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»Mein Gott, bist du ein Snob«, sagte Nicholas.

»Richtig, junger Bradley. Das war das letzte Mal, daß du an meinem Tisch gegessen hast.«

»Oh! So habe ich das doch nicht gemeint, Avery. Ehrlich.« Halb außer sich, halb lachend, fuhr Nicholas fort: »Bitte. Entschuldige...«

»Ich sollte wohl annehmen«, sagte Harold, »daß es das Geschenk eines heimlichen Bewunderers ist. Und nun müssen wir anfangen. Hopp, hopp.«

Er steckte das Päckchen in seine Mütze. Der Moment der Freude, den das Erscheinen des Buches ausgelöst hatte (es war immerhin schon Jahre her, seit ihm jemand ein Geschenk gemacht hatte), war verflogen. An seine Stelle trat eine leichte Besorgnis. Was für eine seltsame Angelegenheit. Da hatte irgendwer soviel Geld für ein Buch ausgegeben, bloß um es dann anonym an jemanden zu schicken, der sich überhaupt nicht dafür interessierte. Aber Schluß jetzt, dachte sich Harold, denn er hatte nun wohl kaum die Zeit, über das Geheimnis dieses Buches nachzusinnen. Das Geheimnis des Theaters - das war seine Welt. Das war es, was er zu entzünden hatte. Und Stücke produzierten sich nicht von selbst.

»Gut, meine Lieben«, rief er, »von vorne. Und bitte... viel mehr Wahrhaftigkeit. Nicholas, erinnerst du dich... Wo steckt Nicholas?«

Mozart trat hinter den Kulissen hervor. »Hier bin ich, Harold.«

»Vergiß nicht, was ich dir am Montag gesagt habe. Resonances. Klar? Das ist es, was ich will - viel Resonanz. Du wirkst verwirrt.«

»... entschuldige, Harold.«

»Du kennst die Bedeutung des Wortes Resonanz, nehme ich an.«

»...ähm ...das war doch das Pferd von Don Quixote, oder?«

»O Gott, ich bin von Idioten umgeben!« schrie Harold.

Einige Tage vergingen. Bei den Proben ging alles schief, und die ersten Durchlaufproben waren absolut fürchterlich. Aber erst während der Kostümprobe (jedenfalls sagte das später jeder zu Barnaby) fing es wirklich an zu brodeln.

Als Esslyn mit seinem Tangotänzergang in seinem blausilbernen Mantel über die Bühne strich, wurde seine Vorstellung zu einer glänzenden Farce. Er dachte gar nicht mehr daran, mit seinen Kollegen zu spielen - tatsächlich sah er sie nicht einmal mehr -, und er spreizte sich und posierte, als wäre das ganze Stück sein Solo. Von seinen Kriechern bestärkt, setzte er die Seitenhiebe gegen David und Nicholas fort.

Nicholas kam damit gut zurecht. Sein vorheriges Gespräch mit Dierdre war das erste von dreien gewesen, und er tastete sich auf einem Weg voran, von dem er glaubte, er würde ihn zu einer wahrhaftigen, intelligenten und lebendigen Wiedergabe der Mozart-Rolle führen. Er war halbwegs durch die Eröffnungsszene und spielte gerade hinter Salieris Rücken, als Esslyn plötzlich seine Rede unterbrach und nach vorn zu den Strahlern an der Bühnenrampe ging.

»Harold?« Auf Harolds Gesicht stand Erstaunen, als er sich von seinem Sitz erhob und an die Rampe kam. »Gibt es eine besondere Betonung bei che gioia?«

»Was?«

»Entschuldige. Um ehrlich zu sein, mein Problem ist... ich bin mir nicht ganz sicher, was das heißen soll.« Schweigen. »Vielleicht kannst du mich da mal aufklären.« Lange Pause. »Ich wäre dir sehr dankbar.«

»Wer ist nun cattivo?« murmelte Clive.

»Weißt du das denn nicht?« hakte Harold nach.

»Ich fürchte, nein.«

»Willst du mir damit etwa sagen, daß du diese Zeilen, die du in den vergangenen sechs Wochen immer wieder aufgesagt hast, nicht verstehst?«

»So sieht es aus.«

»Und du nennst dich selbst Schauspieler?«

»Ich nenne mich mit derselben Berechtigung Schauspieler, mit der du dich Regisseur nennst.«

Eine noch längere Pause. Dann schien es für jeden spürbar in der Luft zu liegen, ein feiner Widerhall, wie der Schlag einer entfernten Trommel. Harold entgegnete mit auffallend ruhiger Stimme: »Versuchst du, mich in Rage zu bringen?«

