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»Aber Sie werden es zu Protokoll nehmen, oder?«

»Selbstverständlich müssen wir jede Aussage zu den Akten legen.« Wie aufs Stichwort zog Troy seinen Notizblock heraus.

»Ich müßte meine Praxis aufgeben, wenn das öffentlich bekannt wird. Wegziehen aus dieser Gegend.« Trevor Lessiter sank auf seinem schicken Ledersessel zurück. Seine Wangen wirkten eingefallen und grau. Im nächsten Moment schoß ihm das Blut ins Gesicht. »Sie werden doch meiner Frau nichts davon erzählen?« fragte er in Panik.

»Wir >erzählen< niemandem etwas, Sir. Das entspricht nicht unserer Arbeitsweise. Alibis werden überprüft, um den Kreis der Verdächtigen zu verkleinern und die schuldige Person zu überführen.«

»Oh«, rief er. »Ich habe nichts Schlimmes gemacht.«

Die Anzahl der Menschen, die die Polizei anlügen und diese Lügen als nicht schlimm ansehen, wird immer größer, überlegte Barnaby. Er wartete.

»Sie ... äh... haben meine Frau kennengelernt, Chief Inspector. Viele Leute, das heißt Männer, beneiden mich, das weiß ich.« Trotz seiner Angst flackerte so etwas wie Befriedigung in seinen Augen auf - das erinnerte Barnaby an Henry Trace. »Aber Barbara ist... o Gott, wie soll ich das ausdrücken, ohne ihr unrecht zu tun? Sie ist eine wundervolle Partnerin, wir haben viel Spaß miteinander, aber...« Man sah seinem Gesicht an, wie peinlich ihm dieses Geständnis war; er zwang sich zu einem Lachen. »Ich sollte es wohl lieber frei von der Leber weg sagen. Barbara hat nicht viel Interesse an der körperlichen Seite einer Ehe.«

Soviel zu der tollen Verpackung - Barnaby dachte an die bemalten Augen, den schweren, schwülen Duft und an den prallen, atemberaubenden Busen.

»Es liegt nahe«, fuhr der Doktor fort, »daß ich nur ihr Glück im Sinn habe, deshalb dränge ich mich ihr nicht auf.« Er senkte den Blick einen Moment zu spät - Barnaby war die Bitterkeit und der Groll in seinen Augen bereits aufgefallen. Er sah aus wie ein Mann, der seinen Teil der Abmachung eingehalten hatte und übers Ohr gehauen worden war. »Trotzdem«, ein gleichgültiges Achselzucken, »habe ich Bedürfnisse.« Er versuchte ein verschwörerisches Augenzwinkern. »Wir alle haben diese Bedürfnisse, und ich besuche gelegentlich, wirklich nur gelegentlich, ein Etablissement, in dem man ... äh, diese Bedürfnisse stillen kann.«

»Sie meinen ein Bordell?«

»Ohhh!« Das war ihm offenbar zu frei von der Leber weg; Barnabys mangelnde Feinfühligkeit schien ihn anzuwidern. »So würde ich es nicht nennen. Ganz und gar nicht. Es ist sehr kultiviert, wirklich. Es gibt einen kleinen Laden, in dem man alle möglichen raffinierten Dinge kaufen kann. Sie veranstalten eine kleine Show, und danach kann man sich mit einer der jungen Ladies zurückziehen, wenn einem danach zumute ist. Und gewöhnlich ist einem danach zumute. Die Vorstellung ist ziemlich stimulierend. Geschmackvoll, aber stimulierend.«

»Und Sie waren am Nachmittag des Siebzehnten in diesem Etablissement?« Der Doktor nickte. »Können Sie uns Name und Adresse nennen?«

Lessiter kramte seine Brieftasche heraus und reichte ihm eine Visitenkarte. »Vielleicht kennen Sie diesen... äh, Club.«

Barnaby betrachtete die Karte. »Ich glaube ja.« Dann bat er um ein Foto.

»Ein Foto?« kreischte der Arzt entsetzt.

»Nur zum Zweck der Identifizierung. Sie werden es zurückbekommen, das kann ich Ihnen versichern. Oder möchten Sie mich vielleicht persönlich dorthin begleiten?«

»Guter Gott, nein!« Er überlegte einen Moment. »Ich habe gerade Paßfotos machen lassen. Sie sind im Arbeitszimmer.« Er verließ den Raum und kam nach ein paar Minuten mit vier kleinen Schwarzweißfotos zurück. »Ich denke, das hier... da lächle ich am meisten.«

»Ich brauche nur dieses eine, danke.« Als sich Barnaby zum Gehen umdrehte, sagte der Doktor noch: »Fragen Sie nach Krystal. Sie ist meine spezielle Freundin.«

9

Die Casa Nova war auf den ersten Blick nicht als Bordell erkennbar. Das unauffällige Haus stand in einer schmuddeligen, wenig ansprechenden Seitenstraße - zwischen einem Lagerhaus und einer Handtaschenfabrik. Die Fenster der Fabrik waren weit geöffnet, um die warme Julisonne in die ohnehin schon stickigen Arbeitsräume scheinen zu lassen. Der Geruch von gegerbtem Leder drang zusammen mit dem Hämmern etlicher Maschinen auf die Straße. Troy parkte in der Nähe einer Tür mit abblätterndem rotem Lack und einer teilweise kaputten Leuchtreklame: »10 schöne Mädchen 10«. Seine Augen glänzten in freudiger Erwartung, als er den Sicherheitsgurt löste.

