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Langsam näherten sie sich dem jenseitigen Ufer - das es im Grunde gar nicht gab, denn die Tempelfassade stieg unmittelbar aus dem Wasser empor. Mehr als mannsdicke, reichverzierte Säulen schienen die Decke der Höhle zu tragen, und eine Anzahl breiter Stufen führte zu einem tiefer in den Felsen hineinführenden Tor hinauf, das von zwei gut fünf Meter hohen Katzenstatuen flankiert wurde. Das Motiv der Katze - in allen nur denkbaren Variationen und Verfremdungen - wiederholte sich überall, so daß es nicht schwer zu erraten war, zu Ehren welcher Gottheit dieser Tempel errichtet worden war.

»Bastet«, sagte Sascha ehrfurchtsvoll. »Aber das würde bedeuten, daß wir ... großer Gott, weißt du, wie weit Bubastis von Gizeh entfernt ist?!«

»Dieser Fluß fließt sehr schnell«, sagte Yassir an Atons Stelle. »Außerdem gelten hier unten vielleicht andere Gesetze als dort, wo ihr herkommt.«

Sie kamen näher. Die Strömung trug sie so zuverlässig auf die Treppe zu, daß Aton bald begriff, daß der Tempel und das Tor keineswegs zufällig an genau dieser Stelle errichtet worden waren.

Er war der erste, der aufstand und auf die Treppe hinaufsprang, dicht gefolgt von Yassir, der sich unverzüglich herumdrehte und die Lampe dorthin richtete, wo die Einmündung des Flusses lag. Das gegenüberliegende Seeufer war zu weit entfernt, als daß der Lichtstrahl es erreicht hätte, aber Aton mußte die Verfolger nicht sehen, um zu wissen, daß sie noch da waren.

Diese Geschöpfe hatten ihn über den Abgrund von mehr als dreitausend Jahren verfolgt; sie würden sich kaum von einem See aufhalten lassen. Aber vielleicht hatten Sascha, Yassir und er genau die Zeit gewonnen, die sie brauchten, um diesen unterirdischen Tempel zu verlassen.

»Wenn es einen zweiten Ausgang gibt«, sagte Sascha.

Aton sah sie überrascht an. Erst nach einer Sekunde wurde ihm klar, daß er den letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte; und vielleicht nicht nur diesen.

»Möglicherweise ist diese ganze Anlage unterirdisch angelegt, und es gibt nur den Zugang durch die Pyramide.« Sascha stand auf und breitete hastig die Arme aus, als das ganze Boot unter ihr bedrohlich zu schwanken begann. Mit einem schnellen Sprung rettete sie sich auf die Treppe hinauf, und im selben Augenblick kippte das Boot endgültig zur Seite - und sank wie ein Stein. Aton konnte hören, wie es unter der Wasseroberfläche auf die Treppe aufschlug und in Stücke zerbrach.

»Das war knapp«, sagte Yassir, und Aton konnte sich des Gedankens nicht ganz erwehren, daß es für seinen Geschmack schon beinahe ein wenig zu knapp gewesen war. Das Boot hatte ganz genau so lange gehalten, wie sie es brauchten; nicht eine einzige Sekunde länger.

»Es hat doch gereicht, oder?« Sascha schnitt jede mögliche Antwort Yassirs mit einer entschlossenen Handbewegung zum oberen Ende der Treppe ab. »Leuchten Sie dorthin - bitte!«

Das letzte Wort hatte sie erst nach einer spürbaren Pause hinzugefügt, und in so scharfem Ton, daß dieser seinen Sinn nahezu ins Gegenteil verkehrte. Überhaupt, dachte Aton, wird der Ton zwischen Yassir und Sascha immer schärfer. Begann es nun auch hier? Erlag nun auch Sascha dem Einfluß der unheilbringenden Mächte, die ihm folgten?

Der Tempeleingang kam Aton aus der Nähe betrachtet viel gewaltiger vor als von weitem, aber das Innere des Tempels selbst war eine Enttäuschung - hinter dem Tor lag nämlich nichts als ein schmaler, sehr hoher Gang ohne Türen oder Abzweigungen, der nach fünfzig oder sechzig Schritten in eine nach oben führende Treppe mündete.

