»... und wir machen uns beide große Sorgen.«
»Um wen, Henry?«
»Hast du mir nicht zugehört?« Sie starrte ihn an - es war mühsam, sich in ihrem alkoholisierten Zustand zu konzentrieren. »Um dich natürlich.«
»Mit mir ist alles in Ordnung.«
Er stellte sein Glas ab und rollte zu ihr. »Sieh mal - du mußt nicht ins Cottage ziehen, Phyllis. Du selbst hast es vorgeschlagen. Kate und ich wären froh, wenn du hierbleiben würdest.« Sie gab einen Ton von sich, den man als Schluchzen oder Lachen deuten konnte. »Jedenfalls hoffen wir beide, daß du weiterhin viel Zeit mit uns verbringst. Katherine ist es nicht gewöhnt, einen so großen Haushalt zu führen. Sie wäre bestimmt dankbar für deine Hilfe - genauso dankbar, wie ich dir immer war.«
»Das bin ich jetzt also für euch? Ein unbezahltes Dienstmädchen?«
»Selbstverständlich nicht. Ich meine nur...«
»Ist das der Preis, den ich für das Cottage zahlen muß? Böden schrubben?«
»Sei nicht albern.«
Sie sah, daß sich sein Gesicht ärgerlich verzog. Henry haßte Streit. Bella hatte Auseinandersetzungen immer umgebogen, bevor sie eskalieren konnten - darin war sie großartig gewesen. Phyllis hätte auch aufhören und lieber den Mund halten sollen, und zwar sofort, aber sie redete einfach drauf los. »Du weiß nicht, wie das ist, was ich mir bieten lassen muß, seit sie ins Haus gekommen ist. All die spitzen Bemerkungen, die kleinen Beleidigungen. Sie macht das nie, wenn du in der Nähe bist.«
»Das bildest du dir nur ein...«
»Ach, ja? Oh, sie ist raffiniert. Du warst blind, aber ich habe gleich gemerkt, was sie im Schilde führt. Bella war noch nicht richtig unter der Erde, und schon scharwenzelte sie hier herum... erledigte dies und das für dich... kicherte schüchtern ... und mischte sich in alles ein, was sie nichts anging.« Oh, hör auf, Phyllis, halt den Mund! Du bringst ihn nur dazu, dich zu hassen. »Ich wäre nicht überrascht, wenn das schon so war, als Bella noch lebte.«
»Jetzt ist es aber genug! Du weißt genau, daß das nicht stimmt. Ich dulde nicht, daß du so über Katherine sprichst.«
»Sie heiratet dich nur wegen des Geldes. Glaubst du, sie würde dir auch nur einen Blick gönnen, wenn du gelähmt und arm wärst?«
Phyllis plapperte weiter und weiter. Henry Trace sah sie eher erstaunt und verstört als verärgert an. So viel Gehässigkeit. Er erwartete beinahe, Gift und Galle zwischen ihren Lippen hervorquellen zu sehen. Als sie endete, sagte er ruhig: »Ich hatte ja keine Ahnung, daß du solche Gefühle hegst. Ich dachte, du würdest dich über mein Glück freuen. Ich dachte, du magst mich.«
»Mögen ?« kreischte sie schrill. Ihre Wangen waren trocken und knallrot vor Wut. Als Katherine auf der Türschwelle erschien, stürmte Phyllis aus dem Zimmer und schubste das zarte Mädchen beiseite. Sie konnte ihrer Rivalin einfach nicht ins Gesicht sehen - sie war sicher, daß sie ein verschlagenes Grinsen sehen würde oder, noch schlimmer, Mitleid.
»O Pookie.« Barbara Lessiters Zunge glitt wie eine geschmeidige kleine Schlange in das Ohr ihres Mannes. »Tut mir leid, daß ich so war.« Sie holte tief Luft, und die zarte Spitze ihres Crepe-de-Chine-Nachthemds spannte sich gefährlich über ihrem Busen. Ihr Kopfweh hatte sich gebessert.
»Aber, aber. Du brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen«, erwiderte Pookie und tollte glücklich zwischen den Satinlaken herum. Wie ein Halbverhungerter nach einem großen Bankett, glaubte er, daß das, was er bekommen hatte (zweimal), bis in alle Ewigkeit Vorhalten würde. Nach Lage der Dinge war das ein Glück, denn diese spezielle Quelle war nicht oft zugänglich. »Das liegt vermutlich an den Wechseljahren.«
Er spürte, wie sich Barbara bei der Anspielung auf ihr Alter ein wenig zurückzog. Na ja, ein kleiner Seitenhieb von Zeit zu Zeit konnte nicht Schaden. Dann blieb sie auf dem Teppich. Es zeigte ihr, daß sie vor fünf Jahren nicht einen liebeskranken Trottel aufs Kreuz gelegt hatte. Er wollte verdammt sein, wenn er dankbar für etwas war, was ihm rechtmäßig zustand. Wenn sie noch länger Kopfschmerzen gehabt hätte, wäre sie ins Guiness Buch der Rekorde gekommen. Seine Hand bewegte sich von neuem.
