Aton machte einen Schritt auf Petach zu - und erstarrte mitten in der Bewegung. Seine Augen weiteten sich ungläubig. Petach war auf beide Knie und eine Hand herabgesunken. Sein Oberkörper war weit nach vorne gebeugt, als zerre ihn das Gewicht der Lanze zu Boden, und der Wurf war so kräftig gewesen, daß die dreieckige Bronzespitze seinen Körper durchbohrt hatte und fast eine Handbreit zwischen seinen Schulterblättern hervorragte. Die Verletzung mußte absolut tödlich sein.
Aber Petach fiel nicht zu Boden. Ganz im Gegenteil. Langsam, mit schmerzverzerrtem Gesicht und stöhnend richtete er sich wieder auf, ergriff die Lanze mit beiden Händen - und zog die Waffe mit einem Ruck aus seinem Leib heraus!
»Halt!« rief Petach mit kräftiger, weithin hörbarer Stimme. »Ich, Petach, befehle euch, stehenzubleiben! Geht zurück dorthin, woher ihr gekommen seid! Ihr habt hier keine Macht! Dies ist nicht eure Welt!«
Er hatte in seiner Muttersprache geredet. Nicht arabisch. Das war eine Sprache, die Aton zwar nicht beherrschte, aber erkannt hätte. Den Dialekt jedoch, in dem Petach sprach, hatte er noch nie zuvor im Leben gehört. Trotzdem verstand er ihn.
»Geht!« sagte Petach noch einmal. Er wankte und schien alle Mühe zu haben, sich überhaupt auf den Beinen zu halten, und sein heller Sommeranzug hatte sich auf Brust und Rücken dunkel von seinem eigenen Blut gefärbt. Sein Gesicht war eine Maske aus Schmerz und Leid. Und trotzdem konnte Aton regelrecht sehen, wie das Leben in seinen Körper zurückkehrte. Seine Stimme gewann an Kraft und befehlender Stärke. Er hatte die Lanze mit beiden Händen ergriffen und herumgedreht, aber er hielt sie nicht wie eine Waffe, sondern vielmehr wie ein König sein Zepter. Und Aton war nicht der einzige, der die suggestive Macht von Petachs Worten fühlte. Die Krieger waren stehengeblieben. Obwohl sie jetzt ganz nahe waren, konnte Aton ihre Gesichter noch immer nicht erkennen, aber er konnte ihr Zögern spüren. Wer immer sie waren - und Aton war längst nicht mehr sicher, es tatsächlich mit menschlichen Feinden zu tun zu haben -, auch sie konnten sich Petachs unheimlichem Einfluß nicht entziehen, den Aton schon so oft beobachtet hatte.
Trotzdem waren zwei unter ihnen, die es versuchten. Die beiden Männer sprangen plötzlich vor und schwangen ihre sichelartigen Waffen. Petach fing den Schwerthieb des ersten mit der Lanze ab und durchbohrte ihn eine Sekunde später mit der Spitze, auf der noch sein eigenes Blut klebte, aber die Klinge des zweiten traf die Schulter des Ägypters mit solcher Wucht, daß Aton den Hieb selbst zu spüren glaubte. Petach wankte. Seine Schulter färbte sich dunkel, aber er stürzte immer noch nicht. Mit eiserner Hand ergriff er das Schwert des Kriegers, entriß es seinem Besitzer und schlug den Angreifer mit dessen eigener Waffe nieder.
»Geht!« befahl er noch einmal. »Geht zurück in die Nacht, aus der ihr gekommen seid!«
Kein anderer versuchte mehr, sich Petach zu nähern. Und nach einer Sekunde, die sich zu einer schieren Ewigkeit dehnte, begannen die Krieger tatsächlich, langsam, widerwillig, mit Bewegungen, die aussahen, als würden sie dazu gezwungen, rückwärts vor Petach und ihm zurückzuweichen. Aber nicht sehr weit. Petach stand noch immer hoch aufgerichtet da, eine blutüberströmte, schreckliche Gestalt, deren Augen ein unsichtbares, verzehrendes Feuer zu verströmen schienen, aber plötzlich war da noch eine zweite, fast ebenso starke Macht, und als Aton erschrocken zur Seite blickte, sah er, wie sich der Mumienkrieger langsam wieder aufrichtete. Die beiden Pferde lagen reglos übereinandergestürzt da, der Streitwagen war zu einem Haufen aus zersplittertem Holz und verbogenem Metall geworden, und auch der Körper der Mumie wirkte sonderbar falsch; als wären sämtliche Glieder verdreht und zerbrochen. Aber sie bewegte sich.
