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»Nein, gar nichts.«

Aber die Antwort war zögerlich gekommen, und der unsichere Tonfall des Arztes strafte die negative Aussage Lügen.

Barnaby wartete. Doktor Lessiter blies die Backen auf. Sein Kopf war rund wie eine Zwiebel, und seine Wangen hatten die Farbe von reifen Äpfeln. Auch seine Nase war gerötet, und seine Augäpfel waren von geplatzten Äderchen durchzogen. Inspector Barnaby glaubte, abgesehen von dem typischen Praxisgeruch nach Seife, Antiséptica und Minze, einen Hauch von Whiskey wahrzunehmen. Doktor Lessiters Hände kamen für einen Moment zur Ruhe und legten sich auf seinen Schmerbauch. Seine Stimme klang sachlich, als er schließlich weitersprach und damit zum Ausdruck brachte, daß er sich entschieden hatte, Barnaby zu vertrauen.

»Na ja ... da war doch etwas. Oh, es ist kaum der Rede wert, wirklich. Es war nur ein merkwürdiger Geruch.«

»Was für ein Geruch?«

»Hmm ... es roch nach Mäusen.«

»Das ist nicht ungewöhnlich in einem alten Cottage. Besonders, wenn sie keine Katze hatte.«

»Ich habe nicht gesagt, daß es Mäuse waren. Ich sagte, es roch wie Mäuse. Das ist der treffendste Vergleich, den ich ziehen kann.« Doktor Lessiter stand auf und schwankte einen kurzen Augenblick; »Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Ich habe heute noch sehr viel zu tun.« Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage, und Sekunden später befand sich Barnaby an der frischen Luft.

Die Praxis war im hinteren Teil des Hauses, einer prächtigen viktorianischen Villa, untergebracht. Barnaby marschierte über den langen Kiesweg und trat in eine schmale, mit Weißdornbüschen und Bärenklau gesäumte Gasse. Er brach einen kleinen Zweig von dem Weißdorn ab und kaute darauf herum, während er weiterging. Brot und Käse hatten sie früher, als er noch ein Junge gewesen war, dazu gesagt. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie er genüßlich in die süßen grünen Knospen gebissen hatte. Heute schmeckten sie ganz anders. Vielleicht war es schon ein wenig spät im Jahr.

Das Dorf Badger's Drift hatte die Form eines T. Den Querbalken bildete eine Straße, die schlicht »Street« genannt wurde. Hier befanden sich eine Reihe von Blockhäusern, die die Gemeinde vermietet hatte, einige private Wohnhäuser, der Black Boy Pub, eine Telefonzelle und ein sehr großes, wunderschönes georgianisches Haus, das in einem zarten Apricot-ton gestrichen und auf der einen Seite fast ganz von einem riesigen Magnolienbaum verdeckt war. Hinter dieser Villa standen einige Farmhäuser und zwei große Silos. Das Postamt, ein typischer Bau mit zwei Räumen im ersten Stock, war befestigt wie eine kleine Trutzburg, genau wie der Dorfladen nebenan.

Barnaby bog in die Hauptachse des T ein. Die Church Lane war nicht ganz so lang wie die Street und mündete ins offene Land mit meilenweiten Weizenfeldern. Die Kirche war im dreizehnten Jahrhundert aus Natursteinen erbaut worden, war jedoch erst kürzlich um einen Ziegelbau mit Wellblechdach erweitert worden.

Während Barnaby durch das Dorf schlenderte, bekam er mehr und mehr das Gefühl, beobachtet zu werden. Ein Fremder in einer kleinen Gemeinde erregte immer Aufsehen, und er entdeckte mehr als nur eine leicht verschobene Gardine hinter den Fenstern der Häuser. Obwohl die Straße hinter ihm menschenleer war, spürte er eine seltsame Spannung in seinem Nacken, als würde er verfolgt. Er drehte sich um. Niemand. Plötzlich blitzte eine Lichtreflexion zu seinen Füßen auf. Er hob den Blick. Im Dachfenster des eleganten Bungalows neben dem Black Boy Pub fing sich das grelle Sonnenlicht, und ein Gesicht huschte schnell hinter die Gardine.

Miss Bellringer wohnte in einem kleinen, relativ modernen Haus am Ende der Church Lane. Inspector Barnaby ging über den schmalen Kiesweg, der durch ein Gewirr von üppigen Blumen und Sträuchern führte: Rhododendren, Lorbeer, Fuchsien und Rosen wucherten wild in alle Richtungen. Der eiserne Türklopfer hatte die Form eines Stierschädels, und darunter hing ein Zettel in einer durchsichtigen Plastikhülle: laut klopfen. Er klopfte laut.

