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»Aber Rosa - das kann doch überhaupt nicht sein. Der Wagen steht schließlich draußen in der Ausfahrt.«

Oh, wie verschlagen sie doch war! Aus ihrer Stimme war nichts anderes als reine Verwunderung herauszuhören. Auf einmal stimmte Rosa mit Barnaby überein, der sich ja schon länger fragte, wieso sich eigentlich alle darin einig waren, daß Kitty nicht schauspielern konnte. Na gut, damit konnte sie sich das Bluffen auf der ganzen Linie abschminken. Aber was nun? Kitty trat von der Tür zurück, und Rosas Gehirn, das sich inzwischen auf wundersame Weise wieder aus seiner schwammigen Erstarrung gelöst hatte, nahm eine Verteidigungshaltung ein und projizierte Dutzende von Kampfszenen auf die Leinwand ihres Geistes.

Sie brachte Kitty mit einem Kung-Fu-Tritt oder einem heftigen Uppercut zu Boden. Sie hielt sie dort fest und drückte ihr ein Messer gegen die Kehle. Mit einem einzigen makellosen Wurf, der einen Teller wie einen Frisbee durch die Luft wirbeln ließ, versenkte sie Kitty in Bewußtlosigkeit. Als das letzte dieser wohltuenden Bilder verblaßt war, bemerkte sie, wie sich Kitty langsam auf sie zubewegte.

O Gott, betete Rosa. Hilf mir... bitte.

Sie fühlte sich schwer und behäbig, so träge wie ein Nilpferd, das die Hitze lähmt. Schweiß floß in dicken Rinnsalen an ihrem Kopf hinunter und zwischen ihren Brüsten hindurch, während ihre Oberlippe und die Stirn vor Spannung prickelten und sich ihr Blut dick und zäh anfühlte. Sie starrte Kitty an, jung, amazonenhaft, schlank wie eine Gerte, mit kräftigen, geschmeidigen Armen und Beinen. Wieder schoß es ihr durch den Kopf - welche Chance habe ich nur gegen sie?

Kitty lächelte, als sie auf Rosa zukam. Nicht ihr gewöhnliches unschuldiges Lächeln, sondern ein falsches, das wie auf ihre Lippen gemalt zu sein schien. Eine Persiflage von Besorgtheit. So hatte sie bestimmt auch Esslyn angelächelt, dachte Rosa, als sie ihm Glück für die Premiere wünschte, ehe sie das Messer für die Zerstörung scharf machte. Und dann, als sie sich ihren ersten Mann ins Gedächtnis zurückrief, hatte sie plötzlich die sehr lebendige Vision von Ernest vor Augen, der nach Hause kam, wie es jetzt wohl gerade der Fall war, und sein Essen haben wollte. Bei dem Gedanken daran, daß sie vielleicht nie wieder sein Gesicht sehen würde, spürte Rosa, wie ihr Blut auf einmal wieder in Wallung kam. Ihre Wut vertrieb ihre Angst. Sie stellte sich auf die Fußballen (plötzlich war sie merkwürdigerweise wieder sehr beweglich) und spürte, wie sich ihre Wadenmuskeln anspannten. Nein, sie würde hier nicht ohne Kampf untergehen.

Kitty war nur noch einen halben Meter von ihr entfernt. Jetzt oder nie. Rosa bemühte sich um einen Blick, von dem sie hoffte, daß er bedrohlich wirkte. Und dann stürzte sie sich mit einem Satz auf Kitty.

Colin Smy saß allein in seiner Werkstatt. Ihm war kalt, aber er konnte sich nicht dazu entschließen, den Heizlüfter anzustellen. Er hielt ein glattes, helles Stück Ahorn in den Händen, aber die Schönheit und die Maserung des Holzes, einst ein sicheres Stimulans von Gefühlen tiefster Zufriedenheit und ein Amulett gegen Verzweiflung, hatte an diesem Morgen seine Kraft verloren. Neben ihm stand eine Wiege aus Zedernholz, die sein Nachbar bestellt hatte. Vor zwei Tagen noch hatte er einen entzückenden Rahmen aus Blättern und Blumen um den Namen BEN geschnitzt. Er stieß die Wiege mit einem Finger an, und sie schaukelte in ihrem Bett aus duftenden, rostroten Sägespänen. Dann stand er auf und stiefelte ein wenig steif durch den Raum, wobei er einige Artefakte berührte, streichelte, die Hände gierig über ihre Umrisse gleiten ließ und Details der Linienführung sowie der Konturen wie ein Mann betastete, der an dem Punkt angelangt war, jeden Moment zu erblinden.

