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Und er war mit diesen Empfindungen wohl nicht allein, denn Sascha ließ plötzlich ein leises Stöhnen hören und trat näher an ihn heran. Zitternd schmiegten sie sich aneinander wie zwei verängstigte Tiere, die sich vor den Gewalten eines Unwetters fürchteten, die sie nicht verstehen konnten.

Auch die Katzen wichen vor Horus zurück, so weit es ging. Aber es waren so viele, daß sie sich gegenseitig behinderten und nicht wenige einfach niedergetrampelt wurden. Und so groß ihre Furcht auch sein mochte, als auf Horus' Wink hin einer der Hundekrieger versuchte, ihre Reihen zu durchbrechen, wandten sie sich um und trieben ihn mit Krallenhieben und Bissen zurück.

Auch Horus blieb stehen, wenn auch - dessen war sich Aton vollkommen sicher - nicht aus Furcht vor den Katzen. Die Geschöpfe konnten ihm sowenig etwas antun, wie Aton oder Sascha es gekonnt hätten. Sein Zögern hatte einen anderen Grund, und Aton wußte auch, welchen. Der Gedanke steigerte seine Furcht ins Unermeßliche, aber er lähmte ihn auch noch mehr.

Der Blick der schwarzen Falkenaugen wanderte für einen Moment über die Armee der Katzen, löste sich dann von ihr, um die Tempelruine abzusuchen, und verharrte dann, direkt auf Aton und Sascha gerichtet.

Es war, als hätte ihn glühende Kohle berührt. Aus der eisigen Lähmung in seinem Inneren wurde ein loderndes, grausames Feuer, das ihn mit einem Schmerz erfüllte, der nicht körperlich war, aber viel schlimmer, als es jede körperliche Pein hätte sein können. Er spürte ... Zorn und einen Haß, der sich mit Worten nicht beschreiben ließ, und eine unvorstellbare Gier nach Leben und Macht. Plötzlich wußte er, daß er sich getäuscht hatte. Dieses Geschöpf würde sich nicht damit zufriedengeben, die Herrschaft über einige wenige Menschen an sich zu reißen oder auch nur über sein früheres Reich. Aton krümmte sich wie in körperlicher Qual, und neben ihm begann Sascha zu zittern und leise zu stöhnen. Atons Schulter pochte. Das leise Kribbeln, das er gewöhnlich bei körperlichen Anstrengungen oder auch großer Aufregung empfand, wurde zu einem qualvollen Hämmern, und er hatte kaum noch die Kraft, sich auf den Beinen zu halten.

Plötzlich riß Horus die Arme in die Höhe, und in derselben Sekunde löste sich etwas Unsichtbares, unvorstellbar Starkes aus seinem Schatten und fuhr unter die Katzen. Wo es sie traf, da zerbarsten sie einfach zu Staub. Binnen Sekunden klaffte in der Katzenarmee eine mehr als zehn Meter breite Bresche, in der nichts Lebendiges mehr war. Und im selben Moment stürmten auch die verbliebenen Hundekrieger wieder vor.

Diesmal versuchten die Katzen nicht mehr, sie aufzuhalten, sondern ergriffen in heller Panik die Flucht. Doch so verheerend dieser Angriff auch gewesen sein mochte, vielleicht rettete er Aton und Sascha das Leben, denn im selben Augenblick, in dem sich Horus' Aufmerksamkeit den Katzen zuwandte, wich die tödliche Lähmung von ihnen, und sie fuhren beide in einer einzigen Bewegung herum und stürmten davon, tiefer in das steinerne Labyrinth der Tempelruine hinein. Hinter ihnen erscholl ein schrilles, enttäuschtes Jaulen, gefolgt von einem Kläffen und Hecheln, und dann erklang ein Geräusch, wie er es nie zuvor im Leben gehört hatte und nie wieder hören sollte: Es war der Schrei eines Vogels, aber so laut, so wild und so voller Zorn und Haß, daß Aton ebenfalls aufschrie und im Laufen die Hände auf die Ohren preßte. Das konnte dem Geräusch nichts von seiner schrecklichen Wirkung nehmen, denn es schien direkt in seinem Kopf zu entstehen, und es war etwas, was er in Wirklichkeit viel mehr fühlte als hörte. Halb blind vor Schmerz und Angst taumelte er weiter, prallte gegen ein Hindernis und wäre gestürzt, hätte Sascha ihn nicht wieder einmal am Arm ergriffen und einfach mit sich gezerrt.

Während sie ihre verzweifelte Flucht fortsetzten, sah Aton immer wieder über die Schulter zurück, und der Anblick schien bei jedem Mal schlimmer zu werden. Die Gestalt mit dem Falkenkopf folgte ihnen, nicht schnell, aber mit der absoluten Unaufhaltsamkeit einer Naturkatastrophe. Hinter ihm schritten die Hundekrieger einher, und die überlebenden Katzen waren in den Tempel zurückgewichen und bildeten noch immer eine lebendige Barriere zwischen Horus und seinen Kriegern und Sascha und Aton. Aber sie versuchten jetzt kaum noch, die Hundegeschöpfe oder gar Horus selbst anzugreifen.

