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Nicholas, der zum Essen eingeladen worden war, platzte bei seinem Erscheinen fast vor Aufregung. Er schwenkte den Brief, der seine Aufnahme am Central bestätigte, in der Hand und hielt sich mit der anderen die Nase, die zum Blumenkohl angeschwollen war. Nun war er schon eine halbe Stunde im Haus und redete immer noch unaufhörlich über den Brief, obwohl man das Thema für Averys Geschmack in zwei Minuten hätte abhandeln können, und selbst dann wäre immer noch genug Zeit für eine ausgedehnte Lesung der Suren des Koran gewesen.

»Ist das nicht absolut phantastisch?« schwärmte Nicholas jetzt noch einmal.

»Wunderbar genug jedenfalls, um deine Augen glänzen zu lassen«, entgegnete Tim lächelnd. »Komm, trink aus.«

Avery, dessen Tonsur im Licht des Strahlers wie die Glasur von braunem Schokoladeneis glänzte, schnitt gerade einen Schweinebraten in dünne Scheiben, die sich in weichen, rosigen Wellen auf eine Marmorplatte senkten. Daneben standen Erdnüsse und Chilies. Die Tomatensuppe wurde in dem Turmtopf warmgehalten. Basilikum, das im vergangenen Sommer gepflückt und sofort in einem Eiswürfel tiefgefroren worden war, taute in einer Tasse auf. Avery bewegte sich zielstrebig zwischen seinen kulinarischen Mysterien und nippte am Doisy Däene sec. Er war fast zufrieden. Fast, aber eben nicht ganz. Eine Wolke, nicht größer als die Lüge eines Mannes, verdunkelte immer noch seinen Horizont. Und eine kleine Szene - nicht einmal eine Szene, eher ein Augen-blickchen - war in sein Gedächtnis eingebrannt.

Tim und Esslyn, wie sie mit zusammengesteckten Köpfen im Vereinsraum gestanden hatten wie zwei große dunkle Klingen. Esslyn hatte sehr leise gesprochen. Als Avery hereingekommen war, hatten sich die beiden sofort getrennt, zwar nicht schuldbewußt (Tim war nie schuldbewußt), aber trotzdem sehr rasch. Avery hatte diese Last tagelang mit sich herumgeschleppt, ehe er beiläufig fragte, um was es bei dieser faszinierenden Unterhaltung eigentlich gegangen sei. Tim hatte behauptet, sich an den fraglichen Zeitpunkt überhaupt nicht mehr erinnern zu können. Ganz klar eine indirekte Lüge. Das war schlimm genug. Avery verdrängte die ganze Geschichte. Was hätte er auch sonst tun sollen? Aber dann, und viel schlimmer, log Tim ihm direkt ins Gesicht.

Während sie alle aufgeregt durch die Kulissen liefen, Esslyns Lebenssaft über die Bühne floß und Harold tobte, hatte Avery geflüstert: »Das wird hoffentlich die Blitze aus seinem Geist vertreiben. Vielleicht müssen wir ja doch nicht gehen.«

Darauf hatte Tim entgegnet: »Wir werden jetzt erst recht gehen müssen.«

»Was meinst du mit jetzt}«

»Wie bitte?«

»Du hast gesagt, wir werden jetzt erst recht gehen müssen.«

»Nein, das habe ich nicht gesagt. Das bildest du dir nur ein.«

»Aber ich habe ausdrücklich gehört...«

»Oh, hör bloß auf mit deiner Haarspalterei.«

Also hatte Avery natürlich damit aufgehört. Nun aber, nicht ganz zufrieden, beobachtete er durch den gelbgesprenkelten Schirm aus Drachenwurz und Feuerkolben seinen Liebhaber, der sich entspannte und Nicholas zuprostete.

»Ich muß schon sagen«, rief Avery und versuchte besonders angestrengt, seine Befürchtungen beiseite zu schieben, »ich werde es vermissen, nicht mehr über Esslyn herziehen zu können.«

»Auch ich sehe keinen Grund, weshalb du es nicht vermissen solltest«, antwortete Tim. »Als er noch am Leben war, konntest du gar nicht damit aufhören.«

»Hmm...« Avery nahm die schwere Gußeisenpfanne herunter, gab etwas Sesamöl hinein und fügte eine Prise Anis hinzu. »Aber fast das Schönste daran war doch, daß immer die Chance bestanden hat, es könnte ihm irgendwie zugetragen werden.«

»Tom meint, ich solle mir einen Anwalt nehmen«, warf Nicholas plötzlich ein. »Ich glaube, er denkt, ich wäre es gewesen.«

»Wenn er tatsächlich glauben würde, du hättest es getan, mein Junge«, erwiderte Tim, »dann säßest du jetzt nicht hier.«

