Выбрать главу

»Dann ... dann sind Sie nicht hier, um die Prophezeiung zu erfüllen?« fragte Aton stockend. Er hatte plötzlich Mühe, überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen. Mit einem Mal, von einer Sekunde auf die andere, war alles ganz anders, als er bisher angenommen hatte.

Petach deutete ein Kopfschütteln an. Sein Blick ging immer noch in unsichtbare, düstere Fernen. »Wie gern täte ich es«, sagte er. »Wie sehr sehnt sich der Wanderer nach dem Tod, nach all den ungezählten Jahrhunderten, die er ruhelos über diese Welt geschritten ist. Aber es darf nicht geschehen. Er wird weiterleben müssen. Jemand muß verhindern, daß die Toten sich aus ihren Gräbern erheben.«

»Und wie?« fragte Aton.

»Das weiß ich nicht«, gestand Petach. »Ich weiß nur eines: du und ich, Aton, wir sind die einzigen, die darauf Einfluß nehmen können.«

»Wir?« murmelte Aton fassungslos. »Aber wieso ... wieso wir? Wieso ausgerechnet ich?«

Petach sah ihn auf eine sonderbar traurige Weise an. Er tat es sehr lange, und sein Blick vermehrte Atons Unruhe. Und schließlich, als Aton schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte, antwortete er: »Weil du der einzige Mensch auf dieser Welt bist, der die Macht hat, sie zu erwecken, Aton.«

Willkommen in Kairo

Das Flugzeug landete auf die Sekunde pünktlich in Kairo - was nichts anderes hieß als spät in der Nacht. Schon beim Verlassen der Maschine schallte Aton fröhliche, orientalische Musik aus Lautsprechern entgegen, und in der großen Halle, die er und Petach betraten, standen buntgekleidete Männer in kleinen Gruppen herum und schwatzten. Vor den großen Glastüren konnte er eine Reihe zumeist altersschwacher Taxis erkennen, deren Fahrer bereits auf der anderen Seite der Zollbarriere Aufstellung genommen hatten und nach Fahrgästen Ausschau hielten.

Was ihre Papiere und die Zollkontrolle anging, wurden Atons Erwartungen vollkommen erfüllt: Petach begnügte sich diesmal nicht mit einem stummen Blick, sondern wechselte einige Worte mit den uniformierten Beamten, die die Ankommenden mißtrauisch musterten, und gleich darauf konnten sie die Sperre unbehelligt passierten, gefolgt von den erstaunten und zum Teil auch ärgerlichen Blicken ihrer Mitreisenden, die sich anders als sie der langwierigen Einreiseprozedur unterziehen mußten.

Da sie kein Gepäck mitgenommen hatten, konnten sie das Flughafengebäude sofort verlassen.

Während sie auf eines der wartenden Taxis zugingen, registrierte Aton überrascht, wie warm es war. Zwar herrschte auch hier in Ägypten Winter, aber schließlich waren sie dem Äquator ein gutes Stück näher, und das Flugzeug hatte sie in nicht einmal ganz drei Stunden über eine Entfernung gebracht, für die die Menschen früher ein halbes Jahr gebraucht hätten.

»Wohin fahren wir?« fragte er, nachdem sie eingestiegen waren und Petach dem Fahrer in seiner Muttersprache ihr Ziel genannt hatte. Es waren die ersten Worte, die sie seit annähernd zwei Stunden wechselten, und Aton rechnete eigentlich gar nicht mit einer Antwort. Aber Petach schien sein beharrliches Schweigen während des Fluges nicht wirklich übelzunehmen.

»Zuerst einmal zu einem guten Freund«, sagte er. »Dort sind wir sicher und können die Nacht verbringen. Morgen früh reisen wir dann weiter.«

Aton dachte an das letzte Mal, als er im Haus eines guten Freundes von Petach gewesen war, und sein Blick schien das auch auszudrücken, denn auf dem Gesicht des Ägypters breitete sich ein Lächeln aus. »Keine Sorge«, sagte er. »Dir wird nichts geschehen.«

Aton widersprach nicht, aber er dachte sich seinen Teil - schließlich hatte ihm auch das Petach schon mehr als einmal versprochen.

Wenn er wenigstens gewußt hätte, was Sufi und Petach damals mit ihm vorgehabt hatten! Trotz allem war noch etwas in ihm, was Petach glauben wollte. So unheimlich ihm dieser alte Mann geworden war, hatte er noch immer etwas Vertrauenerweckendes an sich.

