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Dieses Wissen war es wohl auch, das Sascha veranlaßte, nicht noch einmal in Richtung der Straße zu laufen, sondern wieder zum Tempel zurückzueilen, wobei sie Aton mit sich zerrte.

Nach wenigen Sekunden erreichten sie das Gewirr aus Steintrümmern und zerbrochenen Mauern, das ihnen vielleicht keine Sicherheit bot, in dem sie sich aber zumindest verstecken konnten. Aton sah verzweifelt in den Himmel hinauf. Er war so dunkel wie zuvor, aber wenn Yassirs Behauptung von vorhin der Wahrheit entsprach, dann mußte es nun wirklich bald hell werden. Das Tageslicht war ihr Verbündeter. Wenn sie sich lange genug verstecken konnten, dann hatten sie vielleicht doch noch eine winzige Chance, diese Nacht lebend zu überstehen.

Der Gedanke erinnerte ihn wieder an Yassir. Sie hatten den Ägypter aus den Augen verloren, und auch wenn Aton nicht wirklich glaubte, daß Yassir in Gefahr sei, so sah er sich doch einen Moment suchend um und wandte sich dann mit einer entsprechenden Frage an Sascha. Sie zuckte mit den Schultern.

»Ich habe ihn nicht gesehen. Vielleicht ist er ja entkommen. Oder hat sich irgendwo versteckt.«

Aton wollte eine weitere Frage stellen, aber Sascha schüttelte den Kopf und deutete mit einer Hand auf das Gräberfeld hinaus. Die Hunde hatten sie bisher nicht verfolgt, und als Atons Blick der Geste folgte, wurde ihm auch der Grund dafür klar.

Die bizarre Schlacht entwickelte sich anders, als er geglaubt hatte. Fast die Hälfte der Hundekrieger lag reglos am Boden, und die anderen sahen sich von einer immer größer werdenden Anzahl mumifizierter Katzen angegriffen. Immer mehr und mehr der Tiere brachen aus dem Boden hervor. Das ganze Gräberfeld schien zu wogender Bewegung erwacht zu sein. Es war ein furchtbarer Anblick, doch zugleich so faszinierend, daß Aton den Blick nicht davon wenden konnte.

Und dabei stand ihm das Unheimlichste noch bevor.

Sascha hob plötzlich den Arm und deutete mit einem überraschten Ausruf zur Straße hinüber. Schweres Rollen und helles Klappern erklang, und plötzlich löste sich etwas aus dem Dunkel. Es war ein zweirädriger, hölzerner Wagen, der von zwei gewaltigen Hengsten in der Farbe der Nacht gezogen wurde. Es war der Streitwagen. Hinter der blind gewordenen goldenen Brüstung stand die Mumie mit Schild und Lanze, aber nun war ein zweiter Passagier hinzugekommen. Aton konnte kaum mehr als seinen Schatten erkennen, doch schon an diesem Schatten war etwas unheimlich Bedrohliches. Er war sehr groß, viel größer als die Mumie, unglaublich breitschultrig und irgendwie von falscher Form, ohne daß Aton dieses Gefühl im mindesten hätte begründen können.

Der Wagen kam sehr schnell näher. Mit einem Mal verlor der Angriff der Katzen mehr und mehr an Stärke, und als der Streitwagen schließlich von der Straße ab- und auf das Gräberfeld einbog, da ließen die überlebenden Tiere eines nach dem anderen von ihren Opfern ab und wandten sich zur Flucht.

Aus der schwarzen Woge, die über die Hundekrieger hereingebrochen war, wurde eine, die vor ihnen zurückwich. Die ersten Tiere hatten bereits die Tempelruine erreicht und suchten in deren Schatten Schutz, so daß Aton instinktiv ein kleines Stück zurückwich, denn obwohl sie ihnen geholfen hatten, auf eine andere Art machten ihm die auf so unheimliche Weise wieder zum Leben erwachten Katzenmumien fast ebenso große Angst wie die Hunde.

Aton konnte den zweiten Passagier des Wagens noch immer nicht genau erkennen, aber das unheimliche Gefühl, das die Gestalt ausstrahlte, war noch intensiver geworden; etwas wie eine unsichtbare Dunkelheit schien den breitschultrigen Riesen zu umgeben, der den Wagenlenker um beinahe zwei Haupteslängen überragte. Trotz der großen Entfernung und der Dunkelheit konnte Aton den Blick der Gestalt deutlich fühlen; er war fast so intensiv wie eine Berührung und so unangenehm, daß er beinahe laut aufgestöhnt hätte.

