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»Oh.« Troy behielt seine Meinung für sich. Er war tatsächlich der Meinung gewesen, die Aufführung sei ganz gut. Enttäuscht war er erst, als er sich die Szenerie aus der Nähe ansah. Alles altes Zeug, irgendwie zusammengeschustert, übermalt und durch etwas zusammengehalten, was wie klapprige alte Kleiderständer aussah. Erstaunlich, was man mit ein wenig Beleuchtung alles ausrichten konnte. Dieser Gedanke erinnerte ihn an etwas. »Ich denke, Doris und Daphne sind wohl ausgeschieden, Sir? Die beiden Ahnungslosen aus der Beleuchterkammer?«

»Ich neige auch zu dieser Annahme. Abgesehen von der Tatsache, daß es kein erkennbares Motiv gibt, waren sie auch nur sehr kurz in den Kulissen und der Garderobe - wie die Zeugenaussagen der Schauspieler bestätigen« - er tippte mit der Hand auf den Stapel Formulare »und das auch noch unmittelbar vor dem ersten Aufzug, so daß sie einfach keine Zeit gehabt hätten, an dem Messer herumzuhantieren. Dasselbe gilt für Harold. Ich bin zufällig gleichzeitig mit ihm und seiner Frau im Theater angekommen. Er hat seinen Mantel aufgehängt und gleich darauf seine Galanummer im Foyer abgezogen. Er war auch da, als Cully und ich der Besetzung Glück gewünscht haben...«

»Ein wunderschönes Mädchen übrigens, Chef. Einfach phantastisch.«

»... und ein oder zwei Minuten später bin ich wieder runtergekommen. Wir alle haben etwa zur gleichen Zeit die Bühne verlassen und uns auf unsere Plätze begeben.«

»Ging er denn nicht mal auf das stille Örtchen?«

Barnaby schüttelte den Kopf.

»Was war in der Pause?«

»Dasselbe in Grün: Harold hatte keine Zeit für die Tat. Er war kurz oben im Vereinsraum und ist dann gleich hinter die Bühne gegangen, um den Akteuren wegen fehlender Überzeugungskraft den Marsch zu blasen, wie mir meine Frau erzählt hat. Dann ist er gemeinsam mit dem Rest des Publikums auf seinen Platz zurückgekehrt. Aber wie auch immer, Harold hatte nicht nur kein ersichtliches Motiv, Esslyn aus dem Weg zu schaffen, sondern sogar im Gegenteil ein großes Interesse, ihn am Leben zu sehen. Er war nämlich die einzige Person in der Truppe, die halbwegs kompetent mit den Hauptrollen zurechtgekommen ist. Als nächstes hätte er Onkel Wanja gespielt.«

»Wer ist denn das, Sir?«

»Die Hauptperson in einem russischen Stück.«

Troy nickte ablehnend. Er war der Meinung, daß man schon genug mit den englischen Stücken zu tun hätte. Da mußte man doch nicht auch noch diesen ausländischen Kram spielen - und schon gar nicht solchen kommunistischen Mist. Er wandte sich wieder dem Gedankengang des Chefinspektors zu.

».. .Ich denke, als erstes sollten wir mal dem Haus der Carmichaels einen Besuch abstatten. Dort finden wir vielleicht etwas, was uns auf eine Spur bringt. Organisieren Sie bitte einen Wagen. Ich kümmere mich um den Durchsuchungsbefehl.«

Rosa hatte eine Idee. Allerdings hatte sie Ernest nichts davon erzählt, obwohl sein Leben nie mehr dasselbe sein würde, falls ihr Plan klappen würde. Aber es blieb ja immer noch genügend Zeit, ihn einzuweihen, wenn sich herausstellte, daß sich die ganze Sache in die Tat umsetzen ließe. Tatsächlich hing alles davon ab, ob Rosa Kittys Charakter richtig einschätzte. Und Rosa war sich dessen ziemlich sicher. Kitty war ihr immer wie ein abgeschmacktes kleines Ding vorgekommen, das ganz offensichtlich nur hinter dem Geld her war. Ein Mädchen, das bloß seinen Spaß haben wollte. Nun war sie frei, reich (es sei denn, Esslyn wäre beim Verfassen seines Letzten Willens von einer unglaublichen Gehässigkeit befallen worden) und immer noch zarte neunzehn Jahre alt. Was um Himmels willen, fragte sich Rosa, konnte jemand in ihrer Lage schon mit einem Kind anfangen?

