Выбрать главу

»Meinst du nicht... der Hering sieht gut aus, Daddy?«

»Ich mag Hering.«

»Ich könnte ihn mit Hafermehl panieren.« Dierdre lächelte dankbar und drückte seinen Arm. »Wäre dir das recht? Mit dunklem Brot und Butter?«

»Ich mag dunkles Brot und Butter.«

Sie reihte sich in der Warteschlange ein. Dierdre war inzwischen daran gewöhnt, daß die Leute ihren Vater ignorierten, obwohl sie zum Teil, wie Dierdre wußte, seine früheren Schüler waren. So war sie regelrecht überwältigt, als die Frau neben ihnen sich umdrehte und sagte, wie nett es sei, ihn mal wieder zu sehen und wie gut er aussähe.

Und er sah in der Tat gut aus, fand auch Dierdre und blickte ihn von der Seite an. Seine Augen waren klar und schimmerten, er nickte als Antwort auf den Gruß und gab ihr die Hand. Er wurde zwar etwas unruhig, als er sah, daß die fetten, schillernden Heringe in einer Seite des Daily Telegraph verschwanden, entspannte sich aber gleich wieder, als sie sicher in seinem Korb lagen. Dann gab er jedem in der Schlange die Hand, und er und seine Tochter gingen hinaus, um sich zum Gemüsehändler zu begeben.

Hier kaufte Dierdre Kartoffeln, einen Kohlkopf, Karotten und ein Pfund Mandarinen, die der Verkäufer lose in ihren Korb fallen ließ, wo sie wie glühende Kohlen oben auf den anderen Lebensmitteln leuchteten. Sie versuchte, den Korb an sich zu nehmen, weil sie glaubte, er sei zu schwer für ihren Vater, aber er bestand darauf, ihn weiterhin zu tragen, und sie spazierten Arm in Arm weiter zur Bibliothek. Auf dem Weg dorthin kamen sie am Blackbird vorbei, und sie winkte Avery zu, der zurückwinkte.

In der Bibliothek ließ Mr. Tibbs seine Tochter die Bücher aussuchen. Das tat sie jeden Samstag, ein Buch für sich und zwei für ihren Vater. Er fragte jede Woche, manchmal sogar sehr eindringlich, nach seinen neuen Büchern, und Dierdre, die spürte, daß der Wunsch, sich irgendeine zurückliegende Aktivität erhalten zu wollen, ein gutes Zeichen sein müßte, richtete sich danach. Wie dick sie auch sein mochten, ihr Vater gab sie immer am folgenden Samstag zurück, wobei er sich für ihre Freundlichkeit bedankte und betonte, wie sehr die Bücher ihm gefallen hätten. Und dann hatte sie ihn einmal mit einer Ausgabe von G. K. Chesterton beobachtet. Er las jede Seite genau durch, indem er bis zum Ende der ersten Zeile las, dann wieder zurück auf den Anfang der zweiten Zeile ging, und so weiter, bis zum Ende der Seite. Hatte er beide Seiten gelesen, hob er das Buch gegen das Licht, als wollte er jeden Tropfen an Information auswringen, ehe er auf die nächste Seite blätterte. Jetzt wählte Dierdre ein Reisebuch mit Fotografien von wunderschönen ruhigen Landschaften, etwas von Monica Dickens und David Mamets mit dem Titel Schreiben in Restaurants, das sie schon sechs Wochen vorher reserviert hatte.

Nachdem sie ein paar Minuten dem Weihnachtschor zugehört und etwas in die Spendendose getan hatten, gingen sie zum Bäcker, wo Dierdre einen großen Laib Weißbrot und einen vor purpurroter Marmelade und Buttercreme triefenden Biskuitkuchen kaufte, und machten sich dann auf den Weg nach Hause. Mr. Tibbs erklärte, er sei nach dem Spaziergang müde. Er ging ins Bett, und Dierdre kochte Tee.

Sie machte ihr eigenes Bett, während sie darauf wartete, daß das Wasser kochte, und als sie die Tagesdecke glättete, sah sie sich selbst im Schrankspiegel. Für gewöhnlich mied sie Spiegel, bis auf den kleinen, wenn sie sich morgens wusch. Warum sollte sie sich auch anschauen? Es gab ja niemand Besonderen, für den es sich gelohnt hätte, irgendeine Anstrengung betreffs ihres Aussehens zu unternehmen. Das war nicht immer so gewesen. Zehn Jahre zuvor, als sie achtzehn war und ein Junge im Büro an ihr interessiert gewesen zu sein schien, hatte sie eine Weile die einschlägigen Magazine studiert und versucht, irgend etwas aus ihrem dunklen gelockten Haar zu machen, das in alle Richtungen abstand, und etwas gegen ihre allzu rosige Hautfarbe zu unternehmen. Dann jedoch war ihre Mutter gestorben, und sie sah sich auf einmal derart mit den häuslichen Angelegenheiten konfrontiert, daß der Junge verständlicherweise im Hintergrund verschwand und heute glücklich verheiratet war und drei Kinder hatte.

