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Yassir ging weiter. Aton wartete, bis Sascha zu ihm aufgeholt hatte, und hielt ihr den Arm hin, aber sie schüttelte nur den Kopf und lächelte etwas ängstlich. »Es geht mir schon wieder ganz gut«, sagte sie.

»Bestimmt?« fragte Aton mißtrauisch. Als Sascha nur nickte, fügte er hinzu: »Was war da drinnen mit dir los?«

»Nichts«, erwiderte Sascha, noch immer in diesem nervösen Ton, der Aton klarmachte, daß diese Behauptung so weit von der Wahrheit entfernt war, wie es nur ging. »Ich habe meine Kräfte wohl ein bißchen überschätzt. Es war alles zu viel in den letzten Tagen.«

Der Scheinwerferstrahl huschte wie ein kleines, nervöses Tier vor ihnen her, während sie die Stufen hinaufgingen. Sie bewegten sich sehr schnell, gerade noch, daß sie nicht wirklich rannten, und trotzdem schien die Treppe kein Ende zu nehmen. Sie kam Aton viel länger vor als auf dem Herweg. Obwohl Yassir von Zeit zu Zeit seine Lampe hob und den Strahl schräg nach oben auf das Ende des Treppenschachtes richtete, war die Tür noch immer nicht in Sicht. Andererseits, versuchte Aton sich zu beruhigen, war er vorhin so aufgeregt gewesen, daß er wirklich nicht darauf geachtet hatte, wie lange der Weg nun war. Aber auch Yassir wurde immer unruhiger. Immer öfter blieb er stehen und sah sich um, fast als müsse er sich davon überzeugen, daß sie noch auf dem richtigen Weg waren - was natürlich Unsinn war. Diese Treppe führte nur in zwei Richtungen, so daß es schlichtweg unmöglich war, sich zu verirren.

Doch es blieb dabei: Die Tür kam nicht in Sicht. Und nach weiteren endlosen vier oder fünf Minuten wußte Aton auch, warum. Er begriff es im selben Moment, in dem sie das obere Ende der Treppe erreichten und die massive Steinplatte anstarrten, die den Eingang verschloß.

»Aber das ... das ist doch unmöglich«, flüsterte Sascha. »Die ... die Tür muß zugefallen sein!«

Yassir antwortete nicht sofort. »Sie kann nicht von selbst zufallen«, sagte er dann. Seine Stimme klang leise, aber sehr fest. Mit unbewegtem Gesicht schüttelte er den Kopf und ließ den Lichtschein seiner Lampe über die kaum sichtbare Naht wandern, die die Umrisse der Tür markierte. »Ich war oft genug hier. Er ... muß sie geschlossen haben.«

Ein Gefühl eisigen Entsetzens breitete sich in Aton aus, während auch er wie hypnotisiert auf die tonnenschwere Felsplatte starrte, die ihnen das Weitergehen verwehrte. »Aber Sie ... Sie können sie doch aufmachen, oder?« fragte er. Er las die Antwort auf seine Frage in Yassirs Augen, aber er fügte wider besseres Wissen noch hinzu: »Ich meine: Das war doch nur ein Scherz, vorhin. Daß man sie nur von außen öffnen kann?«

»Nein, das war es nicht«, antwortete Yassir. »Wir sind gefangen.«

Der Fluß nach Bubastis

Lange Zeit war es sehr still. Keiner von ihnen sprach, keiner rührte sich. Saschas Gesicht blieb so unbewegt wie das von Yassir, aber Aton spürte, daß beide auf ihre Weise ebenso entsetzt waren wie er. Doch die Angst, die er nun verspürte, war von einer ganz neuen Art. Es war ein Unterschied, mit einer konkreten Gefahr konfrontiert zu werden oder aber das Wissen zu akzeptieren, lebendig begraben zu sein, eingeschlossen hinter einer Tür, die ihr Geheimnis jahrtausendelang bewahrt hatte und es vermutlich jahrtausendelang tun würde, falls man sie überhaupt jemals entdecken sollte. Der Gedanke war entsetzlich. Und diese Art von Furcht gab ihm nicht die Kraft und den Willen zum Kämpfen um das Überleben, sondern lähmte ihn.

Es war schließlich Sascha, die das immer bedrückender werdende Schweigen brach. »Gibt es einen anderen Weg hier heraus?« fragte sie. Yassir sah sie an und schüttelte müde den Kopf.

»Diese Treppe«, beharrte Sascha. Sie drehte sich halb herum und machte eine Bewegung in die Tiefe. »Wohin führt sie? Was ist unter der Schatzkammer?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Yassir. »Ich war niemals dort unten.«

»Dann werden wir es herausfinden«, entschied Sascha.

