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»Wieso denn das, Mrs. Carmichael?« Selbst durch den dicken Mantel konnte er die Wärme ihrer Finger spüren.

»Weil mein zweiter Name Helen ist«, erwiderte sie mit einem verruchten Lächeln.

»Warten Sie... warten Sie.«

Barnaby unterbrach Colin schon in seinem ersten Satz, bat um Tee und gab einige ungenaue Gemeinplätze von sich, bis das Gewünschte gebracht wurde. Er wartete, bis Colin seine drei Zuckerstücke unter heftigem Rühren aufgelöst hatte, und zog dann Block und Stift näher zu sich heran.

»Ist der Tee gut?«

»Oh... ja... danke.« Colins Aufregung war während der Warterei auf den Chefinspektor immer größer geworden. Daher hatte er sich auch nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, was außer seinem Schuldgeständnis alles auf ihn zukommen würde. Wenn er das getan hätte, wäre er jedoch sicher von einem nervöseren Empfang ausgegangen als dem, der ihm bisher zuteil geworden war.

»Was erwartest du jetzt von mir, Colin?« fragte Barnaby. »Daß ich dich in Eisen lege?«

Colin wurde rot. Und es beunruhigte ihn sehr, daß der andere ihn so leicht durchschaute. Er bemühte sich, seinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu bekommen, eine Maske der Unbesorgtheit aufzusetzen. »Natürlich nicht.« Er schluckte nervös. »Ich wußte,,daß ich Tee bekommen würde. Ich habe das schließlich schon oft genug im Fernsehen gesehen.«

»Ah, ja. Vor Z Cars haben sie da alle nur Wasser und Brot bekommen.«

Colin hatte das Gefühl, daß er lachen oder wenigstens ein Lächeln hervorbringen sollte. Dann gab es eine lange Pause. Worauf warteten sie denn noch? Colin kratzte nervös an seinem Hals und trank noch etwas Tee. Vielleicht lief es nun mal genauso ab. Vielleicht war das ihre Art, Menschen zu brechen. Folter durch Schweigen. Aber was sollte an ihm gebrochen werden? Er war doch gekommen, um ein Geständnis abzulegen, oder etwa nicht? Wieso zum Teufel konnte er nicht einfach damit loslegen? Das Schweigen, das sich weiter in die Länge zog, brachte ihn schließlich zum Sprechen. Er hätte am liebsten wild drauflos geredet.

»Es hat mir einfach keine Ruhe gelassen, Tom...«

»Das Herumtüfteln an dem Rasiermesser?«

»Ja. Ich hatte das Gefühl, ich könnte... ähem... so nicht weiterleben... und deshalb bin ich hergekommen, um es zu gestehen...«

»Ich verstehe.« Barnaby nickte ernsthaft, aber ohne etwas in seinen Block zu notieren, wie Colin bemerkte. »Und wieso genau hast du es getan?«

»Wieso?«

»Das war doch eine ganz verständliche Frage, oder?«

»Klar... sicher.« Wieso? O Gott, Colin! Du alter Esel. Du hast nicht weitergedacht als bis zu deiner eigenen dämlichen Nasenspitze. »Weil... nun weil er so gemein zu David war... er hat ihn in den Proben immer wieder verhöhnt und ausgelacht. Er hat ihn gedemütigt. Ich... ich habe deshalb beschlossen, daß er eine Lektion erteilt bekommen sollte.«

»Das war aber eine reichlich brutale Lektion.«

»...Ja...«

»Unverhältnismäßig hart, könnte man meinen.« Barnaby nahm seinen Stift zur Hand.

»Ich hatte nicht erwartet...« Colins Stimme wurde fester. »Er hat sich David gegenüber wie ein absoluter Dreckskerl verhalten.«

»Er hat sich jedem gegenüber so verhalten.« Als Colin nichts darauf antwortete, fuhr Barnaby fort: »Nun gut, was hast du denn nicht erwartet?«

»Daß er... sterben würde.«

»Hör bloß auf, Colin. Weshalb hatte man wohl zwei Lagen Klebefolie um die Klinge gewickelt? Was hast du denn geglaubt, was passieren würde, wenn du die entfernst und er sich die Klinge über die Kehle zieht? Wo du nun schon den Mut aufgebracht hast, herzukommen und zu gestehen, dann hab doch bitte auch den Mumm zuzugeben, daß du genau wußtest, was du da getan hast.« Obwohl Barnaby noch nicht einmal seine Stimme erhoben hatte, kam diese Colin wie ein ohrenbetäubender Knall vor, der von den Wänden abprallte und auf sein Trommelfell einschlug.