Augenblicklich kreischte eine Stimme: »Tu es nicht.« Ein dumpfer Laut, als wäre ein Möbelstück umgefallen, folgte, dann hörte Barnaby ein Schlurfen, und Miss Bellringer öffnete die Haustür.

»Entschuldigung, das war Wellington«, sagte sie. »Kommen Sie herein.«

Sie führte ihn in ein vollgestopftes Wohnzimmer und begann, Bücher vom Boden aufzuheben. Der Chief Inspector bückte sich, um ihr zu helfen. Die Bücher waren ziemlich dick und schwer. »Sie wollen unbedingt klettern. Ich weiß nicht, wer den Unsinn aufgebracht hat, daß Katzen nichts umwerfen und ganz sicher auf ihren Pfoten sind. Dieser Mensch hatte sicherlich keine Katze daheim. Wellington schmeißt immerzu etwas runter.«

Barnaby entdeckte Wellington, einen kräftigen, eisengrauen Kater mit vier weißen Pfoten. Er hockte teilnahmslos auf dem Klavierflügel. Sein Gesicht erinnerte an einen alten Stiefel - eingebeult, verknautscht und knittrig. Er paßte genau auf, wie sie die Bücher an ihren Platz zurückstellten. Er wirkte irgendwie heimlichtuerisch und ironisch. Ein Kater, der auf seine großen Augenblicke warten konnte.

»Bitte«, Miss Bellringer wedelte mit dem Arm und verfehlte einige aufgestellte Fotografien nur um Haaresbreite, »setzen Sie sich.«

Barnaby räumte den Stapel Notenblätter, eine Keramikente und eine Bonbondose von einem Lehnsessel und ließ sich nieder.

»Also, Chief Inspector ...«, sie nahm ihm gegenüber auf dem viktorianischen Sofa Platz und legte die Hände auf die Knie (sie trug kupferfarbene Knickerbocker), »was haben Sie herausgefunden?«

»Also«, echote Barnaby, »es gab ganz sicher etwas, was Ihre Freundin beunruhigte. Offenbar machte es ihr schwer zu schaffen.«

»Ich wußte es!« Sie schlug sich auf den Schenkel und wirbelte damit eine kleine Staubwolke auf. »Hab’ ich’s Ihnen nicht gesagt?«

»Unglücklicherweise gibt es offenbar keine Möglichkeit, zu erfahren, was es war.«

»Erzählen Sie mir, was Sie erfahren haben.«

Während Barnaby die Unterhaltung mit Terry Bazely schilderte, sah er sich in dem Zimmer um. Es war groß und vom Boden bis zur Decke mit Büchern und Nippes, getrockneten Blumen und Grünpflanzen vollgestellt. In drei Regalen standen nur Kriminalromane, die man sofort an den charakteristischen Umschlägen erkannte. Außerdem waren da noch ein aus Natursteinen gebauter offener Kamin, eine großartige Stereoanlage und ein mit Spinnweben verzierter Ben Nicholson, der an der Wand gleich neben der Terrassentür hing.

»Und was unternehmen wir als nächstes?« Sie sah ihn mit einem offenen, erwartungsvollen Blick an. Sie rutschte ganz nach vorn an die Sofakante und schien zu allem bereit zu sein.

Barnaby ärgerte sich über ihr ungebrochenes Selbstbewußtsein. Sie schien ihn als eine Art Mitverschworenen zu betrachten. Aber sein Urteil über den Fall (falls man dies überhaupt einen Fall nennen konnte) war eher vage und nebulös. Er konnte kein Kaninchen aus dem Hut zaubern. Er war noch nicht einmal sicher, ob er überhaupt einen Hut hatte.

»Sie können gar nichts tun, Miss Bellringer«, erwiderte er. »Ich werde den Polizeiarzt bitten, sich Miss Simpsons Leichnam anzuschauen. Dafür brauche ich allerdings Ihr Einverständnis ...«

»Aber natürlich!«

»Falls er keine Notwendigkeit sieht, genauere Untersuchungen anzustellen, bedeutet das wahrscheinlich auch das Ende dieser Angelegenheit.« Er erwartete, daß sie diese Bemerkung mit Bestürzung aufnehmen würde, aber sie nickte zustimmend.

»Ausgezeichnet. Der Bestattungsunternehmer ist Brown’s, Kerridge Street. Ich gebe Ihnen die schriftliche Erlaubnis.« Sie schrieb mit einem Füllfederhalter etwas auf einen cremeweißen Papierbogen, steckte den Bogen in einen Umschlag und reichte ihn Barnaby. »Ich darf Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Chief Inspector Barnaby. Halten Sie mich auf dem laufenden, ja? Sie haben sehr gute Arbeit geleistet, Chief Inspector Barnaby.«