Yassir versuchte, seinen Schrecken zu verbergen, aber es gelang ihm nicht ganz. »Ich weiß nicht, ob das ... richtig ist«, sagte er. »Dort unten könnten große Gefahren lauern.«

»Aber wir können doch nicht hierbleiben und warten, bis wir verhungert sind«, protestierte Aton.

»So lange müssen wir nicht warten«, beruhigte ihn Sascha. »Dein hundegesichtiger Freund wird bestimmt zurückkommen. Und nicht allein.« Sie schüttelte entschlossen den Kopf. »Wir müssen dort hinunter. Vielleicht gibt es einen zweiten Ausgang.«

Yassirs Gesicht sah so aus, als fielen ihm auf Anhieb fünftausend Gründe ein, diesen Vorschlag abzulehnen. Aber dann drehte er sich noch einmal zu der verschlossenen Tür herum, maß sie mit einem langen, betrübten Blick und nickte schließlich. Ohne ein weiteres Wort machten sie sich auf den Rückweg.

Diesmal nahm sich Aton die Mühe, die Stufen zu zählen, die sie hinuntergingen. Es waren mehr als dreihundert, was nichts anderes bedeutete, als daß sie sich bereits tief unter der Pyramide befanden, ehe sie die Tür der Schatzkammer passierten.

Ihm fiel auf, daß Sascha die Seite wechselte, als sie daran vorübergingen, als wäre es wichtig für sie, sich so weit von ihr zu entfernen, wie es nur ging. Er sagte nichts dazu, nahm sich aber fest vor, später noch einmal auf dieses Thema zurückzukommen; ebenso wie auf Saschas sonderbaren Schwächeanfall. Bisher hatte er sich stets mit Erfolg eingeredet, daß er nur übernervös war und sich alles nur einbildete, doch mittlerweile gab es kaum noch einen Zweifel daran, daß mit Sascha irgend etwas nicht stimmte.

Ihre Schritte wurden unwillkürlich langsamer, als sie sich weiter in die Tiefe bewegten. Der Scheinwerferstrahl glitt über graubraunen Fels, der jetzt frei von allen Verzierungen und Bildern war, und über Stufen, die vielleicht seit Jahrtausenden kein menschlicher Fuß mehr betreten hatte. Es gab keine weitere Tür oder Abzweigung.

Aton war gerade soweit, die Hoffnung, jemals das Ende dieser Treppe zu erreichen, tatsächlich aufzugeben, als der Scheinwerferstrahl plötzlich nicht mehr auf Widerstand traf, sondern sich in der Leere am Ende der Treppe verlor. Unwillkürlich blieben sie stehen. Sascha und Yassir tauschten einen Blick, ehe sie - jetzt sehr viel langsamer - weitergingen.

Die Treppe mündete nach einem weiteren Dutzend Stufen in einer Höhle, die so gewaltig war, daß der Lichtstrahl weder die Decke noch die gegenüberliegende Wand erreichte. Ein intensiver Geruch nach Feuchtigkeit und Alter schlug ihnen entgegen, Wasser glitzerte im Licht der Lampe. Zögernd bewegten sie sich tiefer in die Höhle hinein. Schon nach ein paar Schritten sah Aton, daß das Ufer nur wenige Meter breit war. Dahinter bewegten sich die Fluten eines unterirdischen Flusses, der mit enormer Geschwindigkeit dahinwogte.

»Phantastisch!« murmelte Sascha. »Was mag das sein?« Ihre Stimme hatte in der Weite der Höhle einen fast unheimlichen Klang. Das Echo schien eine Antwort zu wispern, die nicht verständlich war, trotzdem aber von uralten, düsteren Geheimnissen erzählte. Da weder Yassir noch Aton etwas sagten, beantwortete sie ihre Frage nach einigen Sekunden selbst. »Vielleicht der Weg hier heraus.«

»Kaum«, sagte Yassir.

Sascha und Aton blickten ihn fragend an, doch statt einer Antwort richtete er den Strahl seines Scheinwerfers nun direkt auf den Fluß. Unter den Wellen war Bewegung. Dunkelgrüne Schuppen glitzerten im bleichen Licht, fingerlange Zähne schimmerten knochenweiß, und kleine, aufmerksame Augen musterten sie tückisch. Aton verwarf den Gedanken, in diesem Fluß zu schwimmen, beinahe schneller, als er ihn gefaßt hatte.

Erstaunlicherweise schien Sascha der Anblick der Krokodile jedoch viel mehr zu erfreuen als zu beunruhigen. Aufgeregt näherte sie sich dem Fluß. »Ganz im Gegenteil, Yassir«, führte sie den begonnenen Gedanken fort. »Vielleicht bedeuten diese Krokodile unsere Rettung.«