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Im Clubraum nahm sie die Kaffeebecher von den Haken und stellte sie sehr sorgsam auf das Tablett, damit sie nicht gegeneinanderschlugen, drehte den Wasserhahn auf und füllte den Kessel. Harold, der sich selbst ohne Umschweife als wahres Ideenbündel bezeichnete, haßte es, wenn auch nur das kleinste Geräusch seinen kreativen Gedankenfluß störte.

Als Regisseur, mußte Dierdre traurig gestehen, konnte er sich dieses Gehabe auch durchaus leisten. Vor zwanzig Jahren hatte er in Filey gespielt, eine Sommerspielzeit in Minehead produziert und war in einer erstklassigen Tournee (mit der originalen Westendbesetzung) von Das Spinnennetz aufgetreten. Gegen diese Erfahrung konnte man nicht ohne weiteres ankommen. Ein oder zwei von ihnen hatten es natürlich versucht. Besonders Neuzugänge, die noch einen eigenen Kopf hatten und bemüht waren, sich in der Hackordnung zu behaupten. Nicht, daß es viele davon gegeben hätte. Die CADS war extrem kleinlich, was die Auswahl ihrer Mitglieder anging. Nicholas, der den Mozart spielte und finster auf das Ergebnis seines Vorsprechens an der Central School of Speech and Drama wartete, beschwerte sich manchmal. Esslyn nie. Er hörte aufmerksam jedem Wort von Harold zu, um dann ganz unspektakulär doch seinen eigenen Weg zu gehen. Harold tröstete sich für eine derartige Impertinenz, indem er jeden anderen fast zu Tode kommandierte.

Dierdre löffelte billigen Pulverkaffee und Milchpulver in die Becher und goß das kochende Wasser auf. Ein oder zwei kleine weiße Klümpchen schnellten an die Oberfläche, und sie drückte sie nervös mit dem Ende eines Löffels wieder nach unten, wobei sie sich gleichzeitig daran zu erinnern versuchte, wer noch gleich seinen Kaffee mit Zucker trank und wer ihn auch ohne solchen schon süß genug fand. Am besten, ich nehme die Packung mit und frage nach. Vorsichtig lief sie durch den Korridor, dabei das schwere Tablett balancierend. Esslyn ging gerade auf Ian McKellen los.

»Also, gegen jedes bessere Wissen habe ich mir erlaubt, mich allein durch diese Plackerei zu schleppen. Von Anfang bis Ende nichts als Angeberei.«

»Aber«, erwiderte Nicholas mit unschuldig geweiteten grauen Augen, »ich dachte, das ist es gerade, worum es beim Schauspielen geht.«

Die Everards versprühten ihren giftigen Speichel gegen den zweiten Hauptdarsteller der Truppe und schrien: »Aber ich weiß genau, was Esslyn meint!«

»Ich auch. McKellen hat mich immer eiskalt gelassen.«

Dierdre warf ihre Frage nach dem Zucker ein.

»Himmel, das solltest du aber inzwischen wirklich wissen, Püppchen«, sagte Rosa Crawley. »Nur ein morceau für mich.« Sie brachte die Worte mit einer heiseren Stimme hervor. Rosa spielte Frau Salieri und hatte vorher noch nie eine derart bescheidene Rolle gehabt, aber in Amadeus war es die einzige Rolle für eine reifere Frau. Wäre sie doch augenscheinlich nie auf die Idee gekommen, eine Bedienstete oder eine ältere Bürgerin zu spielen. »Du hast uns doch bei so vielen Proben versorgt«, fuhr sie fort, »ich weiß gar nicht, wie du das immer geschafft hast.« Von allen Seiten brach halbherziges Lob über Dierdre herein, und Rosa unterdrückte einen kleinen Seufzer. Sie wußte, daß Großzügigkeit gegenüber weniger bekannten Schauspielern und dem Bühnenpersonal jeden großen Star auszeichnete. Sie wünschte bloß, Dierdre wäre empfänglicher dafür gewesen. Mit einem strahlenden Lächeln nahm Rosa ihren angeschlagenen Kaffeebecher entgegen. »Vielen Dank, mein Schatz.«

Dierdre öffnete als Reaktion darauf ein wenig die Lippen. Im stillen dachte sie sich: Also wirklich, bei einer Taille wie ein Wal ist selbst ein morceau zuviel. Als wollte Rosa Dierdre noch mehr verärgern, trug sie zu allem Überfluß den langen Pelzmantel, den Dierdre bei Oxfam für Der Kirschgarten gekauft hatte. Nach der Party zur letzten Aufführung hatte er das Fest verlassen und die Garderobe ihn nie wieder in die Finger bekommen.