»Also, wann genau hast du das Klebeband abgezogen?«

»Nachdem Dierdre es überprüft hatte.«

»Offensichtlich. Aber wann genau?«

»Meinst du den Zeitpunkt?«

»Natürlich meine ich den Zeitpunkt.«

»... Ähem... ich glaube, nachdem sie bekanntgegeben hatte, daß die Aufführung in einer halben Stunde beginnt... ja. Das stimmt. So zwischen dreißig und vierzig Minuten vor dem Anfang des ersten Akts.«

»Das war aber ganz schön knapp, nicht wahr? Da müssen doch einige Leute in der Nähe gewesen sein.«

»Nein. Dierdre war gegangen, um ihre Assistenten von oben zu holen. Und die Schauspieler hielten sich alle noch in ihrer Garderobe auf.«

»Und wo hast du es ausgeführt?«

»Pardon?«

»Wo?«

».. .Tja... in der Werkstatt.«

»Dann warst du aber sehr fix. Womit hast du den Tesafilm entfernt?«

»Mit einem Stahlmesser.«

»Demselben, das in den Kulissen lag?«

Colin zögerte. Die Fingerabdrücke, dachte er. Seine sollten eigentlich überall in den Kulissen sein, aber man konnte ja nie wissen. »Nein. Ich habe mein eigenes benutzt.«

»Hast du es dabei?«

»Es liegt in meiner Werkstatt.«

»Und was hast du mit dem Tesafilm gemacht?«

»Ihn einfach... zusammengeknüllt.«

»Und ihn dagelassen?«

»Ja.«

»Also, wenn wir jetzt gleich rübergehen, dann kannst du ihn uns zeigen?«

»Nein! Hinterher... als mir bewußt geworden ist, was ich da angerichtet habe... habe ich ihn einfach weggeworfen. Ihn in der Toilette runtergespült.«

Barnaby entgegnete: »Ich verstehe.« Dabei nickte er. Dann lehnte er sich auf seinem Sessel zurück und sah aus dem Fenster hinaus auf die tiefhängenden schwarzen und grauen Wolkenfetzen, die vorüberzogen. Colin lehnte sich ebenfalls ein wenig zurück. Sein Atem ging wieder annähernd normal; sein Herz hörte auf zu hämmern. Das war doch gar nicht so schlecht gelaufen. Alles, was er jetzt noch tun mußte, war, sich genau zu merken, was er gesagt hatte (denn Barnabys Block schien nur so mit Linien und Schnörkeln bedeckt zu sein), und dabei zu bleiben. Aber das konnte ja nicht so schwer sein.

Colin warf einen Blick auf seine Uhr. Zu seiner Verwunderung waren kaum zehn Minuten vergangen, seit er den Raum betreten hatte. Die Sinnestäuschung, er wäre schon seit Stunden hier eingeschlossen und redete blanken Blödsinn, war wohl bloß auf seine überstrapazierten Nerven zurückzuführen.

Barnaby nahm einen letzten Schluck. »Noch eine Tasse Tee, Colin?« Als dieser dankend ablehnte, erklärte Barnaby. »Ich denke, ich werde mir dagegen noch eine Tasse genehmigen.« Mit diesen Worten verschwand er.

Als er allein war, sammelte Colin seinen Grips wieder zusammen. Er war nun zwangsläufig dazu verdammt, immer wieder dieselben Fragen zu beantworten. Vermutlich würden sogar noch neue hinzukommen (obwohl er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was das für Fragen sein sollten), aber nachdem er erst mal Zeitpunkt, Methode und Motiv der Tat zu einer logischen Kette zusammengefügt hatte, traute er sich auch den Rest zu. Schließlich war das das Wesentliche gewesen. Die entscheidende Grundlage seines Geständnisses. Und keiner würde jemals beweisen können, daß er nicht die Wahrheit gesagt hatte. Er würde im Gerichtssaal aufstehen und seine Aussage beschwören. Wenn nötig, würde er den Rest seines Lebens ununterbrochen Meineide ablegen.

Barnaby blieb lange weg. Colin fragte sich, wieso er nicht einfach auf den Knopf gedrückt hatte, wie zuvor, als er den Tee hatte kommen lassen. Colin legte sein Ohr an die Tür, aber er vernahm nur das entfernte Rattern einer Schreibmaschine. Vielleicht hatte Barnaby ja jemanden gefunden, der die Aussage ordentlich protokollierte. Colin lauschte weiter und hörte keine näher kommenden Schritte, beugte sich schnell über den Tisch und drehte den Block des Chefinspektors um. Er war bedeckt mit Zeichnungen wunderbarer Gewächse - Glocken-und Schlüsselblumen. Und Farnkraut.