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»Ich würde sagen, etwas sehr Persönliches.« Troy, der förmlich vor Freude glühte, lehnte sich in seinem Liegestuhl so heftig zurück, daß eine Strebe brach. In der Zeit, die er brauchte, um sich aus dem Stuhl zu befreien, stellte Barnaby die große Preisfrage. »Hatten Sie einen Grund, Esslyn Carmichael etwas Schlechtes zu wünschen?«

»Ich?« quietschte Harold. »Er war mein Hauptdarsteller. Mein Star! Jetzt muß ich wieder ganz von vorn anfangen und Nicholas von Grund auf ausbilden.«

»Wie sahen seine Beziehungen zu dem Rest der Truppe aus?«

»Esslyn hatte keine echten Beziehungen. Seine Stellung hat ihm das erschwert. Ich habe das gleiche Problem. Um die Autorität zu wahren, muß ich mich herablassend geben. Er hatte natürlich immer eine Frau im Schlepptau.«

»Aber doch sicher nicht, nachdem er gerade erst wieder geheiratet hat?«

»Vielleicht nicht. Ich bin sicher, wir hätten alle etwas davon mitgekriegt. Für Esslyn sprach, daß er nie versucht hat, seine Liebschaften zu verbergen. Nicht einmal in den Jahren, in denen er mit Rosa zusammen war.«

Genau richtig, dachte Troy und blätterte die Seite um. Eine Affäre wird für die Umwelt witzlos, wenn man damit nicht hausieren gehen kann.

»Sie hat einen äußerst bestürzten Eindruck auf mich gemacht.«

»Rosa konnte schon immer auf Befehl weinen.«

»In der Tat«, sinnierte der Chefinspektor. »Sie hat sich wesentlich besser gehalten als die derzeitige Gemahlin.«

»Ah...« In einer Geste der ekstatischen Erleuchtung schlug sich Harold wie seinerzeit S. Z. (Cuddles) Szakall gegen den Unterkiefer. »Mit anderen Worten, >cherchez la femme<. Das könnte sein, das könnte durchaus sein. Er war eben ein Mensch von der Sorte, die sich immer Feinde macht. Egoistisch bis ins Mark.«

Barnaby hatte schon immer daran geglaubt, daß man die Liebe und den Respekt, der einem gerade Verstorbenen in seinem Leben entgegengebracht worden war, danach beurteilen konnte, wie groß der Abstand zwischen den ersten, meistens spontan auftretenden Schreck-und Verzweiflungsreaktionen (selbst wenn diese nur nach dem Prinzip »Der Tod eines jeden Menschen macht mich betroffen« gestrickt waren) und dem Zeitpunkt war, an dem mit einiger Erleichterung über die Macken des Toten gesprochen wurde. In Esslyn Carmichaels Fall war der Abstand so gering, daß kaum ein Schnurrhaar von Riley dazwischengepaßt hätte.

»Aber trotzdem sind Sie mit ihm zurechtgekommen?«

»Ich komme mit jedem zurecht, Tom.«

»Persönlich oder beruflich?«

»Das ist nicht voneinander zu trennen. Esslyn hat meine Vorstellungen nicht immer akzeptiert, aber wir haben stets einen Kompromiß gefunden. Es kann eben nur einer der Leitwolf sein.«

Harolds Verachtung für eine genaue Introspektion und sein lückenhaftes Gedächtnis machten heute sicher Überstunden, beobachtete Barnaby. Oder vielleicht glaubte er auch tatsächlich, daß Esslyn pflichtbewußt die Instruktionen eines Imperators ausgeführt hatte, der einen mehr als verschwommenen Bezug zur Realität hatte, um es einmal vorsichtig auszudrücken.

»Um auf die Frage des Motivs zurückzukommen«, fuhr Harold fort, wobei er sich der subtilen Kurzschrift des Nachrufverfassers bediente, wenn dieser arrogante und unsensible Menschen zu beschreiben hatte, »dürfen Sie keinesfalls vergessen, daß er mit dummen Leuten keine Geduld hatte. Aber die« - und ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht - »habe ich auch nicht.«

Als Harold entlassen worden war, offensichtlich ohne zu bemerken, daß er weder einen Überblick gegeben noch irgendwelche Fäden zusammengezogen hatte, kehrte Barnaby in die gewissenhaft durchsuchten und jetzt leeren Kulissen zurück und zog die Rolle Tesafilm aus einer Schachtel in Dierdres Tisch heraus. Er wand es zweimal um den Griff ihres Mikrofons, und entfernte es dann wieder, indem er es mit einem Stahlmesser durchschnitt. Er reichte es Troy. »Spülen Sie das die Toilette hinunter.« Dann stand er da und hörte auf das Rauschen und Strömen, bis der Sergeant zurückkam.

