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»Er ist der Hausarzt von allen, Inspector. Zumindest von allen älteren Leuten im Dorf, denen keine Transportmittel zur Verfügung stehen. Es sind vier Meilen bis Causton. Also - ich lief los und holte den Schlüssel für Miss Simpsons Haus, aber das wäre überhaupt nicht nötig gewesen, denn ...« Miss Bellringer hob anklagend einen Finger, »und das ist die erste eigenartige Sache, die Hintertür war nicht abgeschlossen.«

»War das ungewöhnlich?«

»Es ist noch nie vorgekommen. In der letzten Zeit ist in unserem Dorf einige Male eingebrochen worden. Emily war in diesen Dingen sehr gewissenhaft.«

»Jeder vergißt manchmal etwas«, murmelte Barnaby.

»Sie nicht. Sie erledigte ihre allabendlichen Verrichtungen nach einem festgelegten Schema. Um neun Uhr abends überprüfte sie regelmäßig die Uhren nach der Radiozeit und stellte den Wecker auf sieben Uhr, dann mußte Benjy in sein Körbchen, und sie schloß die Hintertür ab.«

»Wissen Sie, ob der Wecker an diesem Abend schon gestellt war?«

»Ich habe extra nachgesehen - er war nicht gestellt.«

»Das deutet lediglich darauf hin, daß sie vor neun Uhr gestorben ist.«

»Nein, das ist sie nicht. Sie starb in der Nacht, sagt der Doktor.«

»Möglicherweise hat sie in der Nacht ihren letzten Atemzug getan«, warf der Inspector in mildem Ton ein, »aber sie war vielleicht schon stundenlang bewußtlos.«

»Da ist ein ganz entscheidender Punkt«, fuhr Miss Bellringer lebhaft fort, als hätte er kein Wort gesagt. »Was ist mit der Orchidee?«

»Mit der Orchidee?« wiederholte Barnaby ausdruckslos. Dreißig Jahre Erfahrung mit der ländlichen Bevölkerung hatten ihn Geduld gelehrt.

Miss Bellringer klärte den Zusammenhang umgehend auf und erzählte von ihrem Wettstreit mit Miss Simpson. »Am Nachmittag nach dem Tod meiner Freundin ging ich im Wald spazieren. Eine törichte Unternehmung, aber ich war natürlich noch vollkommen durcheinander und sehr aufgeregt. Ich suchte halbherzig nach der Orchidee, bis mir klarwurde, daß es gar keine Rolle mehr spielt, ob ich sie finde oder nicht. Bei diesem Gedanken begriff ich erst richtig, daß Emily tot ist... ich sah sie wieder vor mir, wie sie dalag ...« Sie richtete den Blick auf Barnaby, zwinkerte einige Male und schniefte. »Das muß Ihnen seltsam Vorkommen.«

»Ganz und gar nicht.«

»Und dann habe ich sie entdeckt. Aber, verstehen Sie - Emily hat die Orchidee vor mir gefunden.« Sie sah, daß Barnaby fragend die Augenbrauen hochzog, und erklärte: »Jede von uns hatte einen Stock, um die Fundstelle zu markieren. Ihr Stock war mit einem roten Band gekennzeichnet, meiner mit einem gelben.« Miss Bellringer beugte sich vor und sah Barnaby so eindringlich an, daß er sich nur mit Mühe zurückhalten konnte, dasselbe zu tun. »Warum ist sie nicht zu mir gekommen, um mir von ihrer Entdeckung zu erzählen?«

»Vielleicht wollte sie sich das noch aufheben - als eine Art Überraschung.«

»Nein, nein«, wehrte sie ab, ärgerlich über seine Unfähigkeit, die Situation zu erfassen. »Sie verstehen nicht. Ich kenne Emily seit fast achtzig Jahren. Sie muß außer sich vor Freude gewesen sein. Sie wäre schnurstracks zu mir gekommen.«

»Möglich, daß sie sich schon am Nachmittag nicht gut fühlte und schnell heim wollte?«

»Sie mußte an meinem Haus Vorbeigehen. Wenn sie sich krank gefühlt hätte, wäre sie auch zu mir gekommen. Ich hätte mich um sie gekümmert.«

»Haben Sie sie an dem bewußten Tag gar nicht gesehen?«

»Ich beobachtete sie, als sie Benjy um zwei Uhr Gassi führte und ihn zurückbrachte. Und bevor Sie fragen - die beiden sahen putzmunter aus.« Sie schaute sich traurig, aber zugleich voller Hoffnung in Barnabys Büro um. Wie alle Hinterbliebenen konnte sie den Verlust nicht akzeptieren und wirkte erwartungsvoll, als müßte die Verstorbene jeden Moment zur Tür hereinkommen. »Nein...«, sie richtete den Blick erneut auf den Inspector, »irgend etwas muß vorgefallen sein, nachdem sie die Orchidee gefunden hat und bevor sie ins Dorf zurückkam. Etwas, was die Entdeckung plötzlich unwichtig machte. Und Sie können mir glauben, es muß etwas äußerst Schwerwiegendes gewesen sein.«

»Vorausgesetzt, das trifft zu, könnten Sie sich dann vorstellen, daß der Schock sie umgebracht hat?«

»So weit würde ich wirklich nicht gehen.« Miss Bellringer runzelte die Stirn. »Aber da ist noch etwas ...« Sie kramte in ihrer Tasche, rief: »Was halten Sie davon?« und reichte ihm einen Papierfetzen, auf dem stand: Causton, 1234 Terry.

