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»Ich bin zumindest der festen Überzeugung, wir sollten keine weiteren vorschnellen Schlußfolgerungen aus deiner Beobachtung ziehen. Diese eine ist schon mehr als genug. Wir werden ja sehen, was David zu sagen hat, wenn er hier ankommt.«

»David... hier... O Gott!« Erschreckt sprang Colin von seinem Stuhl auf.

»Setz dich«, befahl Barnaby ärgerlich. »Du bist hier reingeschneit und hast ein falsches Geständnis abgelegt. Da du kein Wirrkopf bist, war es doch klar, daß du jemanden decken wolltest. Und es gibt nun mal nur einen Menschen, für den du soweit gehen würdest. Und hier« - der Summer ertönte - »haben wir ihn auch schon, wenn ich halbwegs richtig liege.«

Als die Tür aufging, zog Colin die Schultern zusammen und vergrub das Gesicht wieder in den Händen. Er blickte nicht auf, als David förmlich durch das Zimmer sprintete und neben ihm niederkniete.

»Dad - was soll das? Was tust du hier?« Als er keine Antwort bekam, wandte er sich an Barnaby. »Tom, was zum Teufel geht hier vor?«

»Dein Vater hat gerade den Mord an Esslyn Carmichael gestanden.«

»Er hat was getan?« David Smy blickte Barnaby absolut verständnislos an und wandte sich dann wieder der zusammengekrümmten Gestalt auf dem Stuhl zu. Er versuchte, den Kopf seines Vaters so zu drehen, daß er ihm ins Gesicht sehen konnte, aber Colin stieß einen wilden, tierischen Schrei aus und verbarg das Gesicht nur noch tiefer in den angewinkelten Armen.

David stand auf und erklärte: »Ich glaube es nicht. Das glaube ich einfach nicht.«

»Nein«, antwortete Barnaby trocken, »ich glaube das auch nicht.«

»Aber dann... weshalb dann das Ganze? Papa, was soll das alles?« Er schüttelte den Arm seines Vaters. »Sieh mich an!«

»Er wollte jemanden decken. Oder er hat sich zumindest eingebildet, das gelänge ihm dadurch.«

»Du dummer Kerl... kapierst du denn nicht, was du da tust?« In Davids Stimme schwang große Panik mit. »Aber... wenn du weißt, daß er lügt, Tom... dann ist doch alles in Ordnung, oder? Ich meine... das ist es doch?«

»Bis auf einen Punkt.«

»Und der wäre?«

»Was meinst du wohl, für wen er unschuldig ins Gefängnis ginge?«

David erstarrte, und Barnaby beobachtete, wie sein Gesichtsausdruck von Verständnislosigkeit und aufsteigender Besorgnis zur Ungläubigkeit überwechselte. Die Ungläubigkeit hielt sich am längsten. »Du meinst... er hat im Ernst geglaubt, ich wäre es gewesen?«

»Genau.«

»Aber warum um alles auf der Welt sollte ich Esslyn töten wollen?«

Barnaby hatte diesen Satz (vielleicht hier und da mit einer etwas anderen Betonung) schon sehr viele Male in seiner beruflichen Laufbahn gehört. Er hatte ihn aus Seelen voller Schuldgefühle und aus unschuldigen Seelen aufsteigen hören; mit großer oder mit nur wenig Empörung, in selbstgerechter Entrüstung hervorgebracht oder durchsetzt mit Angst. Aber noch niemals zuvor wurde dieser Satz mit einer so hundertprozentig echten Verblüffung geäußert, die sich auch in David Smys Gesichtszügen widerspiegelte.

»Nun«, meinte der Chefinspektor, »die allgemein verbreitete Meinung scheint zu lauten, daß deine Affäre mit Kitty durchaus ein Grund zum Töten gewesen sein könnte.« Davids Ausdruck des Unglaubens steigerte sich bis zu dem Punkt, an dem er wie vor den Kopf geschlagen wirkte. Er bewegte sein Haupt langsam von einer Seite zur anderen, so als wolle er sich von einem heftigen Schlag erholen, um endlich wieder klar denken zu können. Barnaby schlug vor: »Wenn ich du wäre, würde ich mich setzen.«

David ließ sich auf den zweiten mit Tweed bezogenen Stuhl sinken und stellte fest: »Ich denke, hier gibt es einige Mißverständnisse.« Daraufhin hob Colin den Kopf, und sein gequälter Blick schien einen anderen Ausdruck anzunehmen.

