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Yassir blickte sie völlig verständnislos an, und auch Aton ertappte sich bei dem Gedanken, ob die Ereignisse der letzten Stunden vielleicht zu viel für Sascha gewesen waren, so daß sie nun anfing, wirres Zeug zu reden.

»Wieso?« fragte er.

Sascha wandte sich zu ihm um. »Verstehst du denn nicht?« sagte sie. »Krokodile können nicht unter Wasser atmen«, erklärte sie. »Wenn sie hier sind, bedeutet das, daß dieser Fluß irgendwo wieder an die Oberfläche tritt. Und wahrscheinlich nicht einmal sehr weit entfernt. Es muß ein Seitenarm des Nil sein. Wir müssen ihm nur folgen, und wir kommen früher oder später wieder ans Tageslicht.«

Aton fragte sich verblüfft, wieso er nicht selbst auf diesen an sich so naheliegenden Gedanken gekommen war, doch noch bevor er dies aussprechen konnte, versetzte Yassir seinem Optimismus einen kräftigen Dämpfer. »Das ist nicht gesagt«, sagte er. »Sie können ebensogut einfach hier unten leben. Außerdem können sie sehr wohl ein gehöriges Stück unter Wasser schwimmen. Wir nicht. Wir können nicht einmal im Wasser schwimmen - nicht in diesem Wasser.« Er deutete auf die Krokodile.

Es war deutlich zu sehen, daß seine Worte Sascha ärgerten. »Haben Sie einen besseren Vorschlag?« fragte sie scharf.

Yassir blieb ruhig. »Auf jeden Fall sollten wir uns erst einmal in aller Ruhe umsehen, bevor wir vielleicht etwas Falsches tun«, sagte er. Ohne Saschas Reaktion abzuwarten, drehte er sich herum und begann, ein Stück flußaufwärts am Ufer entlangzugehen, und da er dabei natürlich die Lampe mitnahm und weder Sascha noch Aton große Lust verspürten, im Dunkeln zurückzubleiben, mußten sie ihm wohl oder übel folgen.

Sie waren erst ein kurzes Stück gegangen, als der Lichtstrahl etwas aus der Dunkelheit riß, was nicht natürlichen Ursprungs war. Am Flußufer lag ein wirrer Haufen aus herangespültem Holz und Abfällen, doch als sie näher kamen, erkannte Aton rasch, was es wirklich war. Scheinbar achtlos hingeworfene Statuen, die Menschen, Tiere oder auch Götter darstellten, aber auch Werkzeuge, Dinge des täglichen Gebrauchs, Krüge und alles mögliche andere. All diese Gegenstände hatten im Grunde nur eines gemeinsam - sie waren sichtlich sehr alt.

»Das muß von denen stammen, die die Pyramide erbaut haben«, sagte Sascha, während Yassir seinen Scheinwerferstrahl geduldig weiterwandern ließ. Plötzlich stieß er einen halblauten, überraschten Ruf aus und hob deutend den Arm. Und auch Aton hätte vor Erleichterung fast aufgeschrien. Kaum zwanzig Meter entfernt lag etwas am Flußufer, was ihm in diesem Moment wie ein Geschenk der Götter vorkam (und wenn man es recht bedachte, dann war es das wohl auch): ein schlankes Boot aus schwarzem Holz, in dem sich sogar Ruder befanden. Rasch eilten sie darauf zu, und Aton kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, als er sah, daß es sogar einen Mast mit einem sauber darum gewickelten Segel hatte.

»Das ist die Rettung«, sagte Sascha erleichtert. »Damit kommen wie hier heraus. Helft mir, es ins Wasser zu schieben.«

Aton griff unverzüglich zu, aber Yassir betätigte sich abermals als Spielverderber. Er rührte sich nicht, sondern schüttelte nur zweifelnd den Kopf. »Das halte ich für keine gute Idee«, sagte er.

»Ziehen Sie es vor, zu schwimmen?« gab Sascha scharf zurück, aber Yassir ließ sich auch diesmal nicht provozieren, sondern antwortete in ruhigem Ton: »Dieses Boot liegt seit mindestens drei- oder viertausend Jahren hier. Ich glaube nicht, daß es noch schwimmt.« Um seine Behauptung zu untermauern, trat er mit dem Fuß vor den Bootsrumpf. Das Geräusch klang nicht, als wäre er auf Holz, sondern auf einen Fels getreten.

