mit Ihnen und mir?« fragte Aton.

»Du glaubst nicht wirklich an sie«, antwortete Petach.

Um ein Haar hätte Aton laut gelacht. Die Wesen, an die er angeblich nicht wirklich glaubte, hatten ihn in den letzten Tagen ein halbes dutzendmal in Lebensgefahr gebracht und quer durch das ganze Land gehetzt. »Das sehe ich etwas anders«, sagte er, aber Petach schüttelte erneut und energischer den Kopf.

»Du denkst, du würdest an sie glauben«, sagte er. »Du hast irgend etwas gesehen, Dinge, die du nicht verstehst und die dir angst machen, aber du glaubst nicht wirklich an sie. Es sind nicht deine Götter, Aton, das ist entscheidend. Vielleicht hast du recht - vielleicht glaubst du im Moment an ihre Existenz, aber das ist nicht die Art von Kraft, die sie zum Überleben brauchen. Ihr Schicksal ist untrennbar mit dem des Verräters verbunden. Solange er lebt, leben sie. Wenn er stirbt, sterben sie.«

»Und deshalb wollen sie meinen Tod«, murmelte Aton. Die Bedeutung von Petachs Worten war zu gewaltig, um sie jetzt schon ganz zu erfassen. Aber er spürte eine Art von Kälte in sich, die ihm fremd war und die ihn in Furcht versetzte.

»Nicht alle«, antwortete Petach. »Die Götter sind uneins. Sie waren es immer, denn auch sie sind nicht unfehlbar, und sie sind so verschieden wie die Menschen. Viele von ihnen glauben, daß Echnatons Fluch auch sie getroffen hat, denn ihre Zeit ist vorbei und der Moment, zu gehen, längst überschritten. Diese Götter, wie Bastet und Isis, warten seit drei Jahrtausenden darauf, daß sich der Fluch erfüllt und die Toten aus ihren Gräbern steigen, damit die Götter endlich sterben können. Andere aber, wie Osiris und Horus, klammern sich mit verzweifelter Kraft an das Leben, auch wenn es nur mehr ein Dahinvegetieren ist, verglichen mit ihrer einstigen Macht.

Echnatons Fluch kann sich nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erfüllen, Aton. In drei Tagen, von heute an gerechnet, wird die Konstellation der Sterne wieder dieselbe sein wie damals. Und Osiris und Horus werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um zu verhindern, daß der Fluch gebrochen wird und der Wanderer endlich Ruhe findet.«

»Und?« fragte Aton böse. »Was ist so schlimm daran? Sie haben dreitausend Jahre gewartet, sie können auch noch weitere Jahre warten.«

»Der Krieg der Götter dauert schon zu lange«, antwortete Petach ernst. »Osiris und Horus geben sich nicht mehr damit zufrieden, einfach zu leben, gefangen hinter den Mauern des Vergessens und nur vom Glauben eines einzigen Menschen erhalten. Sie streben wieder nach ihrer alten Macht und Größe, und glaube mir, es waren schreckliche Götter. Du hast erlebt, wozu sie fähig sind. Und das war nichts gegen das, was sie tun werden, haben sie erst ihre ursprüngliche Macht zurückerlangt.«

»Aber wie denn?« fragte Aton. »Außer dem Wanderer, Ihnen und mir glaubt doch niemand an ihre Existenz.«

»Das könnte sich ändern«, antwortete Petach.

»Wie?« fragte Aton erschrocken.

Petach schwieg. Sein Blick war weiter unverwandt auf Aton gerichtet, aber plötzlich schien er ihn gar nicht mehr wahrzunehmen, sondern vielmehr etwas zu sehen, das gar nicht wirklich da war, aber kommen mochte, und das ihn mit Grauen erfüllte. »Die Götter leben vom Glauben der Menschen«, sagte er leise. »Ihre Gebete, ihre Hoffnungen und Wünsche geben ihnen Kraft, aber auch die Freude und Zuversicht, die das Wissen ihrer Existenz in die Herzen der Menschen pflanzt. Ebenso stark aber ist die Kraft, die ihnen die Furcht gibt. Auch Angst und Leid, Verzweiflung und Tod sind Gefühle, die sie nähren. Es ist gleich, ob die Menschen ihre Götter fürchten oder lieben. Die Angst hält sie ebenso am Leben wie die Freude. Aber sie verändert sie. Was sie nährt, bestimmt auch ihr Wesen. Bastet, Isis und die anderen wissen es, und sie wollen eine solche Existenz nicht. Horus und Osiris aber haben stets die Angst und den Schmerz der Menschen getrunken.«

»Moment mal«, sagte Aton, dem es schwerfiel, diesem Gedanken wirklich zu folgen. »Sie meinen, daß -«

»- ein Gott, der vom Bösen lebt, auch böse wird«, bestätigte Petach ernst. »Es ist das, was ihr einen Teufelskreis nennen würdet. Wenn es die Angst ist, die sie am Leben erhält, so ist es auch Angst, die sie in die Herzen der Menschen pflanzen, die an sie glauben. So werden die Mächte des Finsteren immer finsterer und mächtiger, je mehr Furcht sie verbreiten, und die des Lichtes immer stärker, je mehr Liebe und Güte sie geben.«

Aton schauderte. Er mußte plötzlich an einen Satz denken, den er einmal in einem Buch gelesen und bis zu diesem Moment nicht wirklich verstanden hatte: Ein jedes Volk bekommt den Gott, den es verdient. Er sprach diesen Gedanken laut aus, und Petach nickte und sah ihn sehr ernst an.

»Es war ein weiser Mann, der das gesagt hat, und in diesen Worten liegt mehr Wahrheit, als er wohl selbst ahnte. Und das ist, was geschehen wird, Aton. Osiris und die anderen trachten jetzt nicht mehr danach, die Toten am Erwachen zu hindern. Im Gegenteil. In drei Tagen werden sich all die Krieger, die ihr Leben für Echnaton gaben, aus ihren Gräbern erheben. Aber sie werden Furcht und Schrecken verbreiten, und sie werden es auf eine Weise tun, die das Wissen um die Existenz der alten Götter neu in den Herzen der Menschen erwachen läßt. Denn das ist der Plan, den Osiris und Horus verfolgen: Der Wanderer wird endlich sterben, aber das Leid, das dieses Sterben begleitet, wird die alten Götter zu neuer Macht erstarken lassen.«