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»Aber dann kam jemand.«

»Wie bitte?« Er beugte sich vor.

»Sie sagte, sie müsse auflegen, weil jemand an ihre Tür klopfte. Und ich versicherte ihr, daß wir die ganze Nacht erreichbar seien, wenn sie zurückrufen wolle, aber sie hat sich nicht mehr gemeldet.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich habe im Buch nachgesehen, als ich am nächsten Morgen ins Büro kam.«

»Und sie legte auf, bevor sie zur Tür ging, um aufzumachen?«

»Ja.«

»Hat sie gesagt, an welche Tür geklopft wurde?«

»Nein.«

»Haben Sie gehört, ob ein Hund bellte?«

»Nein.«

»Und an mehr können Sie sich nicht erinnern?«

Sie sah ihn unglücklich an, weil sie fürchtete, ihn enttäuscht zu haben. Stirnrunzelnd gestand sie: »Leider ja ... zumindest ...« Sie schwieg eine Weile, dann setzte sie hinzu: »Tut mir leid.«

Barnaby erhob sich. »Ich danke Ihnen, Miss ...«

»Bazely. Aber alle nennen mich Terry. Wir benutzen hier nur Vornamen.«

»Danke, Sie haben mir sehr geholfen.«

Sie hielt ihm die Tür auf. »Da war noch etwas, ich weiß es genau, aber ...«

Er glaubte ihr. Sie sah nicht so aus, als würde sie etwas erfinden, nur um jemandem einen Gefallen zu tun. »Möglicherweise fällt es Ihnen ganz plötzlich wieder ein, wenn Sie bei der Arbeit sind oder Geschirr abspülen. Rufen Sie mich an, sobald Sie wissen, was es war. Sie erreichen mich im Polizeirevier Causton.«

»Soll ich mich auch melden, wenn es nichts Wichtiges war?«

»Besonders, wenn es Ihnen nicht wichtig vorkommt. Und«, er schloß die Tür, »Sie dürfen nicht vergessen, daß auch dieses Gespräch außerordentlich diskret behandelt werden muß. Reden Sie mit niemandem darüber, auch nicht mit Ihren Kollegen, ja?«

»Oh!« Ihre Zweifel waren wieder da, und sie wirkte beunruhigter als zuvor. »Aber ich muß Ihren Besuch in unser Buch eintragen.«

»Tragen Sie mich einfach als anonymen Besucher ein, der Kummer wegen eines Todesfalls in der Familie hat«, sagte Barnaby lächelnd, als er die Tür aufzog.

Es war kurz vor neun Uhr. Detective Chief Inspector Barnaby saß am Eßtisch und betrachtete einen Teller, auf dem ledern oder wie Lakritze aussehende, schimmernd schwarze Streifen inmitten einer gelblichgrünen Teigmasse lagen.

»Die Leber mit Gemüse ist verdorben, mein Lieber«, sagte Mrs. Barnaby und deutete damit an, daß das Abendessen zur rechten Zeit noch appetitlich ausgesehen hatte.

Tom Barnaby liebte seine Frau. Joyce war freundlich und nachsichtig, und sie konnte gut zuhören. Er redete immer mit ihr, wenn er nach Hause kam, gewöhnlich über seine Arbeit, und er konnte sich auf ihre Verschwiegenheit verlassen. Und wenn er zum Ende kam, wirkte sie noch genauso interessiert und nachdenklich wie am Anfang. Sie war sechsundvierzig, auf eine reife Art hübsch und hatte nach wie vor Spaß an dem, was sie mit einem vielsagenden Unterton »ein bißchen kuscheln« nannte. Sie hatte ihre Tochter mit liebevoller, aber fester Hand erzogen und die meisten Dinge, die Eltern gemeinsam taten, allein übernommen. Dabei war ihr nie ein Wort der Klage über die Lippen gekommen. Das Haus war sauber und behaglich, und Joyce erledigte die meiste langweilige Gartenarbeit allein und überließ Tom die interessanten, kreativen Dinge. Sie war eine gute Schauspielerin und sang so schön wie eine Lerche - beide Fertigkeiten zeigte sie eindrucksvoll in der örtlichen Laienspielgruppe. Ihr einziger Fehler war, daß sie nicht kochen konnte.

Nein, dachte Barnaby, als sich ein besonders widerspenstiges Stück Lakritze in seinen Gaumen bohrte, es sind nicht nur ihre mangelnden Kochkünste, es ist mehr, viel mehr. Zwischen ihr und frischen, gefrorenen oder konservierten Lebensmitteln herrschte eine Art unheilvoller Chemie. Sie waren Erzfeinde. Er hatte ihr einmal zugesehen, wie sie versuchte, einen Kuchen zu backen. Sie hatte die Zutaten nicht nur abgewogen und vermischt, sondern mit ihnen gerungen, als quäle sie die Gewißheit, daß sie nur mit Entschlossenheit und Kampfbereitschaft ihren Willen durchsetzen und die Oberhand behalten konnte. Ihre Finger hatten sich wie Eisenklammern um den Teigball geschlossen.