»Du bist in den Kulissen dabei beobachtet worden, dich in sehr verdächtiger Weise verhalten zu haben«, hielt ihm Barnaby vor. »Etwa so um Viertel vor.«

David wurde blaß. »Von wem?«

»Wir haben einen anonymen Anruf bekommen und müssen solchen Dingen selbstverständlich nachgehen.«

»Natürlich.« David saß eine Weile schweigend da, dann entgegnete er: »Ich war mir sicher, daß ich allein war.«

»Du mußt nichts mehr sagen!« schrie Colin. »Du hast alle möglichen Rechte. Ich werde dir einen Anwalt besorgen...«

»Ich brauche keinen Anwalt, Papa. Ich habe nichts Böses getan.«

»Meinst du, wir könnten jetzt allmählich mal darauf zu sprechen kommen, was du nun wirklich genau getan hast?« sagte Barnaby schroff. »Meine Geduld geht nämlich langsam zu Ende.«

David holte tief Luft. »Esslyn hatte diese gemeine Geschichte über Dierdres Vater erzählt. Das war so grausam. Alle haben gelacht, und ich wußte, daß sie es gehört hatte. Sie war ja draußen auf der Treppe. Hinterher habe ich dann beobachtet, wie sie die Tonanlage geprüft und dabei geweint hat. Ich bin einfach in schreckliche Wut geraten. Als sie nach oben gegangen ist, um die Schüler abzuholen, habe ich etwas Scheuerpulver aus der Herrentoilette geholt und es auf diese kleinen Kuchen gestreut, die Esslyn im ersten Akt ißt. Ich weiß, daß es dumm, boshaft und kindisch war, aber das kümmerte mich nicht. Ich täte es jederzeit wieder.«

Barnaby starrte in Davids entschlossenes Gesicht und richtete dann seinen Blick auf den Vater des Jungen. Vor seinen Augen klärte sich Colins Miene von jeglichem Gram und von aller Verzweiflung und nahm das Strahlen eines Kindergesichtes an, das von einer Sekunde zur anderen vor Vergnügen nur so leuchtet. Colin strahlte jetzt eine derartige Begeisterung aus, daß es ihn beinahe lächerlich wirken ließ.

»Ich wußte gar nicht, daß du dieses Mädchen so gern hast«, rief er freudig aus.

»Ich habe sie nicht einfach nur gern, Papa. Ich bin in sie verliebt. Meine Gefühle sind tief, und das schon seit einiger Zeit. Das habe ich dir doch erzählt.«

»Was?«

»Wir haben doch gerade erst letzte Woche über sie gesprochen. Ich habe dir erzählt, daß ich mich in jemanden verliebt habe, daß sie aber nicht frei ist. Und gestern haben wir auch wieder darüber geredet.«

»Du hast von Dierdre gesprochen?«

»Von wem denn sonst?« David schaute von seinem Vater zu Barnaby und sah dann wieder seinen Vater an. Sein Gesichtsausdruck war finster. Es waren die Züge eines Mannes, mit dem man sich einen Scherz erlaubt hatte und der auf diese Erfahrung durchaus hätte verzichten können. »Ich weiß nicht, wie du darauf kommen konntest, daß ich etwas mit Kitty hätte.« Barnaby zuckte die Achseln und grinste. David fuhr entrüstet fort: »Das ist überhaupt nicht zum Lachen, Tom. Was ist, wenn Dierdre etwas davon hört? Ich will nicht, daß sie mich für eine Art Don Juan hält.« Der Gedanke daran, David mit seinem frischen Teint, den aufrichtigen blauen Augen und dem schlichten Gemüt in der Rolle des Don Juan zu sehen, veranlaßte Barnaby dazu, seine Lippen noch einmal etwas zu verziehen. Er täuschte einen Hustenanfall vor, um es nicht zu zeigen. »Und außerdem, Papa...« Colin, der verlegen und beschämt wirkte, aber gleichzeitig vor Glück über das ganze Gesicht strahlte, trat von einem Fuß auf den anderen. »Wie hast du überhaupt Wind von der ganzen Sache bekommen?«

»Wir haben ihm einen Besuch abgestattet«, warf Barnaby ein, ehe Colin etwas darauf erwidern konnte. »Ich fürchte, dein Vater hat aus den Fragen, die wir ihm gestellt haben, seine eigenen Schlüsse gezogen.«

»Du alter Dummkopf«, tadelte David, »ich habe gar nicht gewußt, daß du so doof sein kannst.«

»Nein«, gestand Colin. »Das wußte ich selbst nicht. Nun...«

Er stand auf. »Können wir... ist es in Ordnung, wenn wir jetzt gehen?«