»Es geht nicht, Chef.«

»Haben Sie es in der Damentoilette auch versucht?«

»Und oben. Es ist überall unmöglich.«

»Also, diese Probe beweist, daß keiner versucht hat, den Tesafilm auf diese Art und Weise loszuwerden. Am Tatort ist er aber auch nicht gefunden worden. Das heißt...«

»Aus dem Fenster?«

»Richtig. Und bei dem Wind dürfte es mittlerweile auf halbem Weg nach Uxbridge sein. Aber - wir könnten auch Glück haben, daß er sich irgendwo verfangen hat. Wir werden morgen danach suchen. Für heute habe ich genug.«

Als sie durch den verlassenen Zuschauerraum gingen, fragte Troy: »Wieso haben Sie ihn sich bis zuletzt aufgespart, Sir? Diesen fetten alten Kerl?«

»Ich kann die Art, wie er mit Leuten umgeht, nicht leiden.« Dann, als Troy ihn immer noch fragend ansah: »Er glaubt, alle sind nur dazu da, nach seiner Pfeife zu tanzen. Er setzt jede Kooperation als selbstverständlich voraus, bedankt sich nicht bei anderen, sondern redet mit ihnen, als wären sie der letzte Dreck. Ich dachte mir, es könnte ihm nicht schaden, einmal am Ende der Schlange zu stehen.«

»Glauben Sie, er hat dadurch etwas gelernt?«

»Nein. Dazu ist es längst zu spät.«

»Ich halte ihn für reichlich überkandidelt.«

»Alle Theaterleute sind überkandidelt, Troy«, entgegnete Barnaby und zog die Tür zum Foyer auf. »Wenn sie es nicht wären, würden sie aus dem Geschäft aussteigen und einen echten Beruf ergreifen.«

Mr. Tibbs schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis alle Leute, die nach ihm sehen mußten, nach ihm gesehen hatten. Dierdre gab einige Details an, die auf seiner Krankenkarte eingetragen wurden, und dann wurde sie gebeten, in der Rezeption zu warten. Sie war schon über eine Stunde dort, als eine Krankenschwester kam und ihr sagte, sie könne ihren Vater jetzt einen Moment sehen, aber nur, um ihm Gute Nacht zu sagen.

Mr. Tibbs lag gut verpackt in dem eisernen Rechteck seines Krankenbetts. Er antwortete nicht auf ihren Gruß, sondern sah starr vor sich hin und summte irgend etwas Atonales. Seine Wangen waren tiefrot.

»Schwester!« rief Dierdre, deren angeborener Wunsch, keinen Ärger zu machen, von ihrer Angst besiegt wurde. »Ich glaube, er hat Fieber.«

»Wir haben ihm etwas dagegen gegeben. Er wird bald einschlafen.« Die Krankenschwester kam mit einer metallenen Bettpfanne und begann, die Vorhänge von dem benachbarten Bett zurückzuziehen. »Sie müssen jetzt gehen.«

»Oh.« Dierdre wich zurück. »Entschuldigen Sie. Ich werde morgen anrufen.«

»Aber erst spät. Erst wenn die Visite vorbei ist, können wir Ihnen sagen, wo er hinkommt.«

»Wird er denn nicht hierbleiben?«

»Nein. Hier ist nur die Notaufnahme.«

»Ich verstehe... gut... gute Nacht«, stotterte Dierdre in Richtung der orangen Stoffalten. »Und vielen Dank.«

Nach einem letzten Blick auf ihren Vater, der schon Teil einer anderen Welt zu sein schien, ging Dierdre zurück an die Rezeption. Ein junger Mann führte gerade ein Gespräch, bei dem er den Telefonhörer mit Hilfe der Schulter an sein Ohr klemmte. Er sagte »eine Sekunde« zu Dierdre und sprach weiter. »Erzähl mir jetzt bloß nichts von Frau >Niemals am Sonntag<«, sagte er. »Ich habe sie doch gestern abend im Bolton gesehen, und sie ist ständig aufs Klo gegangen.« Er hörte einen Moment lang zu und zog die Wangen ein. »Wenn Versprechungen ein Mantel aus Teig wären, meine Liebe, dann würden ihr die Krümel bis unter die Achseln reichen.« Er war ziemlich dunkelhäutig. Dierdre fragte sich, ob es sich wohl um einen Italiener handelte. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, erklärte sie ihm, daß sie jetzt nach Hause gebracht werden wolle.