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Aber sie hatten geheiratet, und sie hatte noch vier Jahre lang gesungen, zuerst nur kleine, kaum bemerkte Rezitationen; dann trat sie dem Chor des National Opera House bei. Als Gully geboren wurde, war alles zu Ende. Barnaby und sie stimmten aber darin überein, daß es nur für eine Weile vorbei sein sollte. Vorübergehend. Das Geld war knapp, und als Cully zwei Jahre alt war, bekam Joyce ein Engagement als zweite Besetzung für Godspell. Aber eine Karriere bei der Polizei ist mühsam, Tom hatte öfter Nachtdienst, und eine oder zwei unangenehme Erfahrungen mit Babysittern ließen Joyce voller Schuldgefühle und Angst ins Theater gehen, so daß sie sich nicht mehr konzentrieren konnte. Also ging sie zur Causton Light Operatic Society, um ihre Stimme geschmeidig zu halten, als die CADS gegründet wurde. Es war natürlich nicht das, wovon sie geträumt hatte, aber selbstverständlich immer noch besser als nichts. Sie und Tom kamen überein, daß es nur so lange so gehen sollte, bis Cully alt genug war und man sie allein lassen konnte.

Als diese Zeit gekommen war, mußte Joyce jedoch feststellen, daß sich die Musikwelt weitergedreht hatte und nun voller talentierter, harter, karrierewilliger junger Sänger war. Und die Jahre von mehr oder weniger durchgehender Häuslichkeit hatten ihre Ambitionen stumpf werden lassen. Sie wurde sich darüber klar, daß sie keine Lust mehr hatte, nach London zu fahren, in einem schlecht beleuchteten Theater zu stehen und für ein gesichtsloses Trio irgendwo da draußen zu singen.

Besonders, wenn Scharen von Zwanzigjährigen schon in den Kulissen standen, scharf wie Rasierklingen, voller Entschlossenheit und Auftrieb, Energie und Hoffnung. Und daher ließ Joyce ihre Pläne für eine Musikkarriere fallen, allmählich und ganz ohne ein äußeres Anzeichen von Enttäuschung.

Aber ihr Ehemann sah sie ihre Theaterrollen, von denen es viele gab, mit einer derart einfühlsamen Wahrhaftigkeit spielen oder hörte, wie ihre liebliche Stimme in der Weihnachtsgeschichte die anderen anführte, und es gelang ihm nie, diesen Darbietungen ohne den peinigenden Stich aus Kummer und Reue beizuwohnen. Dieser Stich wurde zwar über die Jahre durch ihre glückliche Ehe gemildert, aber nun, da er «Martern aller Arten« noch in den Ohren hatte und aus den Augenwinkeln heraus die vielen Veränderungen erkannte, fuhr plötzlich ein Pfeil aus Trauer, ein Leiden über diese Verschwendung, wie ein Messer durch ihn hindurch.

»Tom...« Joyce nahm seine andere Hand und blickte ihm ins Gesicht. »Schon gut. Es macht doch nichts. All das. Es macht nichts. Da sind wir beide. Und da ist auch Cully. Liebling...?« Sie begegnete seinem Blick mit Kraft und Liebe. »Alles in Ordnung?«

Barnaby nickte und ließ zu, daß sein Gesicht sich aufhellte. Was hätte er sonst auch tun sollen? Die Dinge waren nun einmal nicht mehr zu verändern. Und es war eine Tatsache, daß es Cully gab.

Ihre Tochter hatte, seit sie mit vier Jahren zum ersten Mal bei einer Pantomime mitgemacht hatte, eine Theaterleidenschaft gepackt. Sie war wie der Wind auf die Bühne gesaust, als die Alte die Kinder aufforderte, auf den bösen Wolf aufzupassen, und sie trat um sich und schrie, als die Szene vorüber war, so daß sie gewaltsam von der Bühne gezerrt werden mußte. In der Grundschule hatte sie wie selbstverständlich große Vorstellungen gegeben (Eichenblatt, kleiner Hase). Jetzt, in ihrem letzten Englischjahr in New Hall, waren ihre Vorstellungen im ADC schon hervorragend.

»Ich dachte, du wüßtest das«, fuhr Joyce fort. »Du dummer alter Bär.«

Barnaby lächelte. »Es ist schon lange her, daß mich das letzte Mal jemand so genannt hat.«

»Erinnerst du dich noch daran, wie Cully dich immer so genannt hat? Da gab es diese Fernsehsendung, die sie so sehr geliebt hat...« Joyce sang: »Ich heiße Barnaby, der Bär... den Rest habe ich vergessen.«

»Ah, ja. Mit sieben war sie wirklich eine richtige Verrückte.«

Die Unterhaltung stockte einen Moment lang. Dann sagte Joyce: »Eine Nachricht von Colin.« Barnaby grunzte. »Könntest du bitte den Kamin anstreichen?«

»Joyce, ich hab’ doch Ferien.« Er murrte zwar immer, wenn sie ihn bat, bei den Bühnenbildern zu helfen, half dann aber doch jedesmal aus, soweit es seine Arbeit zuließ.

