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Petach lächelte flüchtig. »Entschuldige«, sagte er. »Ich glaube, ich bin es jetzt so lange gewohnt, nicht die Wahrheit zu sagen, daß ich schon gar nicht mehr anders kann. Also gut - du hast recht. Es wird Zeit, daß du alles erfährst. Das meiste weißt du ja ohnehin schon.« Er seufzte tief, richtete sich ein wenig auf und sah sich aufmerksam im Raum um, ehe er weitersprach, fast als müsse er sich erst davon überzeugen, daß sie auch wirklich allein waren.

»Bis vor wenigen Tagen«, begann er, »dachte ich immer noch, daß du durch einen reinen Zufall in diese Geschichte verwickelt worden wärst. Aber nun bin ich nicht mehr sicher. Du hast damals etwas getan, was der Wanderer und ich jahrhundertelang vergebens versuchten.«

»Ich?« wunderte sich Aton. »Aber ich habe doch gar nichts getan!«

»Du erinnerst dich nicht daran«, verbesserte ihn Petach. »Das bedeutet nicht, daß es nicht geschehen wäre.«

Atons Miene verdüsterte sich. »Also haben Sie mir doch noch nicht alles erzählt«, sagte er vorwurfsvoll.

»Alles, wovon ich weiß«, sagte Petach. »Was in Echnatons Grab geschah, das wissen auch der Wanderer und ich nicht. Es ist uns nie gelungen, jene letzte Tür zu durchschreiten, hinter der du gewesen bist.«

»Echnatons Grab?« wiederholte Aton ungläubig. »Aber wir waren doch nur -«

»Im Tal der Könige«, unterbrach ihn Petach mit einem Lächeln. »Dort, wo die meisten Pharaonen beigesetzt wurden. Dort liegen auch Echnaton und seine Frau Nofretete begraben. Man hat ihr Grab nie gefunden, und es wird auch niemals entdeckt werden, solange diese Welt besteht, aber es ist dort. Und du warst darin. Du erinnerst dich nicht?«

Aton versuchte es. Aber dieser Teil seiner Erinnerung blieb ihm weiter verborgen. Er erinnerte sich wieder, wie er sich von seinen Eltern getrennt hatte, wie er durch die verborgene Tür im Fels in das unterirdische Labyrinth eingedrungen und plötzlich gestürzt war, um sich nach einer langen, schmerzhaften Rutschpartie in einer vollkommen fremden, unheimlichen Welt wiederzufinden, wie er die Schritte gehört und zu rennen begonnen hatte - aber die Bilder in seinem Kopf hörten auf, als sie an jener letzten Tür anlangten, durch die er auf der Flucht vor dem unsichtbaren Verfolger gestürmt war. Er schüttelte den Kopf.

Petach machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, fuhr aber nach einigen Sekunden in seiner Erzählung fort. »Du erinnerst dich, was ich dir über Echnatons Fluch erzählte? Daß etwas Bestimmtes nötig ist, um seine toten Krieger wieder zum Leben zu erwecken? Es handelt sich um das Udjatauge, einen magischen Gegenstand, der einen Teil der Kraft des Gottes Horus birgt. Der Wanderer hat lange danach gesucht; Jahrhunderte, bis er erfuhr, daß Nofretete es mit ins Grab ihres Gemahls legen ließ - vielleicht mit Bedacht, vielleicht auch wirklich, ohne zu wissen, was sie tat. Gleichwie: Ohne das Udjatauge kann die Beschwörung nicht stattfinden, und die Toten können nicht aus ihrer Ruhe erwachen.«

»Sie waren dort, um es zu holen?«

Petach nickte. »Nicht zum ersten Mal. Und nicht zum ersten Mal vergebens. Weder der Wanderer noch ich können Echnatons Grab betreten. Es wird von mächtigen Dämonen beschützt - einen davon hast du kennengelernt -, und es liegt ein Zauber über seinem Eingang, der es uns unmöglich macht, ihn zu durchschreiten. Trotzdem hatten wir die Hoffnung, daß die Kraft des Zaubers im Laufe der Jahrhunderte vielleicht geschwunden war oder es uns irgendwie gelänge, ihn zu brechen.«

»Aber das ist nicht geschehen«, vermutete Aton.

Petach sah ihn eine Sekunde lang schweigend an, dann schüttelte er mit einem traurigen Lächeln den Kopf. »Wir waren guter Dinge«, sagte er. »Wir glaubten schon, es diesmal schaffen zu können, denn der Dämon, der das Grab bewachte, zeigte sich nicht.«

»Ich weiß«, murrte Aton. »Er war anderweitig beschäftigt.«

»Er jagte dich, ja«, bestätigte Petach. »Doch damals konnte ich das nicht wissen. Ich sah nur einen Jungen, der von der Sphinx verfolgt wurde, und natürlich versuchte ich ihm zu helfen. Hätte ich geahnt, weshalb sie dich wirklich verfolgte, dann hätte ich vielleicht anders reagiert.«

»Aber warum hat sie mich denn gejagt?« fragte Aton.