Colin hob seinen Meißel auf. Der Lack war längst vom Handgriff abgeblättert, und er paßte derart perfekt in Colins Handfläche, daß das Wort vertraut völlig unzureichend war, um das Gefühl zu beschreiben. Colin war stets ein wenig unbehaglich zumute, wenn er sich von seiner Werkstatt und von seinem geliebten Handwerkszeug losreißen mußte. Nun, da er glaubte, es könne Monate oder sogar Jahre dauern, bis er es wieder sehen oder berühren würde, tat sich das Gefühl eines bevorstehenden Verlusts gähnend in ihm auf.

Er hielt die Wiege an und blieb stehen, um sich einen weiteren Moment umzusehen. Obwohl seine Gefühle eher chaotisch waren, blieben seine Gedanken kristallklar. Das Versprechen, das er Glenda gegeben hatte, als sie im Sterben lag, war vorrangig und überwog alles andere. »Versprich mir«, hatte sie wieder und immer wieder gesagt, »daß du auf David aufpassen wirst.« Und er hatte es ihr wieder und immer wieder zugesichert. Sogar ihre beinahe letzten Worte (ehe sie äußerte: »So eine kurze Zeit bleibt uns noch« und »Auf Wiedersehen, mein Liebling«) waren gewesen: »Du wirst doch nicht zulassen, daß ihm irgendein Leid geschieht?«

Colin hatte sein Versprechen gehalten. Seit ihrem Tod war David seine Welt. Er hatte für seinen Jungen alles auf gegeben, und zwar frohen Herzens. Zuerst hatte er seinen Beruf als Schweißer an den Nagel gehängt, damit er David zur Schule bringen und wieder abholen konnte und an den Wochenenden und in den Ferien verfügbar war. Colin hatte auf der Basis des Freiberuflers angefangen, Holz-und Zimmermannsarbeiten zu übernehmen, zunächst allerdings nur mit mäßigem Erfolg. An materiellen Maßstäben gemessen, besaßen sie nur wenig, aber sie hatten einander, und Colin war vor Stolz überwältigt gewesen, als sein Sohn ein Talent zum Schnitzen an den Tag legte, das sein eigenes bei weitem übertraf. Zwei von Davids Skulpturen standen jetzt auf seiner Werkbank. Ein ernster alter Mann, ein Säer mit einem flachen Korb in der Armbeuge; und eine kniende Färse, ein Geschenk für Ben, sehr fein geschnitzt, mit gesenktem Kopf, aus dem in einem unsäglich beredten Winkel Hörner herauswuchsen.

Nachdem Glenda ihn verlassen hatte, schob Colin jeden Gedanken an eine neue Heirat beiseite. Zuerst, als er noch um seine Frau trauerte, war das nicht schwierig gewesen. Später, als er sich gelegentlich mit Frauen traf, die ihn normalerweise hätten schwach werden lassen, dachte er sich, daß sie David vielleicht nicht so lieben konnten, wie er das wollte, oder, was noch schlimmer gewesen wäre, daß sie ihn mit der Zeit möglicherweise sogar ablehnen könnten. So hatte er die Sache jedesmal beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Jetzt war David erwachsen und hatte selbst ein oder zwei Mädchen mit nach Hause gebracht. Bislang waren diese Affären immer ziemlich schnell zu Ende gegangen, und Colin war eigentlich jedesmal froh darüber gewesen, denn die Mädchen kamen ihm alle etwas zu selbstsicher vor (eine hatte sogar versucht, David zu dominieren). Jetzt allerdings wünschte er sich natürlich sehnlichst, David hätte eine von ihnen geheiratet. Obwohl selbst dann, so mußte er sich eingestehen, wäre David, wenn er weiterhin im Latimer ausgeholfen hätte, Kitty begegnet.

Colin setzte sich wieder und legte den schmerzenden Kopf in seine Hände. Als er die Gerüchte über David und Esslyns Frau zum ersten Mal gehört hatte, war er lediglich ein wenig von seinem Sohn enttäuscht, aber keineswegs besorgt gewesen. Kitty war nun mal eine attraktive junge Frau, und wie jeder andere in der Truppe auch, hatte Colin nichts gegen die Vorstellung einzuwenden, Esslyn bekäme ein Paar Hörner aufgesetzt. Hätte er doch nur geahnt, daß es so weit gehen würde...

Letzte Nacht hatte er schweren Herzens versucht, mit David zu reden, aber als er zu dem eigentlichen Punkt kam nicht mehr den Mut aufgebracht, seine Befürchtungen in klare Worte zu fassen. Statt dessen hatte er gemurmelt: »Jetzt ist sie frei... ich denke... nun ja... du wirst...«