»Das klingt für mich aber nicht gerade nach einem ernsthaften Versuch, Ihnen etwas anzutun.«
»Eine solche Haltung ist ja wirklich nett von der Polizei, das muß ich schon sagen. Ich werde Anzeige gegen sie erstatten, wegen tätlichen Angriffs.«
»Das können Sie natürlich tun.«
»Warum sind Sie eigentlich hier? Wegen der ganzen Aufregung habe ich völlig vergessen, Sie das zu fragen.«
»Um unsere Ermittlungen'fortzusetzen, Kitty.«
»Oh, Tom.« Sie lächelte verzückt. »Sagen Sie das wirklich? Ich dachte immer, das gäbe es nur im Film.« Sie ging zu dem Kieferntisch mit den Frühstücksresten und zog zwei rustikale Stühle darunter hervor.
»Parken Sie hier, wenn Sie schon anhalten.«
Die beiden Männer setzten sich an den Tisch, und Kitty gesellte sich zu ihnen. Sie saß recht nah bei Troy, und ihm wurde bewußt, daß sie sich noch nicht gewaschen hatte. Ein warmer, intimer, leicht an Wild erinnernder Geruch, der nach nächtlichen Ausflügen und Rendezvous duftete, umgab sie.
»Als erstes möchte ich von Ihnen wissen, Kitty«, begann der Chefinspektor, »ob Ihnen in den vergangenen Wochen, bis zum Tod Ihres Mannes, irgend etwas aufgefallen ist, was uns weiterhelfen könnte?«
»Was soll mir denn aufgefallen sein?«
»Hat er vielleicht von Plänen gesprochen ? Von besonderen Schwierigkeiten? Gab es irgendwelche Probleme mit Freunden?«
»Esslyn hatte keine Freunde. Er war nicht der Typ für tiefergehende Beziehungen.«
»Gab es Veränderungen in seinem Alltag?«
»Nun... er ging am Samstag morgen ins Büro. Sagte, er hätte einen Anruf bekommen... er müßte irgend etwas einklagen ... Oh! Natürlich - sein Kostüm. Er hat es nach Hause mitgenommen. Das hat er meines Wissens vorher noch nie getan.« ,
»Hat er begründet, wieso?«
»Ihm war wohl das Risiko zu groß, es in der Garderobe zu lassen. Das Kostüm hatte es ihm angetan. Zu Beginn des Stücks trägt er doch nur so einen dreckigen alten Schal und einen Bademantel, später wirft er dieses Zeug dann ab und sieht schließlich aus wie die Königin von Saba, und wir alle sollten dann >oh< und >ah< machen. Am Samstag morgen hat er es vor dem Spiegel anprobiert. Er war unglaublich eng darin eingeschnürt. Dann hat er sich darüber gefreut, was das doch für ein koo... koop... irgendwas...«
»Coup de théâtre.«
»... Ja... was immer das bedeutet...«
»So bezeichnet man einen umwerfenden theatralischen Effekt.«
»Das konnte er ganz gut«, kicherte Kitty und wurde rot, als sie Barnabys Blick begegnete. »Entschuldigen Sie, Tom. Das war eher geschmacklos. Entschuldigen Sie.«
»Ich muß Sie darauf festnageln, Kitty. Können Sie sich genau an das erinnern, was er gesagt hat?«
»Ich weiß wirklich nicht mehr als das, was ich Ihnen schon gesagt habe.«
»Sind Sie sicher, daß er coup de théâtre gesagt hat?«
»Ja.«
»Und sind Sie auch sicher, daß damit seine Transformation im ersten Akt gemeint war?«
»Nun... darüber hatte er jedenfalls gerade erst vorher gesprochen.«
Barnaby sah Kitty fest in die Augen und fragte dann: »Ihr Ehemann hat noch etwas gesagt, bevor er starb.« Kein Aufflackern von Angst war zu erkennen. Kein Funke der Beunruhigung. Nur unverhohlene und echte Neugier. Verdammt noch mal, dachte der Chefinspektor. Und das ausgerechnet bei meiner bevorzugten Hauptverdächtigen.«
»Was hat er denn gesagt?«
»Mein Sergeant hat das Wort >Dilettant< verstanden. Sagt Ihnen das irgend etwas?«
Kitty schüttelte den Kopf. »Außer...« Unter Barnabys ermutigendem Blick stotterte sie weiter: »...Also... daß etwas falsch gelaufen sein muß. Das bedeutet doch Dilettant, nicht wahr? Und so war es ja auch. Für Esslyn doch auf jeden Fall.«
»Vielleicht war es sein großer coup de théâtre.«
»Nein - der war am Anfang des Stücks. Den hat er gut hingekriegt. Das andere war ja am Ende.« Gewitztes kleines Biest, dachte Troy und seufzte, als sie eine Zigarette aus der Packung schüttelte und sie anzündete. Als sie seine gierigen Augen bemerkte, hielt sie ihm die Packung hin.