Unverzüglich begannen sie, sie hinaufzusteigen. Yassir übernahm mit seiner Lampe die Führung, wodurch Aton, der den Abschluß bildete, fast im Dunkeln ging - was ihm wiederum mehr Unbehagen bereitete, als er sich eingestehen wollte. Er versuchte sich vergeblich einzureden, daß die Hundekrieger noch gar nicht da sein konnten. Seine Logik sagte ihm, daß das nicht möglich war. Aber logisch betrachtet dürfte es diese Hundekrieger gar nicht geben. Aton ertappte sich immer öfter dabei, nervös über die Schulter zurückzublicken und regelrecht darauf zu warten, von einer hundegesichtigen Scheußlichkeit angesprungen zu werden.

Die Treppe zog sich ein Stück weit gerade dahin und machte dann einen scharfen Knick nach links, und kaum war Aton ihm gefolgt, da sah er weit über sich einen winzigen, dunkelblauen Fleck, auf dem weiße Lichtpunkte schimmerten: einen Ausschnitt des Nachthimmels, der am Ende der Treppe sichtbar wurde. Beinahe unnötig zu erwähnen, daß in diesem Moment die Lampe erlosch. Die Batterien waren leer, nachdem sie gut zehnmal so lange gehalten hatten, wie es eigentlich möglich war ...

Der Tempel der Katzengöttin

Die plötzliche Dunkelheit gab ihnen einen zusätzlichen Ansporn. Und wenn Aton bisher noch immer geglaubt hatte, mit seiner Furcht vor dem Dunkel allein zu sein, so bewies die Reaktion der beiden anderen, daß das nicht stimmte. Auch Sascha und Yassir beschleunigten unwillkürlich ihre Schritte, und die letzten Stufen legten sie schon beinahe rennend zurück. Der Ausgang des Treppenschachtes lag unter einem dichten Gestrüpp verborgen, durch das sie sich mühsam hindurchkämpften. Spitze Dornen und Stacheln zerkratzten ihre Haut. Trotzdem atmeten sie alle drei hörbar erleichtert auf, als sie endlich wieder im Freien waren. Erst jetzt spürte Aton, wie dunkel und unheimlich es dort unten gewesen war und wie verbraucht und stickig die Luft. Er hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit Stunden wieder frei atmen zu können, und zum ersten Mal seit derselben Zeit hatte er nicht ununterbrochen Angst davor, sich herumzudrehen und die Gestalt eines ihrer unheimlichen Verfolger hinter sich zu erblicken.

»Wo sind wir?« fragte Sascha.

Yassir sah sich einen Augenblick aufmerksam um, ehe er antwortete. »Bubastis«, sagte er dann und deutete auf etwas, was Aton nur als schwarzen Schatten vor einem noch schwärzeren Hintergrund auszumachen vermochte. »Das dort ist der Tempel der Bastet. Wir sind weit außerhalb von Kairo.«

»Also doch«, sagte Sascha kopfschüttelnd. Sie sah auf die Uhr und runzelte plötzlich die Stirn.

»Das ist seltsam«, sagte sie.

»Was?« fragte Aton.

»Sie ist stehengeblieben«, antwortete Sascha. »Zu der Zeit, als wir die Pyramide betreten haben.«

Nach allem, was sie bisher erlebt hatten, hätte Aton das nicht einmal erschrecken dürfen, ja, eigentlich nicht einmal mehr überraschen. Trotzdem spürte er ein neuerliches eiskaltes Frösteln. Vielleicht würde er sich nie daran gewöhnen, mit Mächten zu tun zu haben, die mit den scheinbar unumstößlichsten Gesetzen der Natur spielten wie Kinder mit ihren Bauklötzchen.

»Es muß fast Morgen sein«, sagte Yassir mit einer Geste in den Himmel. »In einer Stunde spätestens geht die Sonne auf.«

Die Aussicht auf das Ende der Nacht und damit der Dunkelheit hätte Aton erleichtern müssen, aber sie tat es nicht. Er konnte nur daran denken, daß sie einen weiteren Tag verloren hatten. Vielleicht, dachte er, war das sogar der einzige Grund für den Angriff der Hundekrieger gewesen. Ihre Chancen, noch rechtzeitig genug zur Baustelle zu kommen, um seine Eltern und all diese ahnungslosen Menschen dort zu warnen, waren praktisch auf Null gesunken.