Der Wagen näherte sich den verbliebenen Hundekriegern und wurde dabei langsamer, und so, wie sein Auftauchen die Katzen in die Flucht geschlagen hatte, schien er den hundegesichtigen Wesen neue Kraft zu verleihen. Noch immer ein wenig zögernd, aber schneller werdend, näherten sie sich der Tempelruine, wobei sie die Katzenmumien, die ihnen in den Weg gerieten, einfach niedertrampelten. Die Katzen ihrerseits versuchten nicht mehr, ihre alten Feinde anzugreifen, sondern suchten ihr Heil einzig in der Flucht.

Doch dann geschah etwas Sonderbares. Je mehr sie sich dem eigentlichen Tempel näherten, desto langsamer wurden die Hunde wieder und desto unwilliger der Rückzug der Katzen.

Schließlich kam der Vormarsch des halben Dutzends spitzgesichtiger Hundekreaturen vollends zum Stehen, und sie hätten auch gar nicht weitergehen können, denn sie sahen sich einer dichtgedrängten Menge aus Hunderten, wenn nicht Tausenden mumifizierter, nichtsdestotrotz aber höchst lebendiger Katzen gegenüber, die eine undurchdringliche Mauer zwischen ihnen und dem eigentlichen Tempel bildete.

Atons Blick löste sich von der unheimlichen Szene und suchte wieder den Kampfwagen. Er war dort stehengeblieben, wo er mit den Hunden zusammengetroffen war. Die Mumie hatte sich nicht gerührt, sondern stand reglos da und starrte zu Aton und Sascha hinüber, aber die andere Gestalt war vom Wagen herabgestiegen und kam nun mit langsamen, gemessenen Schritten näher. Die Hunde wichen respektvoll zur Seite, um ihr Platz zu machen, aber erst als sie die vorderste Linie der Katzenarmee beinahe erreicht hatte, erkannte Aton sie deutlicher.

Und diesmal konnte er einen Schrei nicht mehr unterdrücken.

Von den Füßen bis zu den Schultern glich die Gestalt einem Menschen, wenn auch einem wahren Riesen von mehr als zwei Metern Größe und so breiten Schultern, daß er fast mißgestaltet wirkte. Aber sein Kopf war nicht der eines Menschen. Wie bei den Hundegeschöpfen thronte über seinen Schultern ein Tierschädel - der eines gewaltigen Falken.

»Horus!« flüsterte Sascha. Ihre Stimme bebte vor Entsetzen. »Mein Gott, das ... das ist Horus!«

Aton hätte nicht einmal antworten können, wenn er es gewollt hätte. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und sein Herz schlug plötzlich so hart, daß sein ganzer Körper im Takt seines Pulses zu zittern begann. Er wußte, daß Sascha recht hatte. Er hatte es gespürt, lange bevor er die Gestalt wirklich sah, und trotzdem versetzte ihm ihr Anblick einen Schock, wie er schlimmer nicht hätte sein können. Der Gedanke, einem leibhaftigen Gott gegenüberzustehen, war fast mehr, als er ertragen konnte.

Aber es war Horus. Kein Mensch, der sich eine Maske übergestülpt hatte, keine Laune der Natur - Aton wußte mit unerschütterlicher Sicherheit, daß sie tatsächlich dem Falkengott der alten Ägypter gegenüberstanden. Er konnte das unglaubliche Alter und die unvorstellbare Macht dieses Geschöpfes beinahe körperlich spüren. Und die unbeschreibliche Bosheit, die es umgab.

Bis zu diesem Moment war Aton nicht sicher gewesen, daß es so etwas wie das absolut Böse überhaupt gab; sowenig wie das vollkommen Gute. Horus' Anblick aber überzeugte ihn beinahe vom Gegenteil. Vielleicht war dieses Geschöpf nicht immer so gewesen. Vielleicht hatte es einst andere Gefühle gekannt, hatte es gute und schlechte Seiten gehabt, Stärken und Schwächen wie jede denkende Kreatur. Aber wenn, so hatten Jahrtausende, die es am Rande des Vergessens dahingedämmert hatte, all diese Unterschiede ausgelöscht. Ungezählte Jahrhunderte, die es in jenem grauen Schattenreich zwischen Vergessen und Leben hatte existieren müssen, hatten es zu einem Wesen werden lassen, das nur noch aus Zorn und Haß auf alles Lebendige, auf alles Fühlende, auf alles, was in der Lage war, zu lachen und Freude zu empfinden, bestand. Vielleicht war es nicht das Böse an sich, dem Aton gegenüberstand, aber es kam ihm doch so nahe, wie es nur ging. Sein bloßer Anblick lähmte ihn, und das Gefühl seiner Nähe erfüllte ihn mit einer Kälte, die alles, was nicht Angst und Entsetzen war, aus ihm herauszubrennen schien.