»Aton, lauf«, murmelte Petach. Und erst jetzt begriff Aton, daß er vielleicht doch noch eine Chance hatte, und er reagierte mit einer Schnelligkeit darauf, die ihm wahrscheinlich nur die reine Todesangst verlieh. Noch während sich die Mumie taumelnd aufzurichten versuchte, fuhr er herum und lief los. Einer der anderen Männer versuchte ihm den Weg zu vertreten. Aton zog den Kopf zwischen die Schultern und rannte ihn einfach über den Haufen. Der Mann stürzte. Seine Hand griff nach Aton, bekam seinen Arm zu fassen und riß ein Stück aus seiner Jacke, aber Aton stürmte weiter, rannte im Zickzack zwischen den anderen Männern hindurch und sprang mit einem gewaltigen Satz über den zerborstenen Streitwagen hinweg. Das Taxi war etliche Meter vor ihm gegen eine Hauswand geprallt und mit gebrochener Achse schräg wie ein auf ein Riff gelaufenes Schiff liegengeblieben. Dampf quoll unter der eingedrückten Motorhaube hervor, und eine große, nach Öl und Benzin riechende Lache breitete sich unter dem Wrack aus. Der Fahrer war über dem Steuer zusammengesunken. Aton rannte an dem Wagen vorbei und blieb plötzlich stehen. Der Benzingeruch war so intensiv, daß er ihm fast den Atem nahm. Ein einziger Funke genügte, und der Wagen würde wie eine Bombe explodieren. Gehetzt blickte er zu Petach und den Schattenkriegern zurück. Die unheimlichen Gestalten hatten sich dem Ägypter wieder genähert. Selbst über die große Entfernung hinweg konnte Aton spüren, daß es Petach immer schwerer fiel, die Unheimlichen zu bannen. Eine lautlose Stimme in seinen Gedanken begann ihm zuzuschreien, daß er dabei war, die einzige Chance wegzuwerfen, die er noch hatte. Aber er konnte nicht einfach weiterrennen und den hilflosen Mann im Wagen seinem Schicksal überlassen!
Mit zwei Schritten war er zurück bei dem Taxi und riß die Tür auf.
Der Fahrer fiel ihm im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme. Der Mann war bewußtlos, aber am Leben und bis auf eine üble Platzwunde an der Stirn zumindest nicht sichtbar verletzt. Er war nicht sehr groß, wog aber mindestens fünfzig Pfund mehr als Aton, so daß er seine ganze Kraft brauchte, den Mann aus dem Wagen zu zerren. Keuchend und immer wieder über die Schulter zu Petach und den anderen zurückblickend, schleifte er ihn von dem Autowrack fort und noch ein gutes Stück weit weg, bis er nicht mehr in Gefahr war, von dem auslaufenden Benzin erreicht zu werden. Als Aton den Mann zu Boden sinken ließ, gewahrte er eine Bewegung aus den Augenwinkeln. So hastig, daß er beinahe das Gleichgewicht verlor, wirbelte er auf der Stelle herum und sah, wie gleich drei der unheimlichen Krieger auf ihn zustürmten, ihre Sichelschwerter erhoben und mit wehenden Mänteln. Ihr Anblick jagte ihm einen neuen, eisigen Schauder über den Rücken. Sie liefen sehr schnell, aber sie liefen nicht wie Menschen, sondern bewegten sich in einem sonderbar hoppelnden Gang vorwärts. Noch vier, fünf dieser gewaltigen Sätze, und sie mußten ihn erreicht haben.
Aton fuhr abermals herum. Er bewegte sich so schnell wie nie zuvor im Leben, trotzdem war es ihm, als zerrten unsichtbare Gummibänder an seinen Gliedern. Die Zeit schien stehenzubleiben. Seine eigenen Bewegungen liefen in zeitlupenhaftem Tempo ab, während die drei Gestalten rasend schnell näher kamen. Und sie hätten ihn zweifellos binnen Sekunden eingeholt, hätte Petach ihm nicht noch einmal geholfen. Abermals geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Aton spürte, wie Petachs geistiger Bann zerbrach, als er seine Aufmerksamkeit von den Schattenkriegern löste und ihm zuwandte. Die Gestalten stürzten sich auf den Ägypter, aber den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie ihn erreichten und niederrangen, riß Petach beide Arme in die Höhe und stieß einen schrillen Ruf aus. Ein winziger blauer Funke löste sich von seinen Fingerspitzen, jagte wie ein schräg fallender Stern heran und traf die Lache aus Benzin und Öl, durch die die drei Krieger stampften.