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Während der zehnminütigen Fahrt nach White Wings formulierte Rosa eine Antwort auf diese Frage, von der sie glaubte, daß sie Kitty zufriedenstellen würde. Zunächst würde sie die psychischen und physischen Schäden erwähnen, die durch eine Abtreibung verursacht werden können. Dann würde sie Kitty fragen, ob sie denn auch an die Kosten gedacht hätte, die das Großziehen eines Kindes mit sich brächte. Das kostete Tausende. Gören lagen einem auf der Tasche, bis sie achtzehn waren, und selbst dann hatte man sie, falls man den Beschwerden von Ernests Schwestern Glauben schenken durfte, immer noch mindestens für die nächsten drei Jahre am Hals, in denen sie die Universität besuchten und man für sie aufkommen mußte. »Aber du hättest mit dieser finanziellen Belastung nichts zu tun«, hörte Rosa sich selbst sagen, »weil ich nämlich dafür aufkäme.«

Andererseits würde sie Kitty versprechen, das Kind, wann immer sie wollte, sehen zu können, jedenfalls wenn die Adoption erst einmal rechtskräftig war. Ohne Zweifel, dachte Rosa, als sie viel zu schnell die Carradine Street hinunterraste, würden diese drei Aspekte (enorme Ersparnis, keine Verantwortung, prinzipielles Besuchsrecht) ausreichen, um den Erfolg des Unternehmens zu garantieren. Bei diesen Überlegungen hatte sie jedoch ihre bisherige Unterstellung - nämlich, daß Kittys Mutterinstinkt weit unter Null lag - völlig verdrängt und bemerkte daher nicht, daß Aspekt Nummer drei eigentlich keine Überzeugungskraft besaß.

Es sollte sich ohnehin schnell zeigen, daß die gesamte Dialektik völlig sinnlos war. Denn schon in dem Augenblick, als sie auf den Klingelknopf drückte und den so vertrauten Klang der Türglocke im Wohnzimmer hörte, lösten sich Rosas sorgfältig zurechtgelegte Argumente in Luft auf, und sie stand zitternd und von der Dringlichkeit ihres Wunsches sowie von heftigen Emotionen überwältigt draußen vor der Tür. Und als Kitty diese dann öffnete, Rosa mit »Hallo« begrüßte und in ihren flauschigen Pantöffelchen zur Küche geleitete, war Rosas Mund ausgetrocknet, und ihre Lippen bebten vor Unsicherheit.

Die Küche sah genauso aus wie früher. Das überraschte und tröstete Rosa zugleich. Sie war sich sicher gewesen, daß Esslyn die Einrichtung verändert hatte, weil Kitty auf neuen Möbeln, Tapeten und Vorhängen bestanden hatte. Aber offensichtlich war dem nicht so gewesen. Rosa betrachtete den mit Eiern und Fett beschmierten Teller, die Bratpfanne auf dem Herd und nahm den typischen Geruch eines üppigen englischen Frühstücks wahr, der noch immer in der Luft hing. Dieses ganze Fett konnte für das Baby nicht gut sein, sagte ihr ausgeprägter Muttertrieb. Und das brachte sie wieder auf den Grund ihres Besuchs. Als Kitty die Butterschale wegstellte, deren Inhalt freizügig mit Toastkrümeln und Marmeladenschlieren verziert war, betrachtete Rosa die Situation noch einmal unter neuen Gesichtspunkten.

Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie sich Kitty nicht einfach auf Gedeih und Verderb ausliefern sollte, indem sie ihr gestand, wie sehr sie sich immer ein Kind gewünscht hatte und daß das ihre letzte Gelegenheit wäre. Aber schon fast im selben Augenblick verwarf sie diesen Gedanken wieder.

Kitty würde ihr diese Bitte ohne jede weitere Diskussion abschlagen und es in vollen Zügen auskosten, Rosa dabei leiden zu sehen. Das einzige, was sie tun konnte - wieso war ihr das nicht schon früher eingefallen? -, war, ihr Geld anzubieten. Rosa hatte fünftausend Pfund auf der Bank und ein paar Schmuckstücke, die sie verkaufen könnte. Genauso mußte sie es anstellen. Sie durfte sich Kitty gegenüber bloß nicht ihre Verzweiflung anmerken lassen, sondern mußte ruhig, ja sogar sachlich bleiben. Einfach nur das Thema so ganz nebenbei in die Unterhaltung einfließen lassen. Spaß wird es dir bestimmt nicht machen, allein mit einem Kind klarzukommen. Oder: Ich nehme an, daß du nun, da Esslyn nicht mehr ist, anders darüber denkst, ein Kind zu bekommen. Kitty fegte mit einem einfachen ausladenden Wisch ihres Negligeärmels die Krümel vom Tisch und bot Rosa einen Stuhl an.