»Wie ich es mir gedacht habe«, sagte Yassir düster. »Es ist versteinert.«

Sascha schüttelte entschieden den Kopf. »Wir müssen es wenigstens versuchen«, sagte sie. »Wir können nicht hierbleiben. Helft mir!«

Yassirs Gesichtsausdruck wurde noch zweifelnder, aber er widersprach jetzt nicht mehr, sondern legte vorsichtig seine Lampe auf den Boden und griff dann, ebenso wie Aton, mit zu. Mit vereinten Kräften hoben sie das Boot, das zwar kaum fünf Meter lang war, trotzdem aber so schwer wie ein Felsbrocken, ins Wasser. Im ersten Moment schien es, als sollte Yassir recht behalten - das Boot schwamm nicht, sondern glitt einfach immer tiefer in den Fluß, aber dann geschah doch, worauf Aton kaum noch zu hoffen gewagt hatte: Das Holz war wohl doch nicht ganz versteinert, denn schließlich löste sich der Rumpf vom Felsen, und das Boot schwamm, wenn auch nicht sehr gut. Es ragte kaum zwei Fingerbreit aus dem Wasser.

»Es schwimmt«, sagte Sascha überflüssigerweise.

»Das ist doch Wahnsinn«, antwortete Yassir. »Eine einzige unvorsichtige Bewegung, und es geht unter.«

»Dann bewegen wir uns eben nicht«, antwortete Sascha. Sie machte eine Kopfbewegung in die Dunkelheit zurück. »Wollen Sie laufen? Oder warten, bis Ihre Freunde kommen?«

Yassir schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es. Aber er mochte einsehen, daß Sascha wohl fest entschlossen war, dieses Boot zu benutzen, denn er verlegte sich auf eine andere Taktik. »Wir haben keine Ahnung, wohin dieser Fluß führt«, sagte er. »Es kann ein kleines Stück sein, ebensogut aber viele Kilometer. Außerdem ist die Strömung sehr stark.«

»Und?« fragte Aton.

»Das könnte bedeuten, daß vor uns ein Wasserfall oder eine Stromschnelle liegt«, antwortete Yassir. »Und dann gehen wir mit diesem Ding garantiert unter. Ganz davon abgesehen, daß wir nicht wissen, was uns dort vorne erwartet - selbst wenn wir nicht ertrinken oder von Krokodilen gefressen werden.«

Sascha seufzte tief. Und vermutlich wären die beiden nun ernsthaft in Streit geraten, doch in diesem Moment drangen Geräusche aus der Dunkelheit zu ihnen, die nicht vom Fluß oder den Krokodilen darin verursacht wurden. Sascha hob rasch die Hand, und auch Yassir legte lauschend den Kopf auf die Seite. Sein Gesicht verdüsterte sich. »Sie kommen«, sagte er.

»Dann bleibt uns keine Wahl«, sagte Sascha. »Rasch!«

Diesmal sträubte sich Yassir nicht mehr. Mit vereinten Kräften schoben sie das Boot vollends ins Wasser, und er war sogar der erste, der an Bord ging. Das kleine Gefährt sank tiefer in die Wellen, als Sascha und Aton Yassir folgten. Der Bootsrand befand sich gerade noch einen Zentimeter über der Wasseroberfläche, und bei jeder noch so vorsichtigen Bewegung schwappte eiskalte Nässe zu ihnen herein. Auch Aton kamen jetzt ernsthafte Zweifel, ob dieses Boot sie tatsächlich noch tragen konnte. Wenn das seit Tausenden von Jahren ausgetrocknete Holz sich auch nur um eine Winzigkeit mit Wasser vollsaugte, würden sie untergehen, und wahrscheinlich hatten sie dann nur noch die Wahl, zu ertrinken oder von den Krokodilen gefressen zu werden.

Aber vielleicht ist das immer noch besser als das, was mit uns geschieht, wenn wir unseren Verfolgern in die Hände fallen, dachte Aton.

Es war ein sonderbares Gefühl, ein Ruder in die Hand zu nehmen, das sich nicht nur anfühlte, als wäre es aus Stein, sondern auch so schwer war. Aber es fiel ihnen erstaunlich leicht, das Boot damit von der Stelle zu bringen. Zwar schwappte weiteres Wasser zu ihnen herein, und das ganze Boot knirschte und ächzte bedrohlich, als sie sich vom Ufer entfernten und es vollends in die Strömung geriet, aber nach einer Weile fanden sie einen gleichmäßigen Takt. Das enorme Gewicht, vor dem sich Yassir so gefürchtet hatte, erwies sich nun als Vorteil, denn das Boot lag tatsächlich wie ein Stein im Wasser, so daß die Wellen es kaum zu bewegen vermochten. Zwar schwappte noch immer dann und wann ein wenig Wasser über den Rand, aber noch war es nicht so viel, daß sie sich in irgendeiner Hinsicht Sorgen machen mußten.

Unglücklicherweise waren das Wasser und ihr vorsintflutliches Boot nicht ihre einzigen Probleme. Vielleicht nicht einmal ihre größten ...

Sie näherten sich wieder der Stelle, an der sie die Höhle betreten hatten, als Aton erneut ein Geräusch hörte: die hechelnden, schnüffelnden Atemzüge ihres Verfolgers. Und seine Schritte. Und es waren eindeutig die Schritte von mehr als einer Person!