Und als er es begriff, wollte er es nicht glauben. Völlig fassungslos starrte er die schlanke junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz an, die erleichtert war, ihn unverletzt zu sehen. »Sascha ...?« murmelte er. »Aber ... aber wieso ... Ich meine ... wie ... wie kommst du denn hierher?«
»Wollen wir uns später darüber unterhalten, oder wollen wir warten, bis die Freunde deiner -« Sascha deutete mit einer Kopfbewegung auf die bewußtlose Gestalt. »- Freunde hier auftauchen und auch zuhören?« fragte sie.
Aton hörte die Worte kaum, Sascha war der letzte Mensch auf der Welt, den er hier zu treffen erwartet hätte. »Aber wie ...« murmelte er erneut.
»Später«, unterbrach ihn Sascha. »Wir müssen hier weg, Aton. Dort draußen sind noch mehr von ihnen. Ich habe sie an der Nase herumgeführt, aber ich weiß nicht, wie lange sie sich täuschen lassen. Sie sind nicht dumm.« Sie deutete auf die Leiter. »Komm. Ich gehe vor.«
Aton sah ein, daß sie recht hatte, und folgte ihr gehorsam, aber seine Gedanken drehten sich immer schneller im Kreis. Sascha hatte ihm soeben zum dritten Mal mit ziemlicher Sicherheit das Leben gerettet, und trotz der unendlichen Erleichterung, die er verspürte, war da noch etwas anderes, ein immer stärker werdendes Mißtrauen. Sie konnte gar nicht hier sein. So viele Zufälle gab es auf der ganzen Welt nicht.
Obwohl er sich beeilte, wartete Sascha bereits ungeduldig auf ihn, als er den Fuß der Leiter erreichte. Das Haus war so dunkel und still wie zuvor. Die Stimmen und Schritte der Verfolger waren nicht mehr zu hören. Was immer Sascha getan hatte, um sie in die Irre zu führen, es schien zu funktionieren. Sie deutete ihm ungeduldig mit der Hand, ihr zu folgen, doch statt dessen beugte sich Aton über die reglose Gestalt, die mit verdrehten Gliedern neben der Leiter lag. Das Geschöpf war bewußtlos, vielleicht sogar tot, doch das änderte kaum etwas an der Aura von Gefahr und Furcht, die es zu umgeben schien. Trotzdem streckte Aton die Hand aus, um die Kapuze zurückzuschlagen, die das Gesicht des Wesens verhüllte.
»Tu das lieber nicht«, sagte Sascha. Sie sagte es nicht laut, auch nicht befehlend, aber vielleicht war es gerade das, was Aton zögern ließ. Unsicher sah er zu ihr hoch, und der Ausdruck, den er auf ihrem Gesicht gewahrte, ließ ihn die Hand endgültig zurückziehen. Ohne noch eine weitere Frage zu stellen, richtete er sich vollends auf und folgte seiner Lebensretterin.
Eine Nacht im Hotel
Sie verließen das Haus und wenige Augenblicke später die Seitenstraße, ohne noch einmal auf einen der Unheimlichen zu stoßen oder sie auch nur zu hören. Sascha war mit einem Wagen gekommen, dessen Kennzeichen verriet, daß sie ihn hier in Kairo gemietet hatte, der aber ansonsten wie zum Verwechseln ihrem eigenen, weißen Toyota glich. Obwohl es im Moment wahrlich andere Dinge gab, über die sie zu reden hatten, machte Aton eine entsprechende Bemerkung, auf die Sascha mit einem Lächeln und den Worten antwortete: »Ich mag dieses Modell, weißt du? Es erinnert mich an meines. Außerdem gefällt mir der Werbespruch.«
»Nichts ist unmöglich«, sagte Aton. Er sah Sascha bei diesen Worten scharf an, und als sich an ihrem Lächeln nichts änderte, fügte er etwas lauter hinzu: »Vielleicht abgesehen davon, daß wir uns andauernd rein zufällig über den Weg laufen. Noch dazu an Orten, die dreitausend Kilometer auseinander liegen.«
»Wer sagt denn, daß das Zufall ist?« erwiderte Sascha. Sie weidete sich einen Moment lang sichtbar an seinem verblüfften Ausdruck, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße zu.
»Ich glaube dir kein Wort«, sagte Aton unvermittelt.
Sascha blinzelte. »Aber ich habe doch gar nichts gesagt«, protestierte sie.