Als Cully dreizehn war, überredete sie ihre Mutter, einen Kochkurs zu besuchen, und am Abend der ersten Unterrichtsstunde standen Vater und Tochter Hand in Hand am Gartentor und konnten ihr Glück kaum fassen. Mrs. Barnaby hatte das Haus mit lauter guten Sachen verlassen. Sie trug sie wie Rotkäppchen aus dem Märchen in einem Korb, der mit einem blütenweißen Tuch bedeckt war, zu ihrem Kochkurs. Drei Stunden später kam sie mit einem zähen Klumpen, gespickt mit verkohlten Rosinen zurück. Sie besuchte noch ein paarmal den Kurs, gab dann aber auf - aus Rücksicht auf die sympathische Lehrerin, wie sie erklärte. Die arme Frau hatte nie zuvor in solchem Maße bei einer Schülerin versagt und war schrecklich niedergeschlagen.

Chief Inspector Barnaby stocherte in der Breimasse und in den Lederstreifen herum und erzählte seiner Frau von Miss Bellringer und Miss Simpson.

»Das ist eine faszinierende Geschichte, Liebling.« Mrs. Barnaby ließ ihre Handarbeit sinken - sie strickte etwas aus glänzender cremeweißer Wolle. »Ich frage mich, was sie wohl gesehen hat.« Ihr Mann zuckte mit den Achseln, aber sie ließ sich von seiner gleichmütigen Haltung nicht täuschen. »Ich nehme an, du sprichst als nächstes mit dem Arzt, stimmt’s?«

»Ja.« Barnaby legte Messer und Gabel weg. Man durfte keine Wunderleistungen von normalem Eßbesteck erwarten. »Wahrscheinlich morgen nach seiner Abendsprechstunde, also könnte es etwas später werden. Mach dir nicht die Mühe, mir das Essen warm zu halten. Ich esse auswärts.«

»Sie können jetzt hineingehen.«

Barnaby war um elf Uhr am nächsten Morgen in Doktor Lessiters Praxis gegangen und wartete seither. Er ging ins Sprechzimmer und fand den Arzt, geschäftig wie eine Biene, an seinem Schreibtisch vor. Während der gesamten Unterhaltung hielt er seine Finger nie still. Er spielte mit den Stiften, ordnete einen Stapel pharmazeutischer Fachzeitschriften, zupfte an seinen Manschetten oder trommelte auf seinen Rezeptblock ein. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf den Dienstausweis des Inspectors.

»Äh... Mr. Barnaby«, er gab ihm den Ausweis zurück, »ich habe nicht viel Zeit für Sie.« Er lud den Chief Inspector nicht einmal ein, Platz zu nehmen. Barnaby nannte den Grund für seinen Besuch.

»Ich sehe da keine Probleme. Eine ältere Frau, ein böser Sturz, das war zuviel für ihr Herz. So was kommt leider ziemlich oft vor.«

»Ich nehme an, Sie haben Miss Simpson vor ihrem Tod untersucht. Ich denke da an einen Zeitraum von zwei Wochen.«

»O ja, das habe ich. Sie können mir nichts anhängen, Inspector. Sonst hätte ich den Todesfall gemeldet. Ich kenne das Gesetz genauso gut wie Sie.«

Barnaby fragte unbeirrt weiter. »Wieso war sie bei Ihnen?«

»Sie hatte eine leichte Bronchitis. Nichts Ernstes.«

»Aber sie ist nicht an dieser Bronchitis gestorben, oder?«

»Was wollen Sie damit andeuten?«

»Ich deute gar nichts an, Doktor Lessiter. Ich stelle Ihnen nur einige Fragen.«

»Die Ursache des Todes, der einige Stunden, bevor sie gefunden wurde, eingetreten ist, war Herzversagen, wie ich es angegeben habe. Sie muß schwer gestürzt sein. Ein solcher Schock kann tödliche Auswirkungen haben.«

»Ich denke, das ist eine ganz natürliche Schlußfolgerung...«

»Eine Diagnose.«

»... und es ist logisch, daß Sie nicht nach weiteren Möglichkeiten gesucht haben. Das ist unter diesen Umständen nur allzu verständlich. Aber wenn Sie sich freundlicherweise für einen Moment zurückerinnern - war da vielleicht irgend etwas«, er suchte nach den richtigen Worten, »was nicht ganz ins Bild paßte?«