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Als sie sich der Veranda näherten, brach die Sonne durch die Wolken und beleuchtete die Südwand des Hauses. Die Steine und Fenster schienen Feuer zu fangen und glitzerten in allen Farben.

Barnaby klopfte an die Tür. Keine Reaktion. Er senkte den Blick und entdeckte eine zarte Geißblattranke, die sich tapfer gegen die wuchernden Nesseln zu behaupten versuchte. Vielleicht hatte das Mädchen das Geißblatt gepflanzt und in der Hoffnung gehegt und gepflegt, daß es irgendwann einmal die ganze Veranda umranken könnte. Zwei Blüten hatten sich bereits geöffnet.

»Versuchen wir’s an der Hintertür.«

Hinter dem Haus befanden sich ein kleiner, asphaltierter Hof, noch mehr Nesseln, eine Regentonne mit abgestandenem, von einer dicken grünen Schleimschicht bedecktem Wasser und drei schwarze Plastiksäcke mit Abfall. Die Scheiben der beiden kleinen Fenster auf dieser Seite waren trüb vom Staub. Barnaby rieb eine kleine Stelle sauber und spähte ins Haus.

Ein Mann in blauem Hemd und Cordhose - beides war mit Farbspritzern übersät - stand mit dem Rücken zum Fenster vor einer Staffelei. Er schien fieberhaft zu arbeiten - der Pinsel zuckte unaufhörlich zwischen Palette und Leinwand hin und her.

»Er muß uns längst gehört haben, Sir.«

»Na, ich weiß nicht. Menschen in Phasen der Kreativität... er ist wahrscheinlich total abwesend.«

Sergeant Troy schnaubte. Den Gedanke, daß Malen jemanden taub zu machen vermochte, konnte er nicht so ohne weiteres hinnehmen. Er selbst hatte keine Zeit für das, was er künstlerischen Schnickschnack nannte - so etwas brachte der Gesellschaft seiner Ansicht nach keinerlei Nutzen, und trotzdem erwarteten die sogenannten Künstler, daß die Leute eine Menge Geld für ihre Machwerke ausgaben. Barnaby klopfte ans Fenster.

Der Mann wirbelte herum. Er bewegte sich ungeheuer schnell; man sah nur ein weißes Gesicht, das sich sofort wieder abwandte, dann stürzte er geradezu aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Barnaby hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde, und ging rasch zur Haustür zurück. Die beiden Polizisten kamen gerade an, als Michael Lacey die Tür öffnete.

Er war nur wenig größer als seine Schwester und sah ihr so ähnlich, daß die Verwandtschaft nicht zu leugnen war. Er hatte dieselben tiefgründigen, violetten Augen, dasselbe dunkle Haar, nur trug er es kurz geschnitten, und es lockte sich nach allen Seiten. Seine kleinen, wohlgeformten Ohren saßen relativ weit hinten - das und seine auseinanderstehenden Augen ließen ihn gefährlich aussehen, ähnlich einem boshaften Pferd. Nach Mrs. Rainbirds Bemerkung über das Bügeleisen hätte Barnaby erwartet, eine große, auffällige Narbe zu sehen, aber auf den ersten Blick schien Michael Laceys Gesicht vollkommen unversehrt zu sein. Erst dann fiel Barnaby auf, daß die Haut zwischen Wangenknochen und Mundwinkel etwas straffer, glatter und ein wenig gerötet war. Offenbar war die Verbrennung so stark gewesen, daß man eine Hauttransplantation vorgenommen hatte. Zusätzlich zu seinem guten Aussehen (dem der schimmernde Hautstreifen seltsamerweise gar keinen Abbruch tat) strahlte er eine umwerfende Männlichkeit aus. Aber keine Wärme. Michael Lacey würde, wenn er könnte, sich die Welt und ihre Bewohner so einrichten, wie es ihm paßte. Barnaby empfand Mitleid mit Judy Lessiter und sogar mit dem widerlichen Dennis Rainbird.