»Casanova, wie?« kicherte er. »Ganz schön frech.«

»Casa Nova heißt >Neues Haus<, verstanden?« erwiderte Barnaby. »Obwohl ich nicht bezweifle, daß dieses Wortspiel uralt ist.«

»Sieht aber vielversprechend aus. Zehn schöne Mädchen.«

»Auch das Ei eines Geiers scheint vielversprechend, mein Junge«, versetzte Barnaby und stieg aus. »Sie warten hier.« Er grinste, als er auf den Klingelknopf drückte und spürte, daß Troy seinen Rücken mit Blicken durchbohrte. Barnaby sagte in die quietschende Sprechanlage: »Krystal, bitte.«

»Paß auf die Stufen auf, Süßer.«

Die Treppe war nur schwach beleuchtet. Am Fuß der Treppe trat eins der zehn schönen Mädchen vor. Sie könnte jedes Alter zwischen dreißig und sechzig haben. Sicher war nur, daß sie zu der Zeit ein Mädchen gewesen war, als Barnaby noch mit der Pfadfindergruppe durch die Gegend gewandert war. Ihr Haar hatte die Farbe von blauen, angelaufenen Trauben. Ihr Lippenstift sah aus wie zinnoberrote Vaseline, und eine dicke Make-up-Schicht lag auf den Kratern und Erhebungen ihres Gesichts. Trotzdem sah Barnaby deutlich die vielen Flecken und Sommersprossen. Sie trug Shorts im Leopardenmuster, einen passenden BH ohne Träger und so hochhackige Schuhe, daß es aussah, als würde sie auf Lederstelzen balancieren. Sie kam mit wiegenden Hüften auf Barnaby zu, nahm mit einer erfahrenen Geste seinen Arm und zeigte bei einem Lächeln Zähne, die Perlen von unter Umweltverschmutzung leidenden Austern hätten sein können. »Ich kann mir denken, daß du ein unartiger Junge sein willst, stimmt’s, Süßer ?«

»Eigentlich nicht«, sagte Barnaby, löste sich aus ihrem Griff und zog seine Dienstmarke aus der Tasche.

»Menschenskind! Was, zum Teufel, wollen Sie? Wir sind alle legal hier.«

»Da bin ich sicher.« Er zeigte ihr Lessiters Paßfoto. »Kennen Sie diesen Mann?«

Ein flüchtiger Blick. »Klar, das ist Mr. Lovejoy.«

»War er am letzten Freitag nachmittag hier? Am Siebzehnten?«

»Verdammt, er wohnt praktisch hier, Mann.«

»Ich muß es genau wissen.«

»Dann sollten Sie lieber mit Krystal sprechen.«

»Würden Sie sie bitten herzukommen?«

»Sie kommt überall hin, wenn der Preis stimmt - so eine ist das.« Sie versetzte ihm einen leichten Stoß in die Seite. »Sie sehen aus wie ein Kerl, der was in der Brieftasche hat. Warum kommen Sie nicht zurück, wenn Sie Dienstschluß haben? Ein Weilchen richtig entspannen. Sich selbst verwöhnen lassen.« Sie starrte ihn an und wartete auf eine Zusage, dann meinte sie: »Na gut - dann geht’s Ihnen eben weiter schlecht. Krystal ist bei der Vorführung. Es dauert noch zehn Minuten. Zweite Tür rechts.«

Barnaby hob den Samtvorhang und fand sich in einem kalten, gefliesten Korridor wieder. Auf beiden Seiten befanden sich Türen. Er öffnete die zweite rechts und stand wieder vor einem verstaubten Vorhang. Er schob ihn zur Seite und tastete sich unnötig vorsichtig weiter. Nicht ein Mensch drehte sich nach ihm um. Sie verfolgten alle die Vorgänge auf der Bühne.

Auf einem ausgeleuchteten Podest stand ein gutausgestattetes Mädchen und stellte nach Manier der Commedia dell’arte Entsetzen zur Schau: weitaufgerissene Augen, die gespreizten Hände ausgestreckt, um die Gefahr abzuwenden, und halb abgewandt, als wollte sie die Flucht ergreifen. Sie trug eine Schuluniform: Faltenrock, weiße Bluse und Blazer. Ein Hut mit gestreiftem Band saß waghalsig auf ihrem Kopf. Sie hatte taillenlanges, blondes Haar. Ein junger Mann in hautenger Hose, einer Samtjacke und passender Baskenmütze stand vor einer Staffelei und tat so, als würde er malen. Eine schroffe männliche Stimme, untermalt von militärischen Trommelwirbeln und Marschmusik, plärrte aus zwei Lautsprechern.