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»Seit wann macht es einen denn dankbarer, wenn man alle möglichen Vorteile hat? Dierdre tut dir und Daddy leid. Das ist schrecklich, weil so gönnerhaft. Leute zu bemitleiden ist nicht fair. Man setzt sie damit herab. Diejenigen, die das tun, verdienen keinen Respekt.«

Barnaby sah seine schöne und kluge Tochter an, als sie fortfuhr: »Das letzte Mal, als ich zu Hause war, hat Mum sie bestürmt, abzunehmen und sich Kontaktlinsen anzuschaffen. Das ist so sentimental. Das typische Aschenputtelsyndrom. Dierdre ist so, wie sie ist, interessant und intelligent genug. Ich glaube, sie könnte mit den meisten im Latimer den Boden aufwischen, wenn man ihr nur die Gelegenheit dazu ließe. Sie hat ein Talent für Inszenierungen, auf das selbst Kardinal Wolsey stolz sein könnte.«

Sie fügte hinzu, als ihre Mutter ein Glas Instantkaffee aus dem Schrank holte: »Gib ihr das bloß nicht, um Gottes willen. Es ist schon schwer genug für sie, heute morgen aufzuwachen. Gib ihr lieber etwas von meinem Filterkaffee.«

Joyce nahm einen der Kaffeefilter von Marks and Spencer aus der Schachtel und plazierte ihn auf der Tasse. Cully brachte immer eine, wie sie es nannte, Sicherheitsration davon mit nach Hause. Das war einer der Gründe, weshalb sich ihr Vater immer so auf ihre Besuche freute. Jetzt fragte sie: »Kann ich heute abend eine Gemüselasagne haben? Sie ist in der Gefriertruhe.«

»Aber ich mache doch eine Bouillabaisse.«

»Oh, Mama, sei doch nicht so albern.«

»Steht alles da drin.« Joyce deutete auf ein Buch, das aufgeschlagen neben dem Brotkorb lag. »Und sehr gut erklärt. Ich bin sicher, ich kriege das perfekt hin.«

Cully aß ihre Ananas auf, ging zu ihrer Mutter und nahm das Buch in die Hand. »Floyd über Fisch? Es sieht dir gar nicht ähnlich, dich vom Fernseher verführen zu lassen.«

»Oh, ich habe es auch nicht bestellt. Harold hat es mir gegeben.«

»Harold?« wunderte sich ihr Ehemann. »Harold würde dir doch nicht einmal den Dreck aus seinem Nabel geben.«

»Er hat es ja auch nicht gekauft. Es ist ihm anonym ins Theater geschickt worden. Will noch jemand eine Scheibe Toast...«

Cully schnappte sich blitzschnell das Brot aus dem Rachen des Toasters und sagte: »Wie ausgefallen, so etwas an einen Ort zu schicken, an dem noch nicht einmal Essen verkauft wird.«

»Ich glaube nicht, daß es für das Theater gedacht war. Man hatte es an ihn persönlich adressiert.«

»Wann ist das Päckchen denn angekommen?« fragte Barnaby.

»Oh... ich weiß es nicht mehr genau...« Joyce gab etwas Butter auf eine Untertasse. »Vor einigen Wochen.« Der Kaffee tröpfelte durch den feinmaschigen Filter, und sein Aroma vermischte sich mit dem Duft des Viburnum.

»Laß mal sehen.« Cully brachte ihm das Buch und zischte: »Verbrenn es« in Barnabys Ohr, als sie es neben das Ei legte. Dieses war inzwischen bis zu einem Stadium geronnen, das es ihm ermöglichte, ein wenig davon in den Mund zu befördern. Er schlug das Buch auf. Es stand keine Widmung darin.

»Ist es denn mit der Post gekommen?«

»Nein. Es ist durch den Briefschlitz geschoben worden. Das hat jedenfalls Dierdre gesagt.«

»Seltsam.« Barnaby ließ das Buch in seine Tasche gleiten.

»Tom! Was wird denn nun aus meiner Bouillabaisse?«

»Ich fürchte, die müssen wir verschieben, Liebes.« Barnaby stand auf. »Ich muß jetzt gehen.«

Als er ging, hörte er noch, wie seine Tochter fragte: »Hast du eigentlich die Telefonnummer von diesem Jungen, der den Mozart gespielt hat?«

Und Joyce antwortete darauf: »Mach die Tür auf, Cully.«

Joyce trug das Tablett nach oben, stellte es vor dem Gästezimmer ab und klopfte leise an.