Er sagte: »Dürfen wir einen Moment hereinkommen?«

»Was wollen Sie?«

»Wir sind von der Polizei...«

»Sie sind also von der Polizei. Was soll ich jetzt Ihrer Meinung nach tun? Eine Flagge hissen?«

»Wir befragen jeden im Dorf...«

»Ich wohne nicht im Dorf. Ich bin erstaunt, daß Ihr Scharfsinn Sie annehmen läßt, ich würde es tun.«

»... und alle Menschen der Umgebung. Mr. Lacey, das ist eine übliche Maßnahme während einer...«

»Hören Sie. Es tut mir leid wegen Miss Simpson. Ich mochte sie. Aber ich habe mit den Dingen, die sich im Dorf abspielen, nichts zu tun und will es auch nicht - das wird Ihnen der allgemeine Klatsch bestätigen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden.«

»Wir werden Sie nicht lange aufhalten, Sir.« Barnaby trat einen kleinen Schritt vor, und Michael Lacey wich zurück, gerade so weit, daß die beiden Männer sein Cottage betreten konnten. Gleich links von ihm befand sich eine kahle Treppe - er setzte sich auf eine Stufe und ließ seine Besucher stehen.

»Kannten Sie Miss Simpson gut?«

»Ich kenne gar niemanden gut. Sie ließ mich ein paar Bilder von ihrem Garten malen - zu verschiedenen Jahreszeiten -, aber das ist schon Jahre her. Ich bin ihr mindestens seit zwei Monaten nicht begegnet.« Er musterte den Chief Inspector wachsam, unbekümmert und ein bißchen amüsiert. Offensichtlich hatte er sich entschieden, die Störung durch die Gesetzeshüter als unterhaltsame Abwechslung anzusehen.

»Können Sie uns sagen, wo Sie am Nachmittag und Abend des letzten Freitags gewesen sind?«

»Hier.«

»Das ist aber eine prompte Antwort, Mr. Lacey. Halten Sie es nicht für notwendig, erst genauer nachzudenken?«

»Nein. Ich bin immer hier. Und arbeite. Manchmal mache ich eine Pause und gehe im Wald spazieren.«

»Und sind Sie an diesem Tag im Wald spazierengegangen?« hakte Barnaby nach.

»Möglich. Ich weiß es nicht mehr. Da meine Tage alle gleich verlaufen, brauche ich kein Tagebuch zu führen.«

»Es scheint ein ziemlich langweiliges Leben für einen jungen Mann zu sein.«

Michael Lacey betrachtete seine bloßen Füße. Es waren schöne Füße: lang, schmal mit glatter Haut und zarten Knochen. Byzantinische Füße. Dann richtete er den Blick auf Barnaby. »Die Arbeit ist mein Leben«, erwiderte er ruhig und 'mit solch leidenschaftlicher Überzeugung, daß Barnaby, der sich gelegentlich mit Wasserfarben versuchte und Mitglied des Kunstförderkreises von Causton war, neidisch wurde. Aber er redete sich ein, daß Überzeugung und Begeisterung allein noch kein Talent verrieten, wie Joyces Theatergruppe anschaulich unter Beweis stellte. Diese Schlußfolgerung gab ihm neue Kraft. »Es gibt da noch einige Fragen, Mr. Lacey. Wenn es Ihnen nichts ausmacht...«

»Oh, aber es macht mir etwas aus. Ich hasse es, bei der Arbeit unterbrochen zu werden.«

»Soweit ich weiß«, fuhr Barnaby gelassen fort, »waren Sie dabei, als die verstorbene Mrs. Trace getötet wurde.«

»Bella?« Er war offenbar verwirrt. »Ja, aber ich verstehe nicht...« Er hielt inne. »Sie glauben doch nicht, daß da ein Zusammenhang besteht?« Er schien seine Feindseligkeit zu vergessen und wirkte ernsthaft interessiert. »Nein... wie könnte es?«

»Dem Zeitungsartikel konnte ich entnehmen, daß Sie der erste waren, der Mrs. Trace erreichte.«

»Das stimmt. Lessiter sagte, ich solle sie auf keinen Fall berühren und lieber losrennen und einen Krankenwagen rufen. Genau das hab’ ich auch gemacht.«

»Hielt sich jemand während des Jagdausflugs in Tye House auf?«

»Nur Katherine. Sie schleimte sich dort ein wie eine Verrückte.«

»Wie bitte ?«

»In der Küche - sie machte Sandwiches, füllte Pasteten und kochte einen Auflauf für die Jäger.«

»Während Sie als Treiber tätig waren.«

»Das ist was anderes. Ich wurde dafür bezahlt.« Barnabys Seitenhieb erstickte den ärgerlichen Unterton in seiner Stimme. Er bestätigte, daß kein Mitglied der Jagdgesellschaft in der Position war, einen Schuß auf Mrs. Trace abzufeuern, und setzte hinzu: »Ich weiß nicht, warum Sie mich das alles fragen. Ich hatte nicht einmal ein Gewehr dabei.«