»Nicht im Dienst, Mrs. Carmichael, danke schön.«
»Mein Gott. Ich dachte, das gilt nur für harte Sachen und... äh... was war das andere?«
»Ich habe hier einen Durchsuchungsbefehl dabei, Kitty.« Barnaby stand abrupt auf. »Ich würde mir gern Esslyns Besitz ansehen, ehe wir gehen. Insbesondere die Korrespondenz' und seine persönlichen Papiere.«
»Bitte, bedienen Sie sich. Ich werde mir inzwischen etwas anderes anziehen.«
Sie folgten ihr durch die Eingangshalle, und sie wies mit dem Kopf auf eine Tür zur Linken. »Das ist sein Arbeitszimmer. Es dauert nur ein Momentchen. Ich bin gleich wieder da.«
Troy beobachtete, wie ihre langen, braungebrannten Beine die dick mit Teppich belegten Stufen hinaufliefen. Er fand, sie erinnere an eine dieser reizvollen jungen Sklavinnen aus den Fernsehkomödien, die im alten Rom spielen. Wo all die jungen Vögelchen immer in kurzen Hemdchen herumspringen und die Männer mächtige Federbüsche auf ihren Helmen tragen. Er hätte nichts dagegen gehabt, sie durch das Forum zu jagen. Wuh-hoo.
»Vergessen Sie es, Troy.«
»Mein Dienst ist um sieben zu Ende, Chef. Vielleicht finde ich ja etwas heraus.«
»Das einzige, was Sie herausfinden werden, ist, wie Sie sich am besten selbst im Weg stehen. Und nun vorwärts, lassen wir es krachen.«
Sie betraten ein kleines Zimmer, das nur spärlich mit einem kniehohen Tisch, einem Bücherregal und ein paar Sesseln möbliert war. Troy erkundigte sich: »Wonach suchen wir eigentlich?«
»Nach allem und jedem. Je persönlicher, desto besser.«
Keine der Schubladen des Tischs war verschlossen, aber ihr Inhalt war mager und nicht gerade aufregend. Versicherungsverträge. Unterlagen für den BMW. Hypotheken, Zahlungsbelege und ein paar Rechnungen. Bankauszüge, die regelmäßige Daueraufträge und bescheidene monatliche Überweisungen auf ein Sparbuch aufwiesen. Barnaby legte das alles zur Seite. Es lagen auch ein paar Reiseprospekte in den Schubladen. Sie gingen das Bücherregal durch (alles über Buchhaltung, bis auf eine Gesamtausgabe von Dickens, die aber nicht so aussah, als wäre sie jemals aufgeschlagen oder gar gelesen worden), und sie schüttelten die Bücher aus, weil sie hofften, daß ein paar finstere Briefe oder ein erhellendes billet doux herausfallen würden, doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht.
Esslyns Kleiderschrank und der Rest des Hauses waren ähnlich wenig aussagekräftig. Als sie schließlich fertig waren und das Haus gerade verlassen wollten, tauchte Kitty in einem schwarzen Trainingsanzug auf, um sich auf ihre Joggingrunde zu begeben. Sie kam in die Eingangshalle hinunter und begleitete die Beamten zur Tür. Das Haar hatte sie sich jetzt gebürstet, und es fiel wie blasser Satin um ihre samtenen Schultern.
»Ein schönes Haus«, erklärte Troy und setzte ein freundliches Lächeln auf, um für alle Fälle vorgesorgt zu haben.
»Viel zu groß für jemanden, der so klein ist wie ich«, antwortete Kitty und öffnete die Eingangstür. »Ich werde es morgen in die Zeitung setzen.«
»Dann sollten Sie aber erst sichergehen, daß es auch Ihnen gehört«, rief Barnaby.
»Was meinen Sie damit? Als nächste Verwandte geht doch alles an mich.«
»Das ist ein weit verbreitetes Mißverständnis, Kitty.« Dann, als er sah, wie ihre Gesichtszüge plötzlich erstarrten, tätschelte Barnaby mitfühlend ihren Arm. »Ich bin sicher, Esslyn hat alles ordentlich hinterlassen, aber wenn ich Sie wäre, würde ich mir vorsichtshalber einen Anwalt nehmen. Nur, um absolut sicherzugehen.«
Dann ging er, und sein Sergeant wollte ihm gerade folgen, als Kitty eine Hand auf seinen Ärmel legte:
»Ist doch seltsam, daß Sie Troy genannt werden, finden Sie nicht auch?«