»Ja?« Barnaby war ganz ruhig, das Zimmer so still. Troy schrieb mit wie ein Besessener und hatte das Gefühl, daß sie seine Anwesenheit ganz vergessen hatten.
»... Mir wurde klar, daß alle erkennen mußten, daß es kein Unfall war. All die anderen befanden sich hinter ihr -, alle, außer dem Farmersjungen, und der war zu weit weg. Ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Ich saß im Wald und überlegte. Ich dachte daran, einfach wegzulaufen, aber dann hätte jeder gewußt, daß ich es war ... schließlich zwang ich mich, zum Haus zu gehen. Als ich ankam, war alles schon vorbei. Der Krankenwagen war gekommen und wieder abgefahren, und Trevor Lessiter erzählte mir, daß Bella einen Unfall hatte. Sie war gestolpert und auf ihr Gewehr gefallen. Ich konnte es nicht fassen, daß jemand so viel Glück haben konnte. Ich weinte und weinte vor Erleichterung. Ich konnte einfach nicht aufhören. Alle waren gerührt über so viel Geschwisterliebe. Als sie alle weg waren, bereitete ich für mich und Henry ein Abendessen zu. Ich deckte nicht den Tisch, wir setzten uns an den Kamin. Ich mußte ihn überreden, ein paar Bissen zu essen. Ich hatte nie zuvor ein solches Glücksgefühl empfunden. Ich nehme an, Sie halten das für niederträchtig, aber es ist die Wahrheit. Ich konnte an nichts anderes denken als daran, daß ich ungeschoren davongekommen war und daß ich Henry endlich für mich allein hatte. Ungefähr um halb acht klingelte das Telefon.« Ihre Stimme wurde brüchig und war kaum mehr als ein Krächzen. »Entschuldigen Sie ... ich brauche etwas zu trinken.«
»Sergeant.« Barnaby gab Troy ein Zeichen.
»Ist schon gut.« Sie bediente sich selbst aus der Karaffe und gab einen Schuß Soda dazu. »Iris Rainbird rief an. Sie sagte, daß ich bei ihr vorbeikommen solle. Ich erzählte ihr, was mit Bella passiert war, und sagte, ich könne Henry nicht allein lassen. Sie meinte nur: >Sie kommen sofort hierher. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich Ihnen einen Besuch abstatte?< Sie klang eigenartig, aber ich war nicht besonders beunruhigt. Ich brachte Henry seinen Nachtisch und machte mich auf den Weg zum Bungalow.
Sie bot mir einen Kaffee an und duldete keine abschlägige Antwort, Dennis ging in die Küche. Wir saßen uns in dem abscheulichen Wohnzimmer gegenüber, und sie rückte nicht mit der Sprache heraus. Sie sagte einfach nicht, was sie von mir wollte, statt dessen zwinkerte sie mir unaufhörlich zu und meinte, daß ich jetzt in Tye House mehr denn je gebraucht würde. >Sie werden die Kastellanin sein, meine Liebe.< Dann schob Dennis den Teewagen herein. Unten stand der Kaffee und eine Schale mit Keksen, und oben lag ... das Gewehr. Niemand sagte ein Wort. Es war schrecklich. Sie wechselten einen Blick, ehe sie mich freudestrahlend ansahen, als hätte ich etwas Außergewöhnliches vollbracht. Ich vermute, das hatte ich auch.
Dennis behauptete, er hätte gesehen, wie ich auf Bella geschossen und das Gewehr versteckt habe, bevor ich weggerannt bin. Und er sagte, er und seine Mutter würden sich nichts mehr wünschen, als daß ich weiterhin ein glückliches Leben in Tye House führe, und ich könne sicherlich verstehen, daß auch arme Leute irgendwie durchkommen müßten. Sie beide hätten immer gewußt, daß ich zu den Leuten gehöre, die ihre Freunde nicht vergessen und sich ihnen gegenüber großzügig erweisen. Ich war so besessen von meinem Plan gewesen, daß ich keinen Gedanken an irgend jemanden sonst verschwendet hatte, am wenigsten an Dennis Rainbird. Aber zu der Zeit war er verrückt nach Michael Lacey gewesen. Er folgte ihm auf Schritt und Tritt. Daran hätte ich denken müssen. Jedenfalls«, ihre Schultern sackten nach unten, »gibt es nicht mehr viel zu erzählen, ehrlich. Seitdem haben sie mich ausgenommen. Henry überließ mir Bellas Schmuck, ich verkaufte ihn und gab den Rainbirds das Geld. Ich selbst hatte auch noch ein bißchen Schmuck und die fünfzigtausend Pfund, die mir meine Mutter hinterlassen hatte.« Ihr Gesicht verzog sich kummervoll. »Und das alles war umsonst. Henry hat mich nie geliebt. Er war nur nett und freundlich zu mir. Und dann tauchte Katherine auf.«
Als sich das Schweigen in die Länge dehnte, erkundigte sich Barnaby: »Ist Ihre Aussage damit beendet, Miss Cadell?«
»Ja.«
»Und der Mord an Mrs. Rainbird?« Noch bevor der Chief Inspector die Frage ganz ausgesprochen hatte, wußte er, wie ihre Antwort lauten würde. Er konnte sich vorstellen, wie sie sich an dem Gedanken festhielt, daß Henry sie gern hatte, und wie sie sich mit einer Flasche Wodka Mut machte, auf Bella schoß und sofort, von Entsetzen und Angst gepackt, die Flucht ergriff und das Gewehr wegwarf. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß diese stämmige Frau ein Messer schwang, immer und immer wieder zustach und in Blut watete, eiskalt die Kleider wechselte und all ihre Spuren sorgfältig beseitigte. Deshalb war er keineswegs überrascht, als er sie sagen hörte: »Damit habe ich nichts zu tun.«
Trotzdem hatte er das Gefühl, weitere Fragen stellen zu müssen. Immerhin hatte sie kein Alibi für den Nachmittag, und Mrs. Rainbirds Tod kam ihr sicherlich sehr gelegen.
»Ich weiß nicht, welche Vorteile ich jetzt noch aus ihrem Tod ziehen könnte. Ich hätte sie vor achtzehn Monaten umbringen müssen. Sie wußten beide seit Wochen, daß ich kein Geld mehr habe. Und ich machte ihnen klar, daß ich sie ins Gefängnis bringen würde, wenn sie mich hinhängen. Sie wußten genau, daß ich es ernst meinte.«
Nachdem Troy ihr die Aussage noch einmal vorgelesen hatte, setzte sie ihre Unterschrift darunter, und Troy postierte sich vor der Schlafzimmertür, während sie ein paar Sachen zusammenpackte. Sie erschien mit einem kleinen Koffer, ihrer Handtasche und einem unförmigen Regenmantel. Sie war nie eine attraktive Frau gewesen, aber zumindest hatte sie bis heute über ein gewisses Maß an Vitalität verfügt. Jetzt jedoch wirkte sie vollkommen erschöpft und alt, selbst ihr Haar schien grauer geworden zu sein. Als sie die Treppe herunterkamen, ging eine Tür auf, und Barnaby spürte, daß sie sich an ihn drängte.