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»Was liegt an?«

Rosa sog ihre Lungen voll Luft, wagte es nicht, Kitty anzusehen und begann: »Ich dachte mir, jetzt, da Esslyn tot ist, würdest du dich vielleicht von dem Baby überfordert fühlen, und da habe ich mich gefragt, ob ich es nicht adoptieren könnte.«

Schweigen. Rosa blickte furchtsam auf. Als sie das tat, senkte Kitty den Kopf und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Sie gab einen kurzen Laut von sich, ein kleines, klagendes Stöhnen, und ihre Schultern bebten. In diesem Moment empfand Rosa, die im Grunde genommen ein Mensch mit einem weichen Herzen war, daß spontanes Mitgefühl in ihr aufwogte. Wie hartherzig und wie uneinfühlsam war es doch von ihr gewesen vorauszusetzen, Kitty sei sowohl von dem Umstand als auch von der erschreckenden Art und Weise, in der ihr Mann umgekommen war, völlig unberührt geblieben, und das nur, weil sie ihren Schmerz und Kummer nicht öffentlich gezeigt hatte. Jetzt aber, da sie die schmalen Schultern sah, die in ihrer Verzweiflung zuckten, schob Rosa ihren Stuhl nach hinten, breitete unbeholfen die Arme aus und unternahm einen etwas zaghaften und schwerfälligen Versuch, die schluchzende Gestalt zu umarmen. Aber Kitty weigerte sich, diesen Trost anzunehmen; sie ging zur offenen Tür hinüber, wo sie, mit dem Rücken zu Rosa, ein schreckliches hysterisches Kreischen und schrille Schreie auszustoßen begann.

Rosa stand wie festgewurzelt da, gequält und beschämt, während sie sich selbst Vorwürfe machte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als einfach abzuwarten und die Handflächen beschwichtigend nach oben zu halten, um weiterhin Trost anzubieten, sollte doch noch Bedarf daran bestehen. Endlich hörten die furchtbaren Laute auf, und Kitty, deren tränen-überströmtes Gesicht geschwollen und rot war und deren Schultern immer noch zuckten, drehte sich um. Und in diesem Moment begriff Rosa mit einem gewaltigen Schock und einer Mischung aus Wut und Entrüstung, daß Kitty die ganze Zeit über gelacht hatte.

Jetzt schüttelte Kitty ungläubig den Kopf über die kaum zu überbietende Komik dieser Situation, zog ein zerknülltes Papiertaschentuch aus der Tasche ihres Négligés, tupfte damit ihre tränenden Augen ab und warf es dann auf den Boden. Ihre Schultern zuckten jetzt nicht mehr, und auch ihr Atem hatte sich beruhigt. Sie starrte Rosa an, und Rosa, die zwar immer noch vor Entsetzen außer sich war, aber nun langsam anfing, sich in eine gesunde Wut hineinzusteigern, starrte zurück.

Plötzlich trat absolute Ruhe ein. Eine Stille, die man fast hätte zerschneiden können. Ein Wasserhahn tropfte, und man vernahm einen dumpfen, weichen Klang. Bereits jetzt, wenige Minuten nach Beginn dieser peinlichen und leicht lächerlichen Begegnung, litten Rosas Nerven. Sie stand da, und ihr fiel nichts ein, was sie noch hätte sagen können. Sie hatte ohnehin das Gefühl, daß es keinesfalls an ihr war, etwas zu sagen. Sie hatte erklärt, weshalb sie gekommen war, und damit bei Kitty einen Anfall grotesker Heiterkeit hervorgerufen. Nun mußte ihr Kitty entweder dieses Benehmen erklären oder das Gespräch beenden.

Rosa zwang sich, diesem tiefen Saphirblick standzuhalten. Von Fröhlichkeit war nichts mehr zu erkennen. Tatsächlich, schoß es ihr durch den Kopf, als sie jetzt darüber nachdachte, hatten diese unbändigen Schreie ohnehin jeglichen Humor vermissen lassen. In ihnen lag vielmehr eine... eine frohlockende Aggression. Ja! Das war es. Dieses Gekreische hatte so etwas wie Triumph signalisiert. Als sei Kitty bereits siegessicher, noch ehe sie ihre Kampflinien überhaupt abgesteckt hatten. Aber wieso triumphierte sie ? Vermutlich, dachte Rosa, und diese Demütigung versetzte ihr einen Stich, aufgrund der Tatsache, daß Esslyns erste Frau als Bittstellerin vor ihr stand. Was für eine Geschichte für die Garderobe. Rosa konnte es jetzt schon hören. »Darauf kommt ihr nie. Die arme, alte Mrs. Ernest hat mir doch tatsächlich einen Besuch abgestattet, weil sie das Baby großziehen will. Wenn das nicht zum Schreien ist. Die hat es zu spät werden lassen, um ein eigenes zu kriegen. Soviel Dummheit gehört doch bestraft.«