»Du weißt es wirklich nicht?« fragte Petach noch einmal. Aton antwortete gar nicht, und Petach wiederholte seine Frage nicht, sondern fuhr fort: »Weil dir gelungen ist, was der Wanderer und ich unzählige Male vergebens versuchten.«

Es dauerte einen Moment, bis Aton begriff. »Das Auge?« flüsterte er. »Sie ... Sie meinen, ich ... ich habe das Urjaauge aus dem Grab -«

»Das Udjatauge«, verbesserte ihn Petach mit einem flüchtigen Lächeln, das sofort wieder von Sorge und Ernst abgelöst wurde. Er nickte. »Ja. Was genau in Echnatons Grabkammer geschehen ist, kann auch ich nur raten. Ich hatte gehofft, daß dir die Erinnerung hilft, mir auch jene letzte Frage zu beantworten, aber wenn du es nicht weißt ...« Er machte eine Handbewegung, als Aton etwas sagen wollte, und fuhr fort: »Was immer es war, wer immer dir geholfen hat und warum auch immer - als du die Grabkammer wieder verlassen hast, da hast du das Udjatauge bei dir getragen.«

Er legte eine dramatische Pause ein, und dann sagte er: »Und du hast es noch.«

»Wie bitte?« fragte Aton überrascht. Ungläubig sah er Petach an. »Aber das kann nicht sein. Ich ... ich hatte gar nichts bei mir, als ich herauskam. Ich meine, selbst wenn ich es eingesteckt hätte, ohne es zu merken, hätte ich es später gefunden. Im Krankenhaus oder zu Hause. Aber ich habe nie -«

Er verstummte, als Petach die Hand ausstreckte und seine Schulter berührte - genauer gesagt den winzigen, harten Knoten unter seinem Schlüsselbein, der ihm als Erinnerung an sein lebensgefährliches Abenteuer geblieben und ihm all die Jahre hindurch so vertraut geworden war, daß er ihn gar nicht mehr richtig bemerkt hatte. Unwillkürlich hob auch er die Hand, aber plötzlich wagte er es nicht mehr, die kaum sichtbare Erhebung unter seiner Haut zu berühren.

»Der ... Stein?« flüsterte er.

»Es ist kein Stein«, sagte Petach. »Die Ärzte im Krankenhaus hielten es dafür, aber er ist es nicht. Er war es nie. Es war auch nicht die Verletzung, durch die er in deinen Körper geriet. Er war in dir, als du die Grabkammer verlassen hast, und du hast ihn die ganzen zehn Jahre bei dir getragen, ohne es zu wissen. Niemand wußte es, auch der Wanderer und ich nicht. Erst viel später begriff ich, was wirklich geschehen war, aber da war es bereits zu spät, die Dinge noch aufzuhalten.«

Aton fühlte einen Schauder eiskalter Furcht. Für einen Moment fiel es ihm schwer, Petachs Worten weiter zu folgen. Er hatte die Lösung aller Rätsel, die sich ihm in der letzten Woche gestellt hatten, die ganze Zeit über bei sich getragen, und er hatte es nicht einmal gewußt!

»Deshalb sind sie also so massiv hinter mir her«, murmelte er.

Petach nickte. Er sagte nichts.

»Und deshalb haben Sufi und Sie mich in ... in dieses seltsame Krankenhaus gebracht«, fuhr Aton fort. »Sie wollten es herausschneiden. Warum haben Sie es mir nicht gesagt? Ich ... ich hätte nichts dagegen gehabt.«

»Ich dachte, es wäre das beste für dich, wenn du sowenig wie möglich weißt«, gestand Petach. »Aber ich sehe nun ein, daß das falsch war. Es tut mir leid. Ich hoffe, du glaubst mir.«

Seltsam - Aton hatte wahrlich jeden Grund, Petach nichts mehr zu glauben, aber irgendwie spürte er, daß der Ägypter die Wahrheit sprach. Und noch mehr: Er wußte auch plötzlich, daß es nichts geändert hätte. Petach mochte ein Mann von großer Macht sein, unendlich viel mehr vermutlich, als Aton selbst jetzt noch annahm, aber auch ihm waren Grenzen gesetzt. Das Schicksal hatte entschieden, daß die Dinge so und nicht anders ablaufen sollten, und selbst er konnte daran wohl nichts ändern.

»Vielleicht verstehst du nun, warum ich es nicht zulassen konnte, daß du zu deinem Vater gehst«, fuhr Petach nach einer Weile fort. »Morgen früh, wenn die Sonne das nächste Mal aufgeht, ist der Moment des Erwachens gekommen.«