Dierdre hatte ununterbrochen durchgeschlafen. Selbst jetzt noch, Stunden, nachdem sie ein Glas heißen Rum mit Zitrone getrunken hatte, war sie fast bewußtlos. Zuweilen hatte sie eine weit entfernte Stimme gehört, und gelegentlich waren da auch klirrende und glockenähnliche Laute zu vernehmen gewesen, aber die schienen nur Teil eines Traumes zu sein. Sie wollte einfach nicht aufwachen, denn ihr war vage bewußt, daß der Wachzustand mit einem derartigen Unbehagen verbunden war, daß sie ihn lieber verdrängte, als ihm zu nahe zu kommen.

Joyce öffnete die Tür und schlich lautlos hinein. Sie hatte bereits zweimal in das Zimmer geschaut und gesehen, wie fest das Mädchen schlief, und daher hatte sie es nicht über das Herz gebracht, sie aufzuwecken.

Als Tom sie gegen zwei Uhr morgens hergebracht hatte, war sie in einem schrecklichen Zustand gewesen. Naß bis auf die Knochen und mit Lehm beschmiert, das Gesicht zerkratzt und tränenüberströmt. Joyce hatte ihr Fieber gemessen, und dann waren sie zu der Einschätzung gekommen, daß sie ganz einfach überstrapaziert und erschöpft wäre und es keinen Grund dafür gäbe, einen Arzt zu rufen. Tom hatte den Ausgangspunkt von Dierdres Fahrt ermittelt, als er das Taxi bezahlte, und Joyce hatte noch vor dem Frühstück im Krankenhaus angerufen, weil sie hoffte, das Mädchen mit guten Nachrichten wecken zu können. Aber sie gaben sich sehr verschlossen (was immer ein schlechtes Zeichen war), und als sie gestand, daß sie keine nahe Verwandte wäre, hatte man ihr bloß gesagt, es ginge ihm den Umständen entsprechend.

Nun trat Joyce ans Bett und beobachtete, wie das langsam einsetzende Bewußtsein die schläfrige Verwirrung aus Dierdres Gesicht fegte.

Als Dierdre erwachte, setzte sie sich sofort auf und rief: »Ich muß ins Krankenhaus.«

»Ich habe schon dort angerufen. Und deinem Arbeitgeber habe ich auch Bescheid gegeben. Ich habe gesagt, du wärst etwas blaß um die Nase und kämest erst in ein paar Tagen wieder.«

»Was haben sie im Krankenhaus gesagt?«

»Ihm geht es... soweit ganz gut. Du kannst dort anrufen, sobald du gefrühstückt hast. Es ist nichts Besonderes.« Joyce stellte das Tablett auf Dierdres Knie. »Nur ein wenig Toast und etwas Kaffee. Oh - und mach dir keine Sorgen um deinen Hund. Im Revier passen sie schon auf ihn auf.«

»Joyce... ihr seid so nett... du und Tom. Ich hätte nicht gewußt, was ich gestern abend hätte tun sollen... wenn... wenn...«

»Na, na.« Joyce nahm Dierdres Hand, scherte sich einen Dreck um Überheblichkeit und drückte sie an sich. »Wir sind doch froh, daß wir dir helfen können.«

»Was für schöne Blumen... alles ist so hübsch hier.«

Dierdre hob ihre Tasse an den Mund. »Und der Kaffee ist einfach köstlich.«

»Dafür mußt du dich bei Cully bedanken. Sie hat gemeint, selbstlöslicher Kaffee sei nicht gut genug für dich. Und das Nachthemd auch nicht.«

»Oh.« Dierdres Gesicht verdüsterte sich. Sie sah auf ihre voluminösen purpurroten Flanellärmel hinunter. Sie hatte ganz vergessen, daß Cully da war. Sie kannte Barnabys Tochter schon, seit sie ein Kind von neun Jahren gewesen war, und Cullys Meinung über die CADS klang ihr noch ganz genau in den Ohren, da sie die derben Worte in ihrer frühen Teenagerzeit oft genug zu hören bekommen hatte. Nun studierte sie in Cambridge; es bestand kein Zweifel daran, daß sie sich heute noch drastischer äußern würde. »Ich glaube, ich schaffe den Toast nicht.«

»Das macht nichts - du bist ja gerade erst aufgewacht. Aber vielleicht möchtest du ein Bad nehmen?«

Bisher hatte Joyce nur Dierdres Gesicht und ihre Hände gewaschen, während das Mädchen vor dem Waschbecken gestanden und wie ein Zombie geschwankt hatte.

».. .Ja, gern... ich fühle mich schrecklich.«

»Ich habe nach ein paar Sachen zum Anziehen gesucht und dir auch warme Strümpfe rausgelegt. Ich fürchte, meine Schuhe sind dir zu klein. Aber vielleicht kannst du dich in meine Gummistiefel zwängen.« Joyce stand auf. »Ich lasse dir jetzt das Badewasser ein.«

»Danke. Oh, Joyce - haben sie etwas herausgefunden, nachdem ich gegangen bin... ich meine, die Polizei... wer hat...?«