»Nicht einmal das glaube ich dir«, maulte Aton. »Hier stimmt doch etwas nicht.«
Sascha machte ein unglückliches Gesicht. »Ich will mich ja nicht beschweren, aber ein ganz kleines Dankeschön wäre vielleicht angebracht«, sagte sie. »Immerhin habe ich dir gerade -«
»- das Leben gerettet, ich weiß«, unterbrach sie Aton unfreundlich. »Das scheint ja deine Lieblingsbeschäftigung zu sein.«
Saschas Lächeln erlosch. Seine Worte mochten sie getroffen haben. Sie machte keine Anstalten, von sich aus irgendeine Erklärung abzugeben.
»Wie kommst du hierher?« fragte Aton scharf. Er war zornig. Der überstandenen Todesangst folgte nur eine ganz kurze Erleichterung, die fast übergangslos in Ärger, ja beinahe Wut umschlug. Er wußte, daß er Sascha unrecht tat. Von allen Beteiligten an dieser Geschichte war sie vermutlich die, der er noch am meisten vertrauen konnte. Aber er war es endgültig leid, unentwegt belogen, hintergangen, mit Halbwahrheiten und Ausflüchten abgespeist zu werden. Er hatte sich zwar damit abgefunden, einer der Hauptdarsteller in einer Geschichte zu sein, in der er nicht mitspielen wollte und die ihn seiner Meinung nach auch gar nichts anging, aber wenn sich das Schicksal schon einen so bösen Scherz mit ihm erlaubte, so hatte er doch wenigstens einen Anspruch darauf, zu wissen, warum. »Was tust du hier?« fragte er noch einmal. »Und jetzt erzähl mir bitte nicht, daß es Zufall ist oder daß du uns gefolgt bist. So viele Zufälle gibt es nämlich gar nicht, und du hast ganz bestimmt nicht im selben Flugzeug gesessen wie Petach und ich.«
»Nein«, antwortete Sascha. Sie trat behutsam auf die Bremse und lenkte den Wagen an den Straßenrand. »Das habe ich nicht. Und was ich hier tue?« Sie zuckte mit den Schultern und lächelte wieder. »So genau weiß ich das selbst nicht. Das heißt«, fügte sie hastig hinzu, als Aton sie unterbrechen wollte, »ich weiß es schon. Ich weiß nur nicht, ob es besonders klug ist.«
»Ich will jetzt endlich wissen, was das alles bedeutet«, beharrte Aton. Er wußte, daß er sich Sascha gegenüber ungerecht verhielt, aber er war einfach nicht fähig, etwas dagegen zu tun. Und auch Sascha schien das zu fühlen, denn etwas in ihrem Blick änderte sich. Die leise Verärgerung, die er bisher darin gelesen hatte, verschwand und machte einem Ausdruck von Verständnis und Mitgefühl Platz, das Aton betroffen machte. Er wußte, wie gemein er sich benahm. Aber es gab Situationen, in denen es einfach erleichterte, ungerecht zu sein, und dies war eine davon. Vielleicht hätte es ihn ebenso erleichtert, Sascha einfach zu umarmen und sich an ihrer Schulter auszuweinen, aber dazu war er nicht der Typ, auch wenn er das fast bedauerte.
»Also gut«, sagte Sascha schließlich. »Ich bin Petach und dir vom Flughafen aus nachgefahren, aber ich konnte nichts tun. Du weißt ja selbst am besten, was passiert ist.« Sie lächelte entschuldigend. »Nachdem sie Petach überwältigt hatten, bin ich einfach den Männern nachgelaufen, die dir nachgelaufen sind. So einfach ist das.«
Aton hätte ihr so gerne geglaubt. Aber er konnte es nicht. »Das ist unmöglich«, sagte er. Jeder Vorwurf und alle Schärfe waren aus seiner Stimme verschwunden. Was jetzt noch darin zu hören war, war eine Mischung aus Trauer und Enttäuschung. »Du warst nicht in dem Flugzeug, das Petach und ich genommen haben. Und die nächste Maschine geht erst heute früh.«
»Ich war im Flugzeug davor«, antwortete Sascha.
»Wie bitte?« sagte Aton überrascht.
Sie seufzte. »Es war eine ziemlich verrückte Idee, ich weiß. Und vielleicht nicht die beste, die ich in meinem Leben gehabt habe. Nachdem du aus dem Hotel verschwunden warst, habe ich mich an den Anruf erinnert. Petach hatte gesagt, daß er am Flughafen auf dich wartet. Und nach allem, was passiert ist, war es nicht besonders schwer, zu erraten, wohin ihr wolltet.«
»Woher wußtest du, daß ich mich mit Petach treffe?« fragte Aton.