»Glaube nicht, daß das nötig ist«, tuschelte Donald. »Der läuft doch nur mit heißer Luft.«

»Aber natürlich nicht, Harold. Ich dachte nur...«

»Ich werde es nicht für dich übersetzen. Mach deine Hausaufgaben.«

»Gut, das scheint mir aber ein wenig...«

»Also gut. Wir machen weiter, und das gilt für alle. Und keine weiteren Unterbrechungen. Wir haben schon genug Zeit verloren.«

Esslyn zuckte die Schultern und ging wieder zu seiner vorherigen Position zurück, und der Widerhall verklang in einer Stille, die vor Enttäuschung triefte. Die erste echte Konfrontation, konnte man jeden förmlich denken hören, und nun ist sie vorüber, ehe sie überhaupt richtig begonnen hat. Aber ihre Enttäuschung sollte nur von kurzer Dauer sein, denn ein paar Minuten später fragte Esslyn: »Glaubst du, es ist wahr, daß er nie wirklich Hand an Katharina gelegt hat?«

»Natürlich ist das wahr!« schrie Harold zurück. »Warum um Himmels willen sollte er sich denn selbst belügen?«

Dann kam es zu Meinungsverschiedenheiten über die Hofetikette, das Timing des Adagios und der Bibliothekszene und über die Aufstellung des Klaviers. Harold ging noch einmal nach vorn an die Bühne, diesmal allerdings mit einem wilden Tick an einem Augenlid.

»Wenn du all diese Mängel schon vorher bemerkt hast«, begann er in einem eisigen Tonfall, »dann darf ich vielleicht mal fragen, wieso du sie bis zu diesem späten Stadium für dich behalten hast, ohne etwas zu sagen?«

»Weil ich nicht dafür verantwortlich bin. Ich habe darauf gewartet, daß du etwas dagegen unternimmst. Da du aber offensichtlich nicht dazu in der Lage bist, dachte ich, ich müßte zum Wohle des Stücks und dem Wohle der Truppe endlich doch etwas sagen.«

»Der Tag, an dem du anfängst, dir Sorgen um den Rest der Truppe zu machen, Esslyn, wird der Tag sein, an dem die Schweine auf Skiern fahren.«

Als wären diese Unterbrechungen lediglich pikante kleine Appetitanreger gewesen, begannen danach die Dinge so gewaltig schiefzulaufen, daß es schon prachtvoll war. Kittys Polsterung wollte nicht halten. Je weiter sie nach unten rutschte, desto heftiger fingerte sie daran herum. Je heftiger sie daran herumfingerte, desto mehr mußte sie kichern, bis Harold aufstand und sie anschrie. Daraufhin brach sie unvermittelt in Tränen aus.

»Es ist nicht so leicht«, schluchzte sie, »noch dazu wenn du schwanger bist.«

»Verschone mich damit, um Gottes willen!« entgegnete Harold. »Garderobe!« Er stand da, pochte mit dem einen Fuß auf den Boden und sog an seinen Zähnen, bis Joyce Baby Mozart gesichert hatte. Dann lag das Manuskript nicht an seinem Platz auf dem Requisitentisch. Und auch nicht der Federhalter. Oder Kittys Schal. Dierdre entschuldigte sich und schwor, sie hätte die Sachen zu Beginn der Probe alle an ihren Platz gelegt. Salieris Rollstuhl brach zusammen, und die goldenen Zäune, die noch nicht ganz trocken waren, hinterließen ihren Abdruck auf Kaiser Josephs weißem Satingewand.

Aber das dramatischste, alarmierendste und letztendlich urkomischste Mißgeschick war, daß der Tapeziertisch, der bei der Premiere zur Zauberflöte noch den massenhaften Ansturm des Publikums ausgehalten hatte, zusammenbrach. Auf ihm standen die wurstkauenden, pfeiferauchenden Wiener Bürger. Sie rülpsten, scherzten und stießen sich gegenseitig in die Rippen, und das alles absolut übertrieben. Sie kamen zwar fast ohne Ausnahme aus Somerset, aber ein pflichtbewußter Bürger, der seine Hausarbeiten gemacht hatte, schrie in reinstem Deutsch: »Gott im Himmel.«

Dann, als das berühmte »Heil sei euch Geweihten« über ihren Köpfen aufstieg, knarrte der Tisch, ächzte und gab schließlich nach, wobei das inzwischen hysterische Volk in einem hohen Bogen mitten auf die Bühne purzelte. Alle bis auf Harold fanden das hinreißend komisch. Selbst Esslyn grinste mit kaltem Zartgefühl in seine Spitzenmanschetten hinein. Harold stand von seinem Sitz auf und funkelte die Truppe glühend an.