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Eines Nachts konnte ich nicht schlafen und wälzte mich bis drei Uhr im Bett herum. Schließlich stand ich auf und ging hinunter, um mir einen Tee zu kochen. Ich kam an Katherines Zimmer vorbei und hörte seltsame Geräusche... leise, erstickte Schreie. Ich dachte, sie hätte einen Alptraum und öffnete leise die Tür. Ich schaute ins Zimmer.« Ihr Gesicht wurde heiß bei der Erinnerung daran, und sie bedeckte es mit beiden Händen. »Danach konnte ich nicht mehr im Haus bleiben. Ich erklärte den Traces, daß die Kinder - ich sah sie immer noch als Kinder an, verstehen Sie? -, daß die Kinder zuviel für mich seien und daß ich mich in den Ruhestand zurückziehen wolle. Meine Schwester war ein paar Monate zuvor gestorben und hatte mir dieses Haus hinterlassen. Meine letzten Wochen in dem Cottage waren anders als die Zeit davor. Sie brauchten sich nicht mehr zu streiten, um mir Sand in die Augen zu streuen. Sie machten sich nicht mehr die Mühe, ihre Gefühle füreinander zu verbergen. Es schien ihnen nicht einmal in den Sinn zu kommen, daß das, was sie taten, nicht richtig war. Es war für sie ganz natürlich, verstehen Sie? ... Nur eine neue Dimension ihrer tiefen Zuneigung. Sie sahen nicht ein, daß ich gehen mußte. Warum ich mich nicht für sie freute. Ein paarmal dachte ich über die Möglichkeit nach, bei ihnen zu bleiben ... in gewisser Weise waren sie immer noch meine Babies, und ich hatte ihrer Mutter versprochen, mich um sie zu kümmern, aber dann sprach Katherine von ihrer Europareise. Sie wollten dahin fahren und dorthin ... ich weiß nicht, ob es einen Ort gab, den sie nicht besuchen wollte. Ich fragte: >Und wer soll das alles bezahlen?< Und sie meinte: >Henry natürlich.« Und Michael sagte: >Kate kann Henry zu allem überreden.<

Sie standen Arm in Arm am Küchentisch. Und plötzlich wurde mir bewußt, wie stark sie zusammen waren... Sie bauten sich gegenseitig auf. Man konnte es beinahe sehen... die Energie floß regelrecht zwischen ihnen hin und her und wurde immer gewaltiger. Ich hatte Angst. Ich dachte, daß nichts sie aufhalten konnte. Was auch immer sie wollten, sie würden es bekommen...

Jemand hat mir den Zeitungsartikel über die gerichtliche Untersuchung nach Mrs.-Traces Tod geschickt. Es schien eindeutig ein Unfall gewesen zu sein. Aber dann fand die Verlobung statt, und als ich hörte, daß Miss Simpson gestorben ist, konnte ich nicht anders, als mich zu fragen... Wenn ich mich mit der Polizei in Verbindung gesetzt hätte, wäre der dritte Mord vielleicht nicht passiert. Aber ich wußte es nicht, verstehen Sie? Es war nur ein Gefühl. Und wie hätte ich sie verraten können? Ich liebte sie ... es waren Madeleines Kinder.«

Nachdem Barnaby soweit gekommen war, entstand eine lange Pause. Miss Bellringer nickte ernst. »Allmählich wird mir einiges klar.« Sie goß sich Whisky nach und fuhr fort: »Aber ich verstehe noch immer nicht, wie einer von ihnen Bella getötet haben konnte.«

»Mir erging es anfangs wie Ihnen, ich konnte es mir auch nicht erklären. Ich las den Bericht über die gerichtliche Untersuchung so oft, bis ich ihn in-und auswendig kannte. Und alles stimmte so genau mit Phyllis Cadells Geständnis überein, daß kein Grund bestand, Zweifel anzumelden. Und trotzdem war etwas an der Geschichte, das nicht so recht zusammenpaßte. Ich grübelte tagelang darüber nach, bis mir schließlich ein Licht aufging. Ich bin zwar in der Jagd nicht bewandert, aber eines war mir doch klar, nämlich, daß ein Treiber nichts in der Nähe der Schützen zu suchen hat, sondern ihnen viel eher das Wild zutreiben muß. Also warum waren Michael Lacey und Mrs. Trace zusammen? Und wieso hat er sich überhaupt der Jagdgesellschaft angeschlossen? Er tischte mir eine Geschichte auf, daß er damit Geld verdient hat, aber das war weit entfernt von der Wahrheit. Er war dort, um Mrs. Trace vom Rest der Gruppe wegzulocken. Er hatte die Aufgabe, sie zu isolieren und auf diese Weise zur deutlich sichtbaren Zielscheibe zu machen. Katherine saß im Gebüsch auf der Lauer - wohlgemerkt, wir haben nur die Aussage ihres Bruders, daß sie sich in der Küche von Tye House nützlich gemacht hat -, und zu einer vorher abgemachten Zeit, die Katherine einen gewissen Spielraum ließ, wurde der Mord begangen.«