Kitty gehörte seit zwei Jahren zum Ensemble. In dieser ganzen Zeit hatte keiner gehört, daß sie auch nur das leiseste Interesse an Kindern geäußert hätte. Garderobenunterhaltungen, bei denen es um die verschiedensten Familienangelegenheiten ging, hatten bei ihr nur Gähnen ausgelöst. Und für den jeweiligen Nachwuchs, den CADS-Mitglieder ab und an hinter die Bühne mitbrachten, hatte sie weder einen Blick noch ein freundliches Wort übrig gehabt. In Anbetracht dieses Desinteresses hatte Rosa, so wie die Mehrheit der Leute im Latimer, stets angenommen, daß Kitty vorsätzlich schwanger geworden war, um Esslyn einzufangen. Da sie sich seiner jetzt entledigt hatte, was ihr doch gewiß gut in den Kram paßte, mußte das Mittel, mit dem sie ihn ehemals eingefangen hatte, doch nichts weiter als ein Hindernis sein? Sicher, es gab auch Menschen, die sich nicht um die Kinder anderer Leute scherten, sie jedoch dann, wenn es sich um ihre eigenen handelte, als einen nie versiegenden Quell der Freude und des Entzückens ansahen. Rosa jedoch glaubte (oder sie hatte es sich eingeredet), daß Kitty nicht zu diesen Leuten gehörte. Und aus dieser Überzeugung heraus hatte sie ihren grandiosen Plan entwickelt.

Seit Esslyns Tod wurde Rosa von einem gewaltigen Wirrwarr aus Gefühlen und schrecklichen Gedanken geplagt. Hinter dem affektierten Gehabe, das sie der Öffentlichkeit zeigte, wurde sie sich mehr und mehr einer schmerzlichen Trauer bewußt, die sie nicht losließ. Sie rief sich permanent die frühen Zeiten ihrer Ehe ins Gedächtnis zurück und trauerte um etwas, wovon sie jetzt glaubte, es wäre die zärtliche und leidenschaftliche Liebe gewesen. Und wenn sie in diesen glücklichen Tagen schwelgte, war es so, als würde ihre durch die Tragödie mobilisierte Vorstellungskraft all die Jahre der Desillusionierung mit einem Schlag dem globalen Gedächtnisschwund preisgeben und an deren Stelle eine ganze Reihe von leicht verfälschten Bildern setzen, die Esslyn als einen sensiblen, wohlwollenden und unverdorbenen Menschen zeigten.

Dieser rührselige Taschenspielertrick, den das Gedächtnis ihr spielte, ließ sie Kittys Baby inbrünstig begehren. Ein Kind, Esslyns Kind, lebendig und in dem Leib seiner Frau herangewachsen, könnte ihr (Rosas) unfruchtbares Leben mit einem Schlag verändern, indem es sie wieder vital und jung werden ließ. Während der letzten zwei Tage war ihr der Gedanke an eine Adoption des Kindes permanent durch den Kopf geschossen; zwischendurch verschwand er zwar mal, kehrte jedoch immer wieder zurück, setzte sich fest, trieb Wurzeln und blühte mit einer solchen Kraft auf, daß sie jetzt den Punkt erreicht hatte, an dem sie es pragmatisch als ein fait accompli betrachtete.

Bis sie nach dem Telefonhörer griff. Jetzt wurde nämlich ihre vormalige Heiterkeit durch eine Flut von Zweifeln überschwemmt. Darunter war der Gedanke vorrangig, Kitty könnte sich zu einer Abtreibung entschlossen haben. Nachdem sie schon die ersten drei Ziffern der Nummer von White Wings gewählt hatte, legte Rosa den Hörer wieder auf und dachte über diese alarmierende Ahnung nach. Die Vernunft zwang sie zuzugeben, daß Kitty dieser Schritt als eine naheliegende Lösung in den Sinn gekommen sein mußte. Und sie hatte gewiß auch das Geld, um es privat machen zu lassen, so daß sie keine Verzögerung in Kauf nehmen mußte. Das Ganze würde sich einfach von selbst regeln. Rein und raus: Problem gelöst. Das Baby, so leicht zerstörbar wie eine Eierschale, ein für allemal verloren. Vielleicht vereinbarte sie gerade jetzt, in diesem Moment, den Termin! Rosa riß den Hörer wieder von der Gabel und wählte erneut. Als Kitty sich meldete, fragte Rosa, ob sie auf ein kurzes Gespräch vorbeikommen dürfe, und Kitty, so lakonisch, als wäre diese Anfrage eine ganz alltägliche Angelegenheit, entgegnete nur: »Sicher. Komm, wann du magst.«

Als sie ihren Panda aus der Garage zurücksetzte und vor lauter Nervosität die Gänge krachen ließ, kämpfte Rosa damit, eine Strategie auszuarbeiten, die dem Argument, das sie Kitty vortragen wollte, Gestalt geben würde. Wenn es überzeugend sein sollte, mußte sie die gesamte Situation aus dem Blickwinkel der jungen Frau betrachten. Wieso, könnte Kitty verständlicherweise fragen, sollte sie die nächsten Monate herumhängen, Tag für Tag schwerer werden, immer weniger in der Lage sein, das Leben zu genießen, und dann auch noch die gesamte Dauer einer vielleicht extrem schmerzhaften Geburt aushalten, bloß um letztlich das Ergebnis der ganzen Plackerei an eine andere Frau abzutreten? Was (Rosa konnte ihre scharfen, berechnenden, kleinen Augen, die nach dem Haken an der ganzen Geschichte suchten, förmlich vor sich sehen) sprang für sie dabei heraus?