Nicholas war sofort wieder aufgeheitert und fragte nun zum dritten Mal, ob sie glaubten, er würde ohne Probleme ein Stipendium für die Schauspielschule erhalten. Avery nahm ein paar Chilies und warf sie in die Pfanne. Er schüttelte und rüttelte sie etwas lauter, als es unbedingt nötig gewesen wäre, aber das tat er immer, wenn sie Gäste hatten. Wie ein Kind befürchtete er, die beiden könnten vergessen, daß er hinter den Feuerkolben und dem Philodendron steckte, oder daß sie, falls sie es nicht vergessen haben sollten, nicht zu schätzen wußten, wie schwer er für ihr leibliches Wohl schuftete.

Nicholas lehnte sich auf dem himbeerfarbenen Satinsofa, das wie eine große Muschel aussah, zurück und genehmigte sich einen großen Schluck von seinem Aperitif. Er liebte Tims und Averys Wohnzimmer. Es war eine außergewöhnliche Mischung aus flaumweichen Freuden wie diesem Sofa und finsteren Stücken von oberlehrerhafter Strenge, wie Tims Oscar-Woollen-Lehnstuhl, den beiden niedrigen, schwarzen italienischen Glastischen oder dem wuchtigen, schweren bronzenen Helm, der neben dem Bücherregal auf seiner Seite lag. Er erkundigte sich: »Was steht heute auf der Tageskarte, Avery?«

»Satay.«

»Ich dachte, das sei eine Methode, um Selbstmord zu begehen.« Nicholas rutschte auf den schimmernden Polstern herum. »Hoppla! Kann ich noch etwas von diesem hervorragenden Wein haben, Tim?«

»Nein. Du bist jetzt schon ziemlich daneben. Und außerdem gibt es Tignanello zum Fleisch.«

»Schade!« bedauerte Nicholas. Und dann: »Hast du Joyces Tochter bei der Premiere gesehen? Die ist ja wohl ganz schön atemberaubend?«

»Sie ist sehr hübsch«, bestätigte Tim.

»Diese Beine... und dieser lange Hals... und die Wimpern ... und diese außergewöhnlichen Wangenknochen...«

»Nun ja, du bist vielleicht nicht gerade die nüchternste Person in diesem Raum«, meinte Avery, »aber, meine Güte, du weißt, wie man Inventur macht.«

»Werdet ihr zu meiner Abschlußvorstellung kommen?«

»Der Junge macht aber Riesensprünge.«

»Wenn wir eingeladen werden«, sagte Tim.

»Vielleicht gewinne ich in meinem letzten Jahr schon die Gielgud-Medaille ?«

»Nicholas, du mußt wenigstens so tun, als seist du etwas bescheidener, sonst werden dich die anderen Studenten definitiv verabscheuen.« Avery wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Kochen zu. Er arrangierte das Schweinefleisch noch etwas duftiger, nippte an seinem Wein, probierte die Suppe und linste zu seinen kleinen Zuckerkörbchen, in denen er die geeisten Kirschen angerichtet hatte, die er jetzt in der Vorratskammer kühlhielt. Dann nahm er heiße braune Brotscheiben aus dem Ofen, gab die Suppe in eine vorgewärmte Terrine und schaltete sich wieder in das Gespräch ein.

Nicholas hatte gerade gesagt, daß er sie in den Ferien besuchen würde. Avery jedoch glaubte, daß keiner mehr etwas von dem Jungen sehen oder hören würde, wenn er erst einmal von hier fortgegangen war. Und da lag er nicht einmal völlig falsch. Denn obwohl Nicholas später tatsächlich nie zu Besuch kam oder ihnen eine Einladung zu einer seiner unglaublich erfolgreichen Premieren schickte, sollten sie trotzdem noch viele Jahre jeweils zu Weihnachten eine Karte von ihm bekommen, die an sie beide gemeinsam adressiert war.

Avery rief: »Von mir für euch«, und trug die Terrine, das Brot und eine Tonschale mit griechischem Joghurt und saurer Sahne auf. Es war immer noch vom Theater die Rede.

»Ich weiß nicht, ob ich noch für Wanja bleiben oder jetzt schon abhauen soll«, gestand Nicholas gerade.

»Du wirst doch erst in ein paar Monaten beim Central anfangen«, gab Tim zu bedenken.

»Aber ich könnte mir vielleicht schon einen Job besorgen und die Stücke ansehen und einen Bewegungskurs oder so was belegen.«

»Es gibt drei tolle Rollen in dem Schauspiel«, fuhr Tim fort. »Und jetzt, wo Esslyn nicht mehr da ist, könntest du eine davon spielen.«