»Liebling ... Pooks?«
»Mmm?« Ah, es gab nichts schöneres als Seide und Spitze, abgesehen von warmer, nackter Haut.
»Nicht, Schätzchen ... hör Barbie zu...«
Ein Knurren und ein gespieltes Hecheln wie ein Hund.
»Es ist nur... ich habe mir so schreckliche Sorgen gemacht. Ich muß dir etwas beichten, aber ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll...«
Eine böse Vorahnung erstickte die Leidenschaft, und plötzlich wurde er kalt wie Eis. Er ergriff ihre Arme und starrte sie in dem gedämpften Licht der Elfenbeinlampe an. Wie konnte er nur so dumm gewesen sein? Er hätte wissen müssen, warum sie sich ihm ständig entzog und sich so abweisend verhielt. »Du hattest einen anderen!«
»O Pookums!« rief sie und schlug die Hände vors Gesicht. »Wie kannst du so etwas auch nur von deiner kleinen Barbie denken?«
Die Erleichterung machte einen Teil des Schadens, den seine Männlichkeit erlitten hatte, wieder gut. Es regte sich wieder etwas. »Was ist dann so schlimm? Sag’s Pookie ins Ohr.«
Die Spitze spannte sich wieder, als sie all ihren Mut zusammennahm. »Also ... gestern holte ich den Nerzmantel aus dem Schrank für die Trace-Hochzeit und nahm ihn mit, aber dann habe ich ihn auf dem Rücksitz des Wagens liegen gelassen. Als ich vom Einkaufen zurückkam - o Liebling! -, jemand muß ihn gestohlen haben!« Sie brach in Tränen aus, und als er nichts sagte, spähte sie schüchtern durch die Finger. Früher hätte ihn diese Geste bezaubert, jetzt fand er, daß sich nur ein dreijähriges Kind so albern benahm.
»Wieso, zur Hölle, willst du einen Nerzmantel mitten im Juli anziehen?«
»Ich wollte, daß du stolz auf mich bist.«
»Warst du bei der Polizei?«
»Nein ... ich war so durcheinander... ich bin nur herumgefahren und hatte schreckliche Angst.«
»Du mußt den Diebstahl gleich morgen anzeigen. Beschreib den Mantel ganz genau. Zum Glück ist er versichert.«
»Ja, Liebling. Wahrscheinlich«, ein Arm schlang sich um seinen Hals, »kauft Pookie seiner unartigen Barbie wieder einen so schönen Mantel?«
Pookies Miene verriet nichts. Er versuchte sich an Krystals Bemerkung zu erinnern - die gute Krystal freute sich immer so, wenn sie ihn sah, und hieß ihn jedesmal herzlich und' liebevoll willkommen. Was hatte sie gesagt? »Ich muß es fünfhundertmal tun, um mir so einen Mantel leisten zu können.« Er lächelte gelassen, beinahe nachsichtig und tätschelte die glatten, gebräunten Schultern seiner Frau.
»Wir werden sehen.«
3
Barnaby saß in Hemdsärmeln und bei offenem Fenster im Büro. Das leise Aufschlagen der Tennisbälle und ein gelegentlicher vorwurfsvoller Schrei drangen vom Sportplatz zu ihm herüber. Er sah zum hundertstenmal die Karteikarten in der sich drehenden Hängeregistratur durch und verlangte lautstark nach einem Kaffee.
»Aber nicht in diesem Becher mit dem aufgeblasenen Frosch!«
»Und gerade den finde ich so süß«, sagte die Polizistin Brierley, ihre Lippen zuckten, als sie sich ein Lachen verbiß.
»Ich nicht.«
Barnaby widmete sich wieder den Karteikarten. Er kannte alle Informationen, die sie enthielten, in-und auswendig, hoffte aber, daß ihm wenigstens ein Teil des Rätsels in einem anderen Licht erscheinen würde, wenn er alles noch einmal las, daß sich ihm die Tatsachen in der richtigen Reihenfolge präsentierten und etwas offenbarten, was bisher im dunkeln geblieben war. Zumindest gab es einen Verdächtigen weniger, nachdem geklärt werden konnte, wo sich der arme Teufel Loveless/Lovejoy/Lessiter am Freitag nachmittag herumgetrieben hatte.