Nun ja, sagte sich Rosa, das alles hatte sie sich selbst eingebrockt. Als sie sich jetzt Kittys Spott und Hohn in allen Einzelheiten ausmalte, mußte sie sich natürlich fragen, wieso sie sich diesem lachhaft schlecht durchdachten Einfall auch nur eine Minute lang hatte hingeben können, ganz zu schweigen davon, daß sie es soweit hatte kommen lassen, Kitty tatsächlich aufzusuchen und ihr diese Frage zu stellen. Wieso um alles in der Welt, fragte sich Rosa, die nun ganz den Advokaten des Teufels spielte, wollte sie zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens ein Kind haben? War doch der gute Ernest, der selbst drei Kinder großgezogen hatte, zwar in seine Enkelkinder vernarrt, doch empfand er seinen Kontakt zu ihnen, nämlich die halbe Stunde in der Woche, in der er mit ihnen herumtollte und sie liebevoll verhätschelte, als absolut ausreichend. Wie wäre er damit zurechtgekommen? Aber es war zwecklos, jetzt noch zu jammern und zu klagen, sagte sie sich unerschrocken. Was bereits geschehen war, ließ sich jetzt nicht mehr rückgängig machen. Der einzige Weg, der ihr nun noch offenblieb, bestand darin, mit soviel Würde, wie nur irgend möglich, den Rückzug anzutreten. Und genau das hatte sie gerade vor, als Kitty die Tür schloß.

Das Klicken hörte sich sehr laut an. Und auch reichlich endgültig. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, blieb sie dort stehen und lehnte sich in einer Form dagegen, die Rosa wie eine Drohung vorkam. Und dann lächelte sie. Es war ein furchtbares Lächeln. Ihre schmale Oberlippe mit diesem köstlich lasziven Schwung zog sich nicht in die Breite. Sie hob sie eher in der Art eines böswilligen Tieres und entblößte ihre spitzen, scharfen Schneidezähne. Das Licht gab ihnen einen schimmernden Glanz. Sie sahen gefährlich scharf aus, und sie funkelten. Dann hörte sie auf zu grinsen, und das war noch schlimmer. Rosa, die sich vom Anblick dieser alarmierend weißen Zähne einen Moment lang hatte ablenken lassen, beging nämlich den Fehler, in Kittys Augen zu sehen. Strahlend azurblaues Eis. Unmenschlich. Plötzlich war die Luft im Raum dick und von Angst erfüllt. Und in diesem Augenblick wurde es Rosa klar. Sie wußte von einer Sekunde zur anderen ganz genau, daß es sich bei all diesem Geplänkel, den Unterstellungen und den halbseriösen Theorien, die sie im Vereinshaus gehört hatte, um nichts anderes als schlichte Tatsachen handelte. Und daß sich Kitty ihren Mann wahrhaftig vom Hals geschafft hatte, um an sein Geld zu kommen und ihre Freiheit wiederzuhaben. Und daß sie, Rosa, jetzt allein mit einer Mörderin war.

Rosa wurde plötzlich bewußt, daß sie ihren Atem angehalten hatte. Jetzt stieß sie ihn ganz vorsichtig wieder aus, als könnte selbst ein so leiser Laut Kittys Aufmerksamkeit erregen und bei ihr einen schlummernden Impuls zum Töten aktivieren. Rosa versuchte nachzudenken, aber sämtliche Gehirnleistungen schienen zum Erliegen gekommen zu sein. Sie versuchte, sich zu bewegen, und mußte zu ihrem Entsetzen feststellen, daß sie weit entfernt davon war, einfach nur auf ihren Füßen zu stehen. Sie schien vielmehr wie ein Baum mit dem Boden verwurzelt zu sein. Ihr Herz hämmerte, und die Wassertropfen tröpfelten im Takt und zerplatzten. Es kam Rosa so vor, als pulsierte in dem endlos langen Zeitraum zwischen einem Wassertropfen und dem nächsten, der aus dem Hahn rann, genauso übrigens wie zwischen der Abfolge ihrer Herzschläge, die garstige Abscheulichkeit des wahrhaft Bösen.

Was konnte sie bloß tun? Zuerst einmal wegsehen. Bloß nicht mehr in diese unglaublich grausamen Augen schauen. Dann wieder ihr Hirn auf Trab bringen. Hätte sie doch bloß jemandem - irgendwem - gesagt, daß sie nach White Wings fahren würde. Aber andererseits, vergegenwärtigte sich Rosa schwerfällig, da sie jetzt endlich wieder den einen oder anderen klaren Gedanken fassen konnte, konnte Kitty das ja gar nicht wissen. Bluff! Genau das war es. Sie konnte sich den Weg freibluffen. Sie würde einfach behaupten, sie hätte Er-nest erzählt, was sie vorhatte, und er sei schon auf dem Weg und müßte jede Minute hier sein, um sie abzuholen. Bebend gab sie Kitty diese Information.