Wo der Falkengott entlangschritt, da zerbarsten sie in kleinen, wirbelnden Staubexplosionen, sobald er auch nur eine nachlässige Handbewegung machte, und den viel größeren Hundekriegern bereitete es nun keine Mühe mehr, die Angreifer abzuschütteln oder fortzuschleudern.

Sie hatten die Ruine bereits fast zur Hälfte durchquert, als Sascha plötzlich stolperte, nach einem letzten ungeschickten Schritt auf die Knie herabsank und dann ganz fiel. Aton wurde mitgerissen. Er konnte seinen Sturz im letzten Moment abfangen und wandte sich um, um Sascha hochzuhelfen.

Die wenigen Sekunden, die sie durch dieses Mißgeschick verloren, waren zu viele. Als sich Sascha, ungeschickt und noch halb benommen von dem Sturz, wieder auf die Füße erhob, waren sie umzingelt. Horus selbst war in einigen Schritten Abstand stehengeblieben und starrte sie aus seinen schrecklichen Vogelaugen an, aber die Hundekrieger hatten sie eingekreist und begannen wieder näher zu kommen. Diesmal war nichts mehr da, was ihnen helfen konnte. Die meisten Katzen waren tot oder geflohen, und die wenigen Tiere, die sich noch in ihrer Nähe aufhielten, stellten keine ernsthafte Behinderung der Hundekrieger dar.

Horus hob wieder die Hände. Und es geschah etwas, was Aton schon einmal erlebt hatte, und da am eigenen Leib. Horus' ausgestreckter Arm deutete auf Sascha. Eine halbe Sekunde lang waren seine Finger gespreizt, dann schlossen sie sich mit einem Ruck zur Faust, und im selben Moment taumelte Sascha zurück, schlug beide Hände gegen die Kehle und begann verzweifelt um Atem zu ringen.

Ihr Schrei wurde zu einem erstickten Keuchen, das nach einer Sekunde ganz verstummte, und ihr Gesicht wurde zu einer Grimasse der Qual. Sie taumelte zwei, drei Schritte rückwärts, sank auf ein Knie herab und krümmte sich. Aton war mit einem Satz bei ihr, aber er konnte nichts tun, als ihre Schultern zu ergreifen und sie festzuhalten. Horus' furchtbarer Zauber erstickte sie. Sie würde sterben, hier und jetzt und vor seinen Augen und ohne daß er etwas dagegen tun konnte. Horus hätte ebensogut Aton selbst angreifen können, doch Aton begriff plötzlich, daß er dies ganz absichtlich nicht getan, sondern statt dessen sie angegriffen hatte, wohl wissend, daß Aton vermutlich keine Rücksicht auf sein eigenes Leben genommen hätte. Wie jeder Mensch hatte Aton Angst vor dem Tod und viel mehr noch vor einem qualvollen Sterben, aber er hatte doch begriffen, daß es in diesem Ringen der Götter um mehr als ein oder auch hundert Menschenleben ging, sondern um die Zukunft eines ganzen Volkes, ja, vielleicht sogar der ganzen Welt. Möglicherweise hätte er sein eigenes Leben geopfert, aber der Gedanke, daß Sascha an seiner Stelle sterben sollte, war mehr, als er ertrug. Eine Sekunde lang starrte er sie noch hilflos und voller Verzweiflung an, dann fuhr er herum und trat mit einem Schritt zwischen sie und den Falkengott.

»Hör auf!« rief er. »Ich gebe auf. Du hast gewonnen.«

Einen Herzschlag lang blieb Horus' Arm noch reglos ausgestreckt, die Hand weiter geschlossen, und für dieselbe Zeit ruhte sein Blick durchdringend auf Atons Gesicht, und Aton spürte, wie etwas tief in sein Innerstes griff und sich davon überzeugte, daß er die Wahrheit sprach. Horus las nicht seine Gedanken, aber Aton wußte auch, daß es unmöglich war, dieses Geschöpf zu belügen. Schließlich öffnete Horus die Hand und ließ den Arm sinken.

Hinter ihm atmete Sascha keuchend ein und stürzte vollends zu Boden, aber Aton sah sich nicht nach ihr um, sondern hielt dem Blick des Falkengottes ruhig stand. Sein eigener Mut überraschte ihn ein wenig, aber eigentlich war es gar kein Mut. Es war etwas anderes, etwas auch für ihn Neues, das jenseits von Begriffen wie Tapferkeit oder Furcht lag und das vielleicht dem Bewußtsein entsprang, am Ende seines Weges angelangt zu sein, an einem Punkt, an dem ihm Mut sowenig weiterhalf wie Angst und an dem er nichts mehr tun, sondern nur noch abwarten konnte, was mit ihm getan wurde. Statt vor Horus zurückzuweichen, trat er einen weiteren Schritt auf ihn zu und sagte noch einmaclass="underline" »Laß sie leben. Du kannst mich haben, aber laß sie gehen.«