»Einfach so?«

»Beide Laceys waren erfahrene Schützen. Mrs. Rainbird wies mich darauf hin. Und bei dem Tumult mit den kläffenden Hunden und den aufgeregt umherrennenden Menschen konnte sie sich leicht auf und davon machen, ohne bemerkt zu werden. Michael, ganz der hilfsbereite Junge, lief los, um einen Krankenwagen zu rufen. Und jetzt kommt der zweite Punkt, der mir Kopfzerbrechen bereitet hat. Bei einem derartigen Unfall würde jeder zur nächsten Straße rennen und an irgendeine Haustür klopfen, aber Michael lief zum Tye House. Also zu einem Ort, der möglichst weit weg vom Unfallort war. Wieso telefonierte er nicht vom ersten Haus in der Church Lane aus? Oder vom Holly Cottage, das beträchtlich näher war? Dafür kann es nur einen Grund geben. Er wollte die Ankunft des Krankenwagens so lange wie möglich hinauszögern. Auf keinen Fall konnte er riskieren, daß kompetente Mediziner rechtzeitig eintrafen, um Bellas Leben vielleicht doch noch zu retten.«

»Ja... mir leuchtet ein, daß alles so gewesen sein könnte...« Miss Bellringer war so von Barnabys Bericht in den Bann gezogen, daß sie mit einem Stück Pflaumenkuchen auf der •Gabel dagesessen hatte, ohne einen Muskel zu rühren. Jetzt stopfte sie den Kuchen in den Mund und fragte noch kauend: »Aber... was ist mit Phyllis’ Geständnis?«

»Sie hat sich schlichtweg geirrt - wenn man ihre enorme emotionale Anspannung, ihre mangelnde Schießpraxis und den vielen Wodka in Betracht zieht, ist es eigentlich kein Wunder, daß sie ihr Ziel verfehlte. Es würde mich nicht wundern, wenn sie meilenweit daneben geschossen hätte. Aber durch einen der verhängnisvollen Zufälle, die sich manchmal im Leben ereignen, stolperte Bella gerade in dem Moment über eine Wurzel, in dem Phyllis schoß. Lessiter erwähnte den Sturz bei der gerichtlichen Untersuchung. Eine andere Erklärung kann es nicht geben.«

»Aber wenn Dennis beobachtete, was geschah, dann muß er auch gesehen haben, daß Bella wieder aufstand. Nachdem Phyllis die Flucht ergriffen hatte, meine ich.«

»Das kann ich mir auch vorstellen. Aber das werden wir erst genau erfahren, wenn er wieder vernehmungsfähig ist. Mich würde es jedoch kein bißchen wundern, wenn die Rainbirds Phyllis Cadell bluten ließen, selbst wenn sie wußten, daß sie unschuldig war.«

»Gräßliche Menschen.« Miss Bellringer sah sich ängstlich in ihrem vollgestopften Wohnzimmer um, als wollte sie sich vergewissern, daß kein Wort nach außen dringen konnte. Sie bückte sich, hob Wellington auf ihren Schoß und drückte ihn an ihre flache Brust wie einen wertvollen Talisman. Er streckte steif seine Pfoten von sich. »Und der Mord an Bella - war das der erste Schritt in ihrem großen Plan?«

»Bestimmt. Sie hinterließen einen Brief, in dem sie alles genau erklären.« Ein voller Wut verfaßter Brief. Auf den ganzen sieben Seiten bedauerten sie lediglich, daß sie Miss Simpson gegenüber nicht hatten abstreiten können, an dem fatalen Freitag nachmittag an ihrem geheimen Platz im Wald gewesen zu sein. Barnaby sah keinen Grund, seine betagte Gesprächspartnerin noch mehr zu verletzen und all die Beschimpfungen zu wiederholen, die das saubere Pärchen ihrer Freundin zugedacht hatte. »Ich glaube, Sie selbst sagten einmal etwas von schlechtem Blut< in der Familie Lacey. Ich weiß noch, daß ich das damals ziemlich melodramatisch fand - als könnte Schlechtigkeit genetisch weitergegeben werden wie blaue Augen oder rotes Haar! Aber jetzt... jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Beide waren ihrem Vater offensichtlich sehr ähnlich. Sie benutzten die Menschen mit eiskalter Berechnung, und wenn sie erreicht hatten, was sie wollten, wandten sie sich ab von dem von ihnen verursachten Schmerz und Unglück und suchten sich das nächste Ziel.«