»Die Samariter.«

»Ach ja? Sie mögen armen Seelen Beistand leisten, aber sie geben keinerlei Informationen weiter. Ich konnte kein Wort aus ihnen herausbekommen. Sie sagten, ihre Arbeit sei streng vertraulich.«

»Wo haben Sie den Zettel gefunden?«

»Auf Emilys kleinem Tisch, er steckte unter dem Telefon. Ich kann mir nicht vorstellen, wieso sie dort angerufen haben sollte.«

»Vermutlich, weil sie beunruhigt oder deprimiert war und jemanden brauchte, mit dem sie reden konnte.«

»Mit vollkommen Fremden? Unsinn!« Ihr ungehaltenes Schnauben verriet, daß sie dieser Gedanke kränkte. »Außerdem sind Menschen unserer Generation nicht deprimiert. Wir machen unermüdlich weiter. Nicht wie die jungen Leute heutzutage. Die schlucken Tranquilizer, auch wenn ein Glas Milch reichen würde.«

Barnaby spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte, und rutschte auf dem Stuhl hin und her. Das vage Interesse, das an Miss Simpsons Tod aufgeflackert war, erlosch mit einemmal. Er wurde ärgerlich und ungeduldig. »Wann genau ist Ihre Freundin gestorben?«

»Am Freitag, dem siebzehnten - vor zwei Tagen. Ich grüble seither ständig über alles nach. Ich weiß, daß es nicht viele Anhaltspunkte gibt und daß man mir wahrscheinlich sagen wird, ich würde einen Haufen Blödsinn von mir geben. Und das hat man ja auch in gewisser Weise getan.«

»Wie bitte?«

»Ich meine den jungen Mann draußen. Er sagte, es sei in ihrem Alter ein zu erwartendes Ereignis gewesen, und deutete an, daß ich seine wertvolle Zeit verschwende. Obwohl«, setzte sie bissig hinzu, »es nicht den Anschein hatte, daß er besonders emsig seine Pflichten erfüllt.«

»Ich verstehe. Aber wir gehen hier allen Beschwerden und Anfragen nach. Wie wir sie beurteilen, ist dabei ganz unerheblich. Wer ist der nächste Angehörige der Verstorbenen?«

»Na ja ... das bin vermutlich ich. Wir haben beide keine unmittelbaren Verwandten. Entfernte Cousins und Tanten haben längst das Zeitliche gesegnet. Emily hatte nur noch einen Neffen, der auf der anderen Seite des Erdballs lebt. Und ich bin ihre Nachlaßverwalterin. Wir haben uns gegenseitig als Erben eingesetzt.«

Barnaby notierte sich Miss Bellringers Namen und Adresse und erkundigte sich dann: »Arrangieren Sie die Beisetzung?«

»Ja. Sie wird am Mittwoch beerdigt. Das läßt mir nicht mehr viel Zeit.« Plötzlich rutschte sie ins Melodramatische ab. »Ich kann mir nicht helfen, aber das Ganze erinnert mich an dieses Buch, das mit dem verschwundenen Orchester. Die Umstände sind wirklich ziemlich ...«

»Sie lesen Kriminalromane, Miss Bellringer?«

»Leidenschaftlich gern. Sie sind natürlich nicht alle gleich gut. Mein liebster Krimi ist...« Sie brach ab und musterte ihn scharf. »Ah, jetzt weiß ich, was Sie denken. Aber Sie befinden sich auf dem Holzweg. Es ist keine Einbildung oder eine Ausgeburt meiner Phantasie.«

Detective Chief Inspector Barnaby stand auf, und seine Gesprächspartnerin mit den flatternden Gewändern tat es ihm gleich.

»Ich würde mir an Ihrer Stelle keine Gedanken wegen der Beisetzung machen, Miss Bellringer. Diese Angelegenheit kann leicht verschoben werden, falls es sich als nötig erweisen sollte.« Sie drehte sich auf der Türschwelle noch einmal zu ihm um. »Ich kannte Emily, müssen Sie wissen.« Ihre Finger krampften sich um den Griff ihrer Handtasche. »Das Ganze widerspricht ihrem Charakter. Glauben Sie mir, Chief Inspector, da stimmt etwas nicht.«