Es war ja nicht etwa so, daß ich eine schlechte Figur hätte, dachte Dierdre und setzte ihre Brille ab, damit das Spiegelbild beruhigend verschwamm. Sie war recht groß und dünn. Gut' ihr Hinterteil hing etwas, aber sie hatte dafür schöne Augen. Wenn sie nur nicht diese dicken Brillengläser tragen müßte. Joyce hatte ihr schon einmal vorgeschlagen, Kontaktlinsen zu tragen, aber das schied allein aus Kostengründen aus, und Dierdre befürchtete außerdem, daß das mit ihrer Gläserstärke ohnehin nicht hingehauen hätte. Schon mit drei Jahren war ihr die erste Brille verpaßt worden. In der Schule hatte ihr eine katholische Freundin, die wußte, wie sehr sie diese elenden Dinger verabscheute, angeboten, Lucia, die Heilige der Kurzsichtigkeit, um Beistand zu bitten. Aber obwohl sie Dierdre ein paar Tage später versicherte, es auch tatsächlich getan zu haben, war das Resultat gleich Null. Entweder war die Heilige an diesem Tag einfach nicht in Geberlaune, oder, was viel wahrscheinlicher war, sie hatte einen ketzerischen Bittsteller aufgespürt und entschlossen den Segensfluß verweigert. Dierdre stieß einen kurzen Seufzer aus, setzte die Brille wieder auf und rannte die Treppe hinunter, als sie den Kessel pfeifen hörte.

Sie nahm den Tee und ein Stück Kuchen mit nach oben und wartete, um ganz sicherzugehen, daß ihr Vater den Tee trank. Plötzlich fragte er: »Wie geht es denn mit Amadeus voran, Liebes?«

»Oh...« Dierdre sah ihn überrascht und erfreut an. Es war so lange her, seit er Interesse an der Theatergruppe gezeigt hatte. Sie hatte zwar mit ihm über die laufende Produktion geredet, dabei ihre untergeordnete Rolle überspielt und lediglich über ihre Ideen zu dem Stück gesprochen, aber seit Monaten war er schon nicht mehr ansprechbar gewesen.

»Nun, wir hatten gestern eine ziemlich schlechte Kostümprobe. Tatsächlich war sie so übel, daß es schon wieder lustig war...« Sie erzählte ihm einige der Höhepunkte, und als sie zu dem zusammenbrechenden Tisch kam, lachte ihr Vater so sehr, daß er fast den Tee verschüttet hätte. Dann sagte er: »Weißt du, ich denke, ich könnte zur Premiere kommen. Das heißt«, fügte er einschränkend hinzu, »wenn es nicht wieder einer meiner abwesenden Tage ist.«

Dierdre nahm die Tasse und wandte sich ab. Sie spürte den brennenden Druck der Tränen und gleichzeitig einen Schimmer von Hoffnung. Es war das erste Mal, daß er direkt auf seine Krankheit zu sprechen kam. Und in was für einer mutigen und lockeren Form er das tat. »Einer meiner abwesenden Tage.« Welche ruhige, rationale, intelligente und gesunde Art, die Sache zu beschreiben. Wenn er über seinen anderen Zustand mit diesem inneren Abstand sprechen konnte, dann mußte es besser werden. Ins Theater zu gehen, mit anderen Leuten zusammenzutreffen und vor allem, diese einmalige Musik zu hören, würde ihm sicher nur guttun. Sie drehte sich zu ihm um und lächelte glücklich.

»Ja, Daddy«, erklärte sie, »ich finde, das ist eine wunderbare Idee.«

In der Blackbird-Buchhandlung war, kurz gesagt, kein einziger Kunde. Avery saß an seinem schönen escritoire neben der Tür. Der Laden umfaßte zwei Ebenen, die durch eine steinerne Wendeltreppe miteinander verbunden wurden, deren Stufen schon reichlich abgewetzt waren. Über der Treppe hing ein konvexer Spiegel, der die verborgenen Winkel zeigte, damit Avery einen umfassenden Überblick hatte. Dennoch schafften es, vor allem in dem Rummel vor Weihnachten, immer wieder Leute, Bücher aus den Regalen zu klauen. Avery stand auf und beschloß, einige der Ausgaben wegzustellen, die jene Kunden, die sich nur mal hatten Umsehen wollen, unordentlich auf den beiden runden Tischen liegengelassen hatten. Der Warenbestand des Blackbird war nach allgemeinen Stichworten geordnet, und gelegentlich stellten die Kunden die Bücher selbst wieder zurück, oft mit treffenden Ergebnissen. Mit einem lauten »Na, na« zog er Tod in Hollywood aus dem Romantikregal und Zimmer mit Aussicht aus dem Regal für Innendekorationen.