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Den Bruchteil einer Sekunde bevor die tödlichen Klauen Aton packen konnten, erreichte sie die Sphinx und riß sie mitten in der Bewegung herum. Mit unvorstellbarer Gewalt wurde das Ungeheuer gegen die Felswand geschleudert, daß der ganze Berg zu erbeben schien, und auch Aton fühlte sich von einer unsichtbaren Riesenhand getroffen, so daß er den letzten Schritt hinaus ans Tageslicht nicht ging, sondern regelrecht aus dem Ausgang hinausgeworfen wurde, Himmel und Erde führten einen irren Hexentanz rings um ihn auf, als er auf Stein und Geröll in die Tiefe schlitterte, denn der Höhlenausgang lag hoch in der Flanke einer steilen, felsigen Böschung.

Irgendwie gelang es Aton, seine rasende Rutschpartie abzubremsen. Mit aufgeschürften Händen und Knien und inmitten einer gewaltigen Staubwolke kam er zum Stillstand - aber es war noch nicht vorbei.

Aton hatte kaum den Kopf gehoben, um nach oben zu sehen, da schien sich der gesamte Höhlenausgang in einen feuerspeienden Vulkan zu verwandeln. Inmitten einer weißen und orangefarbenen Flammenwolke brach die Sphinx aus dem Berg, tobend und brüllend vor Schmerz und wahnsinnigem Zorn, aber um nichts langsamer als bisher. Eine Steinlawine löste sich unter ihren stampfenden Schritten und polterte den Abhang hinunter.

Und nun hatte ihn die Sphinx erspäht. Aton sah jetzt mit eigenen Augen, daß seine Vermutung richtig gewesen war: Das Ungeheuer konnte im hellen Tageslicht nicht existieren. Die Sonnenstrahlen töteten es. Die Flammen, die bisher nur an seinem rechten Flügel gezüngelt hatten, breiteten sich rasend schnell über seinen gesamten Körper aus und begannen ihn zu vernichten.

Doch so schnell das Licht des Gottes Aton die Sphinx auch verzehrte - es war nicht schnell genug. Mit gewaltigen Sätzen, die lichterloh brennenden Flügel weit ausgebreitet, raste die Sphinx auf Aton zu. Selbst wenn sie nicht mehr die Kraft hatte, ihn anzugreifen, würde sie Aton einfach unter sich begraben und zermalmen.

In diesem Moment erschien Petach im Höhleneingang. Er wiederholte die beschwörende Bewegung, die er schon einmal drinnen in der Höhle gemacht hatte - und die Kräfte, die er diesmal entfesselte, waren ungleich stärker.

Die Sphinx wurde regelrecht zerfetzt. Petachs Zauber traf sie kaum zwei Meter von Aton entfernt und ließ sie in Millionen winziger Trümmer zerbersten, die rings um Aton niederregneten, glühend heiß und so hart wie der Stein, der sie vermutlich auch gewesen war, ehe ein uralter, finsterer Zauber sie mit Leben beseelt hatte.

Der Berg zitterte. Petachs Kräfte, einmal entfesselt, tobten weiter, ließen die Luft stöhnen und den Fels unter Aton knirschen. Er begann wieder zu rutschen, versuchte vergeblich, sich mit den bloßen Händen in den Boden zu krallen. Und diesmal gelang es ihm nicht mehr, seinen rasenden Sturz abzubremsen. Schneller und schneller werdend, schlitterte er die Böschung hinab, schlug gegen Felsen, wurde von Steinen getroffen und riß eine immer größer werdende Trümmerlawine los.

Sein Vater, seine Mutter und die gut zwanzig anderen Touristen, die durch den Lärm der Geröllawine angelockt herbeigeeilt kamen, brauchten mehr als eine halbe Stunde, um Aton unter den Trümmern hervorzuziehen ...

An dieser Stelle endete der Traum, und er hörte so sonderbar auf, wie sein ganzer Ablauf gewesen war: Aton erwachte nicht einfach. Der Traum gab ihn frei, weil er an seinem Ende angelangt und zumindest dieser Teil der Geschichte damit zu Ende erzählt war: Die verborgenen Türen seiner Erinnerung (bis auf eine, die ihr Geheimnis beharrlich weiter verteidigte) hatten sich geöffnet und ihm gezeigt, was dahinter lag, und nun gab es nichts mehr, was er noch wissen mußte, er durfte erwachen.

Das erste, was er sah, als er die Augen aufschlug, war Petachs Gesicht. Der Ägypter saß mituntergeschlagenen Beinen neben ihm und blickte sehr ernst auf ihn herab, und in seinem Gesicht mischten sich Sorge und Kümmernis mit einer sonderbaren Entschlossenheit.