Aton versuchte sich eine Weile damit abzulenken, daß er aus dem Fenster sah, aber das half nicht. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu den Fragen zurück, mit denen er sich seit nunmehr fast einer Woche beschäftigte. Schließlich sagte er, ohne Petach anzusehen: »Meine Mutter ist hier in Kairo.«

»Ich weiß«, antwortete Petach.

»Ich hätte sie gerne gesehen«, fuhr Aton fort, als Petach ihm nicht den Gefallen tat, das Thema von sich aus aufzugreifen. Petach antwortete nicht darauf, und so drehte er sich herum und sah ihn an.

»Ich will mich nur überzeugen, daß es ihr gutgeht«, sagte er. »Ich verspreche Ihnen, daß ich nichts verrate.«

»Ich glaube dir«, sagte Petach ernst. »Aber es wäre nicht sehr klug. Solange sie im Hotel ist und nicht weiß, daß du dich in Ägypten aufhältst, ist sie nicht in Gefahr. Das könnte sich ändern, wenn Osiris und seine Schergen auf sie aufmerksam werden.«

So schlau war Aton auch. Trotzdem: Petachs Antwort verwirrte ihn nur noch mehr, denn seine Sorge konnte ernst gemeint, ebensogut aber auch nur eine geschickt verkleidete Drohung sein.

Petach schien seine Gedanken zu erraten, denn er sagte traurig: »Du vertraust mir immer noch nicht.«

»Sie machen es einem ziemlich schwer, Ihnen zu vertrauen«, antwortete Aton, und der unglückliche Ausdruck auf Petachs Zügen verstärkte sich noch.

»Ich will sehen, was ich tun kann«, sagte Petach schließlich. »Vielleicht kannst du sie anrufen - wenn du mir dein Ehrenwort gibst, ihr nichts zu verraten.«

»Ich verspreche es«, sagte Aton. Er meinte dieses Versprechen ernst - Petach gehörte nicht zu den Menschen, die man belügen konnte.

Eine ganze Weile fuhren sie weiter schweigend durch die Vorstädte. Der Taxifahrer versuchte ein paarmal, ein Gespräch mit Petach in Gang zu bringen, worauf dieser jedoch nicht einging, so daß er es schließlich aufgab, und Aton hing seinen eigenen Gedanken nach.

Zumindest in einem Punkt hatte Petach die Wahrheit gesagt: Seit Aton sich in seiner Nähe aufhielt, war der Einfluß der alten ägyptischen Götter nicht mehr zu spüren. Natürlich mochte dies ganz andere Gründe haben, als Petach behauptete, aber allein die Möglichkeit, daß der Ägypter die Wahrheit gesagt hatte, ließ Aton vor Angst innerlich erstarren. Er hatte die bösen, zerstörerischen Kräfte der uralten Gottheiten zu deutlich gespürt. Der Gedanke, daß sie wieder zu ihrer alten Macht erwachen könnten, war schlichtweg unerträglich.

»Werde ich es überleben?« fragte er plötzlich.

Die Frage schien Petach völlig zu überraschen. Ein paar Sekunden lang sah er ihn vollkommen ohne Verständnis an, dann lachte er, leise und sehr gutmütig. »Natürlich«, sagte er. »Sie wollen etwas von dir, sie wollen nicht dich.«

»Und Sie meinen, wenn ich es ihnen gebe, werden sie mich aus lauter Dankbarkeit verschonen?«

Petachs Lächeln erlosch. »So etwas wie Dankbarkeit kennen sie nicht«, antwortete er. »Wenn du getan hast, was sie erwarten, werden sie dich einfach vergessen. Du bist nur ein Mensch. Du bist zu unwichtig, um dich grundlos zu töten.«

Nicht nur, daß das dem widersprach, was Petach ihm selbst im Flugzeug erzählt hatte - es machte es nicht besser. Aton versuchte sich ein Wesen vorzustellen, für das ein Mensch nur ein Ding war, das nicht einmal einen Gedanken verdiente, solange man es nicht brauchte, und zum ersten Mal glaubte er wirklich zu verstehen, was Petach gemeint hatte, als er über das Wesen der alten Götter sprach.

Er machte eine entsprechende Bemerkung zu Petach, aber diesmal reagierte der Ägypter nicht darauf; ja, er schien sie gar nicht zu hören. Petach hatte sich vorgebeugt und sah durch die Windschutzscheibe nach oben. Neugierig lehnte sich auch Aton zur Seite und suchte den Nachthimmel über Kairo mit seinen Blicken ab. Im ersten Moment sah er nichts als die Sterne, die von einem ungewohnt klaren Himmel funkelten, aber dann erkannte auch er einen winzigen Punkt, der hoch über ihnen am Firmament kreiste.