»O mein Gott!« Harold starrte in seinen Becher, einen blauglasierten, auf dem mit rotem Nagellack H. W. (DIR) geschrieben stand. »Nicht schon wieder diese ekelhaften Frettchenköttel. Kann denn keiner mal echte Milch mitbringen? Bitte? Oder ist das vielleicht zuviel verlangt?«

Dierdre verteilte die restlichen Becher, reichte den Zucker herum und vermied es dabei, Harold in die Augen zu sehen. Wenn echte Milch gefragt war, dann sollte sie doch jemand besorgen, der ein Auto hatte. Sie hatte schon mehr als genug Zeug zu schleppen.

»Mir ist bei dem Gedanken an ein Rasiermesser überhaupt nicht wohl«, gestand Mozarts Constanze und kam damit auf den Ausgangspunkt zurück. »Ich möchte ohne Vater kein Kind kriegen.« Sie lächelte dämlich in ihren Kaffeebecher und verzog das Gesicht, ehe sie sich an die Knie ihres Ehemannes lehnte. Esslyn lächelte und sah sich in der Runde um, als wollte er sich für die Dummheit seiner Frau entschuldigen. Dann fuhr er ihr mit dem Nagel seines Zeigefingers über den Hals und murmelte: »Eine biologische Unmöglichkeit, nicht wahr?«

»Bei dem vielen Blut dürfte es noch ein Problem geben«, warf Joyce Barnaby ein, die Kostümbildnerin und Fundusbewahrerin, Hüterin der kaiserlichen Kuchen und Hintergrundsängerin, »nämlich Esslyns Hemd bis zum nächsten Abend zu waschen und zu bügeln. Ich hoffe, wir werden mehrere Hemden haben.«

»Molto costoso, mein Liebling«, rief Harold. »Ihr scheint alle zu glauben, ich sei aus Geld gemacht. Die Leihgebühren für die Kostüme der Hauptdarsteller kosten ohnehin schon ein Vermögen. Schön und gut, Peter Shaffer kann es sich leisten, zehn Dienstboten in Kostümen des achtzehnten Jahrhunderts zu fordern...«

Joyce saß vollkommen ruhig auf ihrem Stuhl, nahm Katharina Cavalieris mit Tressen besetztes Kleid zur Hand und fuhr damit fort, den Saum umzunähen. Schließlich drehte Harold bei jeder Produktion wenigstens einmal während der Proben durch, weil er glaubte, sie würden zuviel ausgeben, aber dann, wenn irgend etwas wirklich dringend gebraucht wurde, war das Geld doch da. Joyce hatte sich schon mehr als einmal gefragt, ob das Geld aus seiner eigenen Tasche stammte. Er schien kein reicher Mann zu sein (er besaß nur ein bescheidenes Import-Export-Unternehmen), aber er gab sich vollends dem Theater hin, hatte sich ihm von ganzem Herzen und mit Körper, Geist und Seele verschrieben, so daß keiner von ihnen sonderlich überrascht gewesen wäre, wenn er den ganzen Gewinn aus seinem Geschäft in das Theaterprojekt investiert hätte.

»Ich beneide Sarah nicht um das schwere Kleid«, meinte Rosa mit ihrer heiseren Stimme zu Joyce. »Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Ranjewskaja...«

»Ist meine Polsterung bald fertig, Joyce?« unterbrach sie die zweite Frau Carmichael und erhielt viele dankbare Blicke für diesen Einwurf. Jedesmal, wenn Rosa mit Ranjewskaja anfing, hätten sich alle am liebsten versteckt. Oder mit ihrer Frau Alving. Oder, wenn gar nichts mehr half, mit ihrer Fee Carabosse.

»Und die Musik«, fragte Nicholas. »Wann bekommen wir eigentlich die Musik?«

»Sobald ich einen Achtundvierzigstundentag habe«, kam es schneller als ein Peitschenschlag von Harold zurück. »Es sei denn«, fuhr er fort und zwinkerte bei der Absurdität dieses Gedankens mit den Augen, »du willst sie selbst komponieren.«

»In Ordnung.«

»Was?«

»Ich könnte das übernehmen, ich kenne alle seine Stücke. Es ist doch nur eine Frage von...«

»Es ist nicht nur eine Frage von irgend etwas, Nicholas. Der künstlerische Wert eines Regisseurs muß in jedem kleinen Detail seiner Produktion atmen. Wenn du erst einmal damit anfängst, dieses und jenes irgendeinem Tom, Dick oder Harry zu überlassen, die es dann so machen, wie sie es haben wollen, kannst du bald abdanken.« Es war Harolds Bemühen um Ansehen innerhalb der Truppe zu verdanken, daß dieses Verb niemandem in der Truppe unangemessen erschien. »Und dann mache ich mir auch mehr Sorgen um deinen Text als um deine Polsterung, Kitty. Ich möchte, daß du ihn am Dienstag auswendig kannst. Frei und ohne zu stocken. Hast du kapiert?«