»Jetzt weißt du endlich alles«, sagte Petach, und die Worte ließen Aton endgültig begreifen, daß sein Traum kein Traum gewesen war - Petach hatte ihn geschickt, und vielleicht hatte er das heute nicht einmal zum ersten Mal getan, sondern von Anfang an. Zumindest war er bei ihm gewesen, während er noch einmal jene schrecklichen Stunden durchlebte, die um ein Haar mit seinem Tod geendet hätten.

Aber war es tatsächlich nur um ein Haar gewesen? Plötzlich war Aton sich dessen nicht einmal mehr sicher. Es war verrückt, aber je länger Aton darüber nachdachte, desto mehr hatte er das Gefühl, daß er damals wirklich gestorben war, nicht nur beinahe. Das war natürlich absurd - wäre er damals von der Steinlawine erschlagen worden, dann könnte er jetzt kaum hier sein. Aber das Gefühl blieb, und als er abermals in Petachs Augen sah, da erkannte er darin, daß er auch diesen Gedanken erriet. Und ihm nicht widersprach.

»Sie waren dabei, damals«, murmelte Aton. »Als ... als der Unfall geschah. Aber es war kein Unfall.«

Petach sah plötzlich schuldbewußt drein, und nach allem, was Aton nun wußte, hatte er auch allen Grund dazu. Trotzdem lächelte er nach einigen Sekunden, blieb Aton aber eine Antwort schuldig.

»Warum haben Sie es mir nicht gleich gesagt?« fuhr Aton nach einer Weile fort. »Sie hätten es mir erzählen müssen. Die ganze Geschichte, nicht immer nur so viel, wie ich unbedingt wissen muß.«

Diesmal antwortete Petach. »Vermutlich hast du recht«, sagte er. »Aber ich wollte ...« Er stockte, suchte einen Moment nach den richtigen Worten und setzte dann noch einmal neu und in verändertem Ton an. »Was ich dir ganz am Anfang erzählt habe, ist die Wahrheit. Ich dachte, ich könnte dich aus allem heraushalten, dir das Schlimmste ersparen. Ich habe mich geirrt.«

»Und nicht nur in diesem Punkt«, murmelte Aton und setzte sich auf. Petach hielt seinem Blick zwar weiter stand, aber Aton spürte deutlich, wie sehr ihn seine Worte verletzten. Doch sein Mitgefühl mit dem Ägypter hielt sich in Grenzen. Der Traum hatte ihn diesmal nicht mit Schrecken und Herzklopfen ins Wachsein hinüber verfolgt wie sonst, aber er war noch immer aufgewühlt und betroffen von dem, was er erlebt hatte. Zumal er nun wußte, daß es alles andere als ein bloßer Traum gewesen war.

»Der andere«, sagte er. »Der Mann, der bei Ihnen war. War das -?«

»Der Wanderer«, bestätigte Petach. »Eje. Ja, du hast ihn wiedererkannt.«

Wie hätte er das nicht? Jetzt, wo er wieder wach und völlig Herr seiner Sinne war, erinnerte er sich sofort an das Gesicht des Mannes, der ihn durch die unterirdische Pyramide und in den See hineingejagt hatte. Er würde dieses Gesicht niemals vergessen, solange erlebte. Aton nickte. »Natürlich. Immerhin hätte er mich um ein Haar schon einmal erwischt.«

Seltsam - aber Petach sah für einen Moment so aus, als wäre das nicht das, was er erwartet hatte. Doch er sagte nichts dazu, denn in diesem Moment sprach Aton endlich die Frage aus, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte.

»Wieso haben Sie mir geholfen?« fragte er. »Ich war doch ein völlig Fremder für Sie. Und die Sphinx hätte Sie töten können.«

»Weil es unsere Schuld war, daß du dort warst«, antwortete Petach. »Meine Schuld, um genau zu sein.«

»Ihre Schuld?«

»Die geheime Tür, durch die du in das unterirdische Labyrinth eingedrungen bist«, sagte Petach betrübt. »Ich vergaß, sie zu schließen, als wir es vor dir betraten. So konntest du uns folgen und bist durch meine Unachtsamkeit in große Gefahr geraten.«

»Was haben Sie überhaupt dort gemacht?« fragte Aton.

»Der Wanderer und ich kamen an jenen Ort, um ... etwas Bestimmtes zu holen, das wir für einen ganz bestimmten Zweck benö -«

»Bitte«, unterbrach ihn Aton. »Sprechen Sie nicht schon wieder in Rätseln. Ich verspreche Ihnen, daß ich alles tue, was Sie verlangen, aber ich will jetzt endlich alles wissen.«