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Barnaby holte ein paarmal tief Luft - er hatte Mühe, seine Wut im Zaum zu halten. »Arbeiten Sie nicht gewöhnlich zu Hause?«

»Skizzen kann man überall machen, und außerdem hat sie mich zum Mittagessen eingeladen. Eine anständige Mahlzeit schlage ich nie aus.«

»Wann kamen Sie bei ihr an?«

»Etwa um eins. Kurz nach zwei fingen wir mit der Arbeit an. Ich zeichnete bis vier, dann tranken wir Tee, aßen Kuchen und so, und anschließend arbeitete ich noch ein bißchen weiter. So um fünf bin ich gegangen.«

»Und warum«, erkundigte sich Barnaby gepreßt, »haben Sie mir das gestern nicht erzählt?«

»Na ja... ich weiß es ehrlich nicht.« Michael Lacey schluckte nervös. »Ich vermute, ich war wie vor den Kopf geschlagen, als Sie das Messer fanden ... ich geriet in Panik, und ehe ich begriff, wie mir geschah, verfrachteten Sie mich in Ihr Auto, und plötzlich saß ich hier in dieser kleinen grauen Zelle.« Er versuchte ein Grinsen. Der Chief Inspector sagte kein Wort. »Und je länger ich es aufschob, um so schwerer fiel es mir, mit der Sprache herauszurücken. Ich hielt es für besser, bis zum Morgen damit zu warten und erst einmal zu schlafen.« Ein langes Schweigen entstand. Schließlich erhob sich Lacey von der Pritsche und fragte unsicher: »Kann ich jetzt gehen?«

»Nein, Lacey, Sie können nicht >jetzt gehen<.« Barnaby trat ein paar Schritte zurück. »Eines will ich Ihnen noch sagen: Sie haben verdammtes Glück, ich hoffe, das ist Ihnen klar. Ich kenne Männer, die Ihren Kopf schon längst ein halbes dutzendmal an diese Gitterstäbe geschlagen hätten, wenn Sie sie so an der Nase herumgeführt hätten wie mich gerade.« Er knallte die Tür zu, verschloß sie von außen und warf den Schlüssel in das dafür vorgesehene Fach.

Als er die Treppe hinauf zu seinem Büro zurückging, wurde ihm bewußt, mit welcher Heftigkeit er immer wieder seine Hände zu Fäusten ballte. Er stellte sich ans Fenster und bemühte sich um Fassung. Sein Gehirn war in Aufruhr, seine Haut brannte, ein stählernes Band schien sich um seine Stirn zu schließen, und sein Magen bockte wie ein wild gewordener Mustang. Ihm war schlecht vor Wut und Frustration. Aber wirklich enttäuscht war er nicht. Ihm war schon von dem Moment an, in dem Lacey das blutverkrustete Messer fassungslos angestarrt hatte, bewußt gewesen, daß das alles zu einfach, zu simpel war. Auf frischer Tat ertappt. Kein Problem. Ein sonnenklarer Fall.

Er setzte sich auf seinen Schreibtischsessel und schloß die Augen. Allmählich beruhigten sich sein Herzschlag und sein Puls. Er atmete langsam und gleichmäßig. Fünf lange Minuten verstrichen, und er zwang sich, weitere fünf Minuten sitzen zu bleiben. Dann fühlte er sich wieder normal, und mit der Normalität kam überraschenderweise auch der Hunger. Er sah auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, konnte er seine Arterien mit einer Ladung Cholesterin und ein paar Spiegeleiern aus der Kantine traktieren und trotzdem Judy Lessiter erwischen, bevor sie zur Arbeit fuhr.

10

Die Lessiters saßen beim Frühstück. Trevor, der nicht nur schlecht gelaunt war, sondern auch von Schmerzen in der Leistengegend geplagt wurde, schlug grimmig auf sein weichgekochtes Ei ein. Es rächte sich, indem es das Dotter auf seine Krawatte spritzte. Judy lachte. Trevor rieb mit der Serviette über die Krawatte und funkelte seine Frau wütend an, die seelenruhig und mit träger Gleichgültigkeit eine Seite des Daily Telegraph umblätterte.