Sobald sie saß, merkte Rosa, daß das ein Fehler gewesen war. Sie fühlte sich unwohl und deutlich im Nachteil. Kitty stellte die Pfanne oben auf die Teller, die bereits in der Spüle standen, und drehte das heiße Wasser an. Das Wasser traf den Griff der Pfanne und spritzte die Kacheln voll. Kitty erkundigte sich: »Und wie geht es dem guten alten Ernest?«

Sie sprach von Ernest immer in dieser Weise, so als sei er ein schwerfälliges, watschelndes Haustier von der Sorte, wie sie sich heute kaum noch eine Familie hielt. Vielleicht so etwas wie ein uralter Hirtenhund. Oder ein älterer Spaniel mit rasch zunehmender Gelenksteife. Rosa wußte, daß sie diese Bemerkungen nur machte, um einen Vergleich zwischen ihrem derzeitigen Ehemann und Esslyn, dem Mann, den Rosa geliebt und verloren hatte, zu provozieren. Normalerweise rief das bei ihr eine Reaktion hervor, die eine Mischung aus Ärger und Bitterkeit war. Als sie auch jetzt wieder merkte, wie diese zwiespältigen Gefühle in ihrem Innern zum Leben erwachten, unterdrückte Rosa sie jedoch mit größter Anstrengung. Abgesehen davon, daß sie Kitty nicht die Genugtuung geben wollte zu sehen, wie sie innerlich blutete, würde bestimmt auch jegliches Gefühl der Feindseligkeit dem erfolgreichen Ausgang ihrer Mission erschweren. Und was sich auch immer über Ernests Mangel an Jugend und Schönheit sagen ließ, tröstete sich Rosa, er hatte nun mal den unleugbaren Vorteil, immer noch am Leben zu sein. Das sollte doch wohl ganz entschieden für ihn sprechen, wenn auch sonst nichts anderes.

Sie setzte sich etwas bequemer auf ihrem Stuhl zurecht. Draußen umrahmten die gewachsten dunkelgrünen Blätter und die scharlachroten Beeren der Stechpalmen das Küchenfenster, durch das die Wintersonne fiel und Kittys ohnehin schon extrem honigsüße Locken noch leuchtender erscheinen ließ. Es war ziemlich warm. Die Zentralheizung war voll aufgedreht, und Rosa schwitzte in ihrem schweren Cape. Kitty trug ein kurzes cremefarbenes Satinnachthemd im Stil einer Toga, das auf der einen Seite fast bis zur Hüfte geschlitzt war, und darüber ein Chiffongewand mit blauen Punkten und kleinen Knoten aus silbernen Bändern. Nicht mal ein Bein eines Schlüpfers war in Sicht, beobachtete Rosa säuerlich. Und ihr Bauch sah beinahe so flach aus wie ein Pfannkuchen. Sie bemerkte jedoch mit einiger Befriedigung, daß Kittys Gesicht ohne ihre Rüstung aus Rouge, Lidschatten und Lippenstiften einigermaßen hohl und unauffällig wirkte.

Kitty trocknete sich die Hände an einem Küchenhandtuch ab und lehnte sich an die Ofenklappe, wo es noch wärmer war. Dann wandte sie sich ihrer Besucherin zu. Sie hatte offensichtlich nicht vor, ihr einen Kaffee oder Tee anzubieten. Oder eine andere Stärkung. Kitty hielt ohnehin nicht viel von Frauenfreundschaften und mit Sicherheit erst recht nichts davon, sich mit einer Frau anzufreunden, die alt genug war, um ihre Mutter zu sein, und die zudem noch ihr eigenes Süppchen zu kochen hatte. Jetzt, da sie Rosas fettige, großporige Nase beobachtete, die Kitty deutlich unter dem Drang zittern sah, sich in etwas hineinzustecken, was sie nichts anging, wappnete sie sich gegen etwas, wovon sie ganz sicher war, es würde auf eine immens unangenehme Woge aus geheucheltem Mitgefühl und widerlichen Erinnerungen hinauslaufen.

Rosa holte tief Luft und erschauerte unter ihrem gesprenkelten, zeltförmigen Gewand. Sie fühlte sich durch die Komplexität ihrer Gedanken wie gelähmt und sah nun ein, daß sie in dem Moment, in dem sie das Haus betreten hatte, den Grund ihres Besuchs hätte herausschreien sollen, ganz gleich, wie ergreifend oder emotional es auch immer geklungen hätte. Je länger sie in dieser anheimelnd unaufgeräumten Küche saß (nur ein hoher Stuhl fehlte noch, und das Bild wäre komplett gewesen), desto bizarrer kam ihr ihr eigener Wunsch vor. Und Kitty war ihr keine Hilfe. Sie hatte Rosa mit keiner Geste willkommen geheißen, noch nicht einmal mit der, die in jedem englischen Haushalt obligatorisch ist, wenn ein Besucher erscheint. Nachdem sie also eingesehen hatte, daß der Zug der sofortigen Frontenklärung abgefahren war, hatte Rosa gerade beschlossen, sich dem Thema in Windungen zu nähern, sich verstohlen heranzuschlängeln und mit einer förmlichen Beileidsbekundung zu beginnen, als Kitty ihr mit ihrer Frage zuvorkam.