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Barnaby drehte sich um, um ins Atelier zurückzugehen, und Lacey stürmte davon. Er schubste den Chief Inspector brutal beiseite, boxte Troy gegen die Brust, so daß er das Gleichgewicht verlor, und flüchtete durch den Flur in Richtung Haustür. Troy rappelte sich auf, setzte ihm nach und erwischte ihn neben dem Polizeiauto. Als Barnaby sie erreichte, war Lacey mit Handschellen gefesselt. Troys Gesicht war vor Anstrengung und Stolz gerötet.

»Steigen Sie ein, Lacey.«

Der Festgenommene richtete einen starren Blick auf den Chief Inspector. Neben der Angst und der Hoffnungslosigkeit entdeckte Barnaby noch etwas anderes in seinem Gesicht, etwas Beunruhigendes, was er jedoch nicht genau benennen konnte. Troy verfrachtete Lacey auf den Rücksitz, und Barnaby legte das Messer in den Kofferraum.

»Haben Sie einen Schlüssel, mit dem wir das Haus absperren können?«

»Es ist nie verschlossen.«

Sie fuhren los. Als Troy vor der Kreuzung Church Lane und Street die Geschwindigkeit drosselte, kam Katherine mit zwei Hunden um die Ecke. In dem spärlichen Abendlicht konnte sie Barnaby gerade noch erkennen. Sie lächelte. Dann entdeckte sie ihren Bruder auf dem Rücksitz und rief entsetzt: »Michael!« Sie lief über die Straße auf den Wagen zu. Er hob die gefesselten Handgelenke und beschrieb mit den Händen ein Viereck vor seinem Gesicht. »Sieht aus, als wär’ ich ziemlich abgemalt!« rief er. Troy trat aufs Gaspedal.

8

Es war dunkel, als sie im Revier ankamen. Michael Lacey wurde über seine Rechte belehrt und gefragt, ob er irgend jemanden anrufen wolle. Er lehnte ab und sah sich interessiert um. Er schien sich ziemlich schnell von dem Schrecken erholt zu haben. Als Barnaby ihn dem Verantwortlichen des Zellentraktes übergab, trat er sogar mit einem gewissen Übermut auf. Barnaby hörte, wie er Witze machte und Toast, Tee, einen Grillspieß, Apfelkuchen und Eiscreme bestellte. Der Chief Inspector erkundigte sich, wie es der anderen Inhaftierten ging‘

»Gut. Sie schläft wie ein Baby und schnarcht, daß die Wände wackeln.«

Barnaby ging in sein Büro, wo Troy den Bericht über die Hausdurchsuchung fertigstellte. Es war zu dunkel, um die Suche nach den Kleidern des Mörders einzuleiten, aber gleich bei Tagesanbruch würden sie damit anfangen. Noch mehr Papiere hatten sich auf Barnabys Schreibtisch neben dem kaltgewordenen chinesischen Menü angesammelt. Es bestand keine Notwendigkeit mehr, die Berichte der Kollegen sofort zu lesen. Der Mörder saß hinter Schloß und Riegel. Der Chief Inspector stellte sich ans Fenster, betrachtete den schwarzblauen Himmel mit den funkelnden Sternen und überlegte, woher dieses ungute Gefühl kam.

»Sir?« Troy hielt ihm den Telefonhörer hin. »Miss Lacey ist am Apparat.«

»Ja? Hier spricht Detective Chief Inspector Barnaby.«

»Was ist passiert? Was haben Sie mit Michael vor?«

Barnaby gab ihr Auskunft. Eine Weile herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann fing Katherine an zu schreien. Barnaby hörte sie stammeln: »Nein ... nein ... er konnte nicht... es ist nicht wahr.« Henry Trace nahm ihr den Hörer ab.

»Erklären Sie mir genau, was vorgefallen ist, Barnaby. Aus Katherine kann ich nichts Vernünftiges herauskriegen. Liebling, bitte ... es wird alles gut. Versuch dich zu beruhigen ... wir können nichts unternehmen, wenn wir nicht wissen, was los ist.«

Barnaby sagte sein Sprüchlein noch einmal auf. Er hörte Katherine kreischen: »Ich möchte ihn sehen... Henry, ich muß zu ihm.«

»Können wir ihn sehen, Chief Inspector?«

»Ich schlage vor, Sie rufen morgen noch einmal an, Mr. Trace. Wir haben ihn gerade für die Nacht in die Zelle gebracht.« Katherine schluchzte immer noch hysterisch, als Barnaby auflegte.