»Ich würde dich gar nicht bitten, wenn du keine Ferien hättest«, log Joyce dreist. »Wir können alle Farbe auf die Kulissen kleckern, aber dieser Kamin, den Colin da entworfen hat... er ist so schön. Tom - ein Kunstwerk. Wir können da keinen dusseligen Kerl dranlassen. Und du bist doch so toll in solchen Sachen.«

»Du streichst mir ganz schön Honig um den Bart.«

»Es ist doch wahr. Du bist ein Künstler. Erinnerst du dich noch an die großartige Figur, die du gemacht hast? Für Hin und her im Garten?«

»Nur zu gut. Und an die Briefe in der lokalen Presse.«

»Das kannst du am Samstag nachmittag tun. Nimm eine Thermoskanne und ein paar Brote mit.« Sie hielt inne. »Ich würde dich nicht darum bitten, wenn wir Gartenwetter hätten.«

»Und ich würde es nicht tun, wenn wir Gartenwetter hätten.«

»Oh, danke, Tom.« Sie drückte ihre Wange an seine Hand. »Du bist süß.«

Detective Chief Inspector Barnaby seufzte und sah, wie die letzten paar kostbaren Tage seines jährlichen Urlaubs nun doch mit regen Aktivitäten ausgefüllt werden würden.

»Versuch das mal denen im Präsidium zu erklären«, erwiderte er.

Harold steuerte seinen Morgan in der Wellington Road 17 zwischen den Torpfosten mit den Styroporlöwen durch und raste auf den Stellplatz zu. Er ermutigte die Maschine, ein letztes großes, tiefkehliges Brüllen von sich zu geben, drehte dann den Zündschlüssel um und machte sich selbst Mut für das Bevorstehende. Das Ein-und Aussteigen aus einem Morgan war nämlich nicht eben leicht, doch ihn zu fahren und zu beherrschen ein Erlebnis. Es befriedigte vorübergehend Harolds unstillbaren Durst nach Bewunderung, wenn die Fußgänger ihre Köpfe nach der scharlachroten Kühlerhaube, die an ihnen vorbeiblitzte, umdrehten. Die Tatsache, daß seine Frau den Wagen nicht leiden konnte, erfüllte ihn zusätzlich mit Freude. Er zog den Schlüssel ab und klopfte anerkennend auf das Armaturenbrett. Man wußte eben instinktiv, wenn etwas richtig war, sinnierte Harold, der sich vor langer Zeit diese Lüge eines schlauen Reklamefachmanns zu Herzen genommen hatte.

Auf dem lederbezogenen Sitz neben ihm lag ein Stapel Poster, die Frau Wistanley unter befreundeten Mitgliedern der Townswomen’s Guild, ihrer Blumenarrangierklasse und in den hiesigen Geschäften verteilen konnte. Abgesehen davon, daß er seine Ideen geschickt verkaufen konnte und Interviews gab, wann immer er sich die Gelegenheit dazu verschaffen konnte, legte Harold wenig Wert auf Öffentlichkeitsarbeit. Denn schließlich, das würde er jedem Dummkopf erklären, würde Trevor Nunn ja auch nie selbst die Nachrichtenagenturen mit Filmmaterial zu seiner letzten Extravaganz beliefern. An dem kurzen Gedanken an diesen berühmten Namen hatte Harold nun schwer zu schlucken. Er war sich schon seit langem bewußt darüber, daß er, wenn er nicht so sorglos in die frühe Heirat eingewilligt hätte und wenn die Geburt seiner drei unheimlich beschränkten Kinder nicht gewesen wäre - die nun Gott sei Dank sich und ihre Kumpane kilometerweit entfernt zu Tode langweilten -, einer der Topregisseure dieses Landes hätte werden können. Wenn nicht sogar (Harold gehörte nicht zu jenen, die sich vor der Wahrheit drückten) der ganzen Welt.

Alles, was man brauchte, waren Glück, Talent und die richtige Frau. Harold glaubte, wenn man sein Glück gemacht hatte, wäre Talent kein Problem mehr. Er hatte es, Gott weiß, es quoll ja aus jeder seiner Poren. Aber die richtige Frau... ah, da lag der Hund begraben. Doris war bürgerlich und ein schlichtes Gemüt. Eine Philisterin. Als sie gerade erst frisch verheiratet waren (sie war damals ein dünnes, scheues, hübsches Mädchen), hatten die Kinder sie vollauf beansprucht, und sie hatte keine Zeit gehabt, sich für das Latimer zu interessieren. Später, als die Kinder größer wurden und ihre eigenen Wege gingen, waren ihre Bemerkungen zu den Produktionen derart unangebracht, daß Harold ihr kurzweg verbot, sich, außer zu den Premieren, überhaupt noch im Theater blicken zu lassen.