Sie machte wieder ihre Mätzchen. Letzte Nacht war ihre Tür verschlossen gewesen, und als er angeklopft hatte - ganz leise, damit Judy nichts hörte -, hatte Barbara durch die Tür gezischt: »Verschwinde, du geiler, alter Bock. Kannst du denn an gar nichts anderes mehr denken?« Er war zwei Stunden in seinem Zimmer umhergelaufen, hin-und hergerissen zwischen Lust und Wut, und hatte Judys Anwesenheit im Haus verflucht. Er hatte sogar daran gedacht, die Leiter aus der Garage zu holen, zum Fenster seiner Frau hinaufzuklettern und in ihr Zimmer einzubrechen. Guter Gott - Judy hätte es mitbekommen, wenn er sich dazu hätte hinreißen lassen. Tränen des Selbstmitleids sprangen ihm in die Augen. Er erinnerte sich daran, daß er erst vor achtundvierzig Stunden in ihren Armen gelegen hatte. Die Nacht war beinahe so aufregend gewesen wie die vor ihrer Hochzeit. Erst jetzt wurde er sich bewußt, was für ein Narr er gewesen war. Sie hatte den Sex immer nur benutzt, um ihn am Gängelband zu führen wie einen armseligen Ochsen, dem man einen Ring durch die Nase gezogen hatte. Aber es gehörten zwei zu diesem Spiel. Sie würde schon sehen, was passierte, wenn sie das nächste Mal Geld für Kleider verlangte. Oder für die Verlängerung des Abonnements im Fitneßclub. Da konnte sie zetern und jammern, soviel sie wollte.

Judy Lessiter rührte in ihrem Kaffee und sah verträumt aus dem Fenster. Sie trug das Kleid, das sie am Abend zuvor in High Wycombe gekauft hatte. Es hatte ein grauweißes Rautenmuster und einen weißen Rüschenkragen. »Die Rüschen umrahmen Ihr Gesicht wie ein Bild«, hatte die Verkäuferin gesagt. Judys unförmige Beine steckten in blaßgrauen Strumpfhosen. Sie hatte sich ein Fläschchen Rive Gauche und Lidschatten geleistet und heute beides großzügig, aber ziemlich ungeschickt aufgetragen. Die ganze Nacht hatte sie die Ereignisse des letzten Nachmittags wieder und wieder durchlebt, und auch jetzt ließ sie alles noch einmal Revue passieren.

Mittags hatte sie sich den Kopf zerbrochen, wie sie sich die endlos lange, einsame Zeit bis zum Abend vertreiben sollte, aber dann, so etwa um ein Uhr hatte sie, gestärkt durch einen kleinen Sherry, allen Mut zusammengenommen und Michael Lacey angerufen, um ihn daran zu erinnern, daß sie schon über eine Woche nichts voneinander gehört hatten und daß er doch ein Bild von ihr malen wollte. Was hatte sie schon zu verlieren? Zu ihrer Überraschung und Freude erklärte er sich auf Anhieb bereit, zu ihr zu kommen. Er sagte sogar: »Ich wollte mich gerade bei dir melden.«

Sie nahm eine Quiche aus dem Gefrierfach, steckte sie in die Mikrowelle, badete hurtig und probierte in aller Hast drei verschiedene Kleider an. Sie experimentierte sogar mit Barbaras Make-up. Eine halbe Stunde später stand Michael mit einem Skizzenblock vor ihr und forderte sie prompt auf, sich das Gesicht zu waschen.

Sie brachte die Quiche in den Garten, und er zeichnete sie zwei Stunden lang mit raschen, entschlossenen Bleistiftstrichen. Er war ganz auf seine Arbeit konzentriert, und sie bemühte sich, still zu sitzen und ihn nicht die ganze Zeit anzusehen. Er riß viele Skizzen von dem Block ab und warf sie weg. Nicht wütend - er ließ die Blätter einfach auf den Boden fallen wie ein Baum sein Laub. Um vier Uhr häufte sich Papier um seine Füße, und er steckte ein halbes Dutzend Zeichnungen in seine Mappe. Judy kochte Tee, und sie setzten sich auf die Holzbank, die die Zeder umgab, tranken Tee und aßen Ingwerkuchen.

»Kann ich eine von diesen haben?« fragte sie und hob ein paar ausgemusterte Skizzen auf.

»Nein.«

»Oh, aber Michael«, sie betrachtete eine Zeichnung, »sie ist wunderschön.«

»Sie ist grauenvoll. Alle sind schrecklich. Versprich mir, daß du sie verbrennst oder in den Papierkorb wirfst.«

Sie nickte betrübt und schenkte ihm Tee nach. Er schlug seine Mappe auf und reichte ihr nach einer Weile eine der gelungenen Skizzen. »Die hier kannst du behalten.«

Es war alles da. Der traurige Zug um den Mund, die schönen Augen, die plumpen Finger, die die Teekanne hielten, die kräftige und doch nachgiebige Nackenlinie. Er hatte die Zeichnung mit M. L. signiert. Sie war naturgetreu und unbarmherzig. Sie fühlte, wie ihre Augen brannten und ihre Kehle eng wurde, wußte aber, daß ihn nichts mehr gegen sie aufbringen würde als Tränen. Sie blinzelte ein paarmal.