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schloß die Augen. Er war müde, aber nicht auf eine gesunde Art. Er war das, was seine Mutter »fix und fertig« nannte - erschöpft und ausgelaugt, ohne etwas vorweisen zu können. Aber was fiel ihm ein? Natürlich konnte er etwas vorweisen. Er hatte den Mörder von Iris Rainbird gefaßt. Und morgen würden sie die blutbesudelten Kleider finden. Lacey konnte nicht weit in diesem Aufzug gekommen sein. Wahrscheinlich hatte er sie in dem Weiher im Wald versenkt. Dieser Gedanke erinnerte ihn an die Wasserpfütze im Schuppen der Rainbirds. Er fühlte sich auch, als hätte er Wasser im Gehirn. Und seine Eingeweide rumorten. Sein Magen war nie zufrieden. Wenn er ihn fütterte, beschwerte er sich, und wenn er ihn nicht fütterte, beschwerte er sich auch. Aber alles war bestens. Abgedroschene Phrasen, die ihm sonst nie in den Sinn kamen, drängten sich ihm auf. Ein sonnenklarer Fall. Mörder auf frischer Tat ertappt. Kein Problem.

Er warf das chinesische Essen in den grauen Metallabfalleimer und hievte sich aus dem Schreibtischsessel. »Ich hab’ genug«, sagte er zu niemand speziellem. »Wir sehen uns morgen.«

Troy, der während der Zwölf-Stunden-Schicht regelrecht aufgeblüht zu sein schien, sprang auf, begleitete Barnaby zur Tür und hielt sie ihm auf.

»Ein ereignisreicher Tag, stimmt’s, Sir?« Er strahlte zufrieden.

»Das können Sie laut sagen.«

»Ich meine«, Troy hielt auf dem Weg über den Parkplatz mit Barnaby Schritt, »wie oft in Ihrem Berufsleben haben Sie schon zwei Mörder an ein und demselben Tag gefaßt? Das ist doch wirklich einmalig, finden Sie nicht, Chief?«

Barnaby schloß seinen Wagen auf.

»Guter Gott«, plapperte Troy weiter, »mir sind schon einige Lügner in meinem Leben untergekommen, aber dieser Lacey...«

»Gute Nacht, Sergeant.«

Troy warf ihm noch einen glänzenden Blick durchs Fenster zu. »Ein sonnenklarer, schnellstens gelöster Fall, nicht wahr?«

Er sah dem blauen Wagen nach. Komischer alter Kauz, dachte Troy. Gelänge ihm ein so sensationeller Doppelschlag, würde er Drinks für alle spendieren, und der Schlüpfer von Miss Brierley läge noch vor dem Morgengrauen in seinem Handschuhfach.

In der Nachbarschaft war alles ganz still, als Barnaby in seine Garage fuhr. Verträumte Vorstadt. Hinter ein paar Fenstern flimmerten Fernseher, aber die meisten unschuldigen Menschen schliefen bereits tief und fest und sammelten neue Energien für die tägliche Fahrt in die Stadt.

»Bist du das, Tom?« rief Joyce wie immer.

Er blieb einen Moment im Eingang stehen und sah den Garten und die Umrisse der Bäume an. Die Blätter raschelten im Nachtwind und glänzten silbern im Mondschein. Er war froh, daß die Blumenbeete im Dunkeln lagen. Er hatte seit vierzehn Tagen nicht mehr im Garten gearbeitet. Er würde Joyce bitten, am Wochenende Unkraut zu jäten. Das erinnerte ihn daran, daß er das Wochenende vermutlich im Büro verbringen mußte, und mit einem Mal bot ihm das leise Seufzen der Bäume keinen Trost mehr. Er ging ins Haus.

»Ich habe dir Suppe warmgehalten.« Joyce trug einen Morgenmantel und Hausschuhe, und ihr Gesicht war ungeschminkt und sauber.

»Oh ...« Barnaby schlang den Arm um ihre Taille. »Du hättest dir keine solche Mühe machen sollen.«

»Wie war dein Tag?«

»Es ging so.« Barnaby nahm die Suppentasse.

»Leider ist es keine selbstgemachte.«

Barnaby trank dankbar von der Suppe. Sie schmeckte wundervoll. Natriumglutamat. Erlaubte Konservierungsmittel. Farbstoffe und all die angsteinflößenden E-Zusätze mit verschiedenen Ziffern. Herrlich.

»Du hast doch nicht vergessen, daß Cully am Wochenende kommt?«

»Doch, das habe ich.« Barnaby leerte die Tasse.

»Möchtest du noch etwas davon?«

»Ich hätte nichts dagegen.«

Sie brachte ihm die gefüllte Tasse, aber bevor er trinken konnte, legte sie die Arme um ihn. »Tom?«

»Mmm.«

»Du siehst traurig aus.« Sie zog seinen angegrauten Kopf an ihren Busen. »Möchtest du ein bißchen kuscheln?«