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Colin beendete seine Arbeit, vier neue Blöcke in den Tisch zu hämmern, und sagte: »Das wird halten. Die können darauf mit Nagelschuhen tanzen, und es wird trotzdem halten.«

»Was glaubst du, wer die alten Blöcke entfernt hat?« fragte Tom, dem Joyce die Szene beschrieben hatte.

»Oh... irgendein verrückter Kerl. Ich bin froh, wenn das Stück von der Bühne ist. Auf jeder Probe ging irgend etwas schief. Dann heißt es: Colin, tu dies... Colin, tu jenes...«

Barnaby suchte einen besonders feinen Pinsel für einen der Schnörkel aus und legte vorsichtig die Farbe auf. Colins automatisches Gemurre plätscherte friedlich um seine Ohren. Die beiden Männer hatten schon so oft zusammen gearbeitet, daß sie in einem Stadium waren, in dem sie das Gefühl hatten, alles, was gesagt werden mußte, sei längst gesagt worden. Abgesehen von ein paar alltäglichen Bemerkungen war ihnen das Schweigen genauso bequem wie ein Paar alte Schuhe.

Barnaby wußte alles über seinen Kollegen. Er wußte, daß Colin seinen Sohn, der seit dem achten Lebensjahr ohne Mutter aufwuchs, allein großgezogen hatte. Und daß er ein talentierter Bildhauer war, der entzückende hochbeinige Tiere voller lebendigen Charmes schaffen konnte (Barnaby hatte von ihm eine bezaubernde Gazelle für den sechzehnten Geburtstag seiner Tochter gekauft). Und daß Colin David mit einer beschützenden Hingabe liebte, die um nichts geringer wurde, als aus dem Jungen ein junger Mann geworden war, der auf sich selbst aufpassen konnte. Nur ein einziges Mal hatte Barnaby erlebt, daß Colin die Beherrschung verlor, und das war wegen David gewesen. Er dachte, wie gut es doch war, daß Colin sich während der Proben so selten in den Kulissen aufhielt und daher viel von dem Spott verpaßte, der gegen David versprüht wurde. Da er wußte, wie ungern der jüngere Smy spielte, vermutete Barnaby jetzt: »Ich denke, David wird froh sein, wenn der nächste Samstag vorbei ist.«

Colin antwortete nicht. Da Barnaby glaubte, er hätte seine Bemerkung vielleicht nicht gehört, fügte er hinzu: »Wenigstens braucht er dieses Mal keinen Text aufzusagen.« Schweigen. Barnaby betrachtete seinen Kollegen von der Seite her. Sein Blick fiel auf Colins stämmige Statur und auf sein volles Haar, das schwarz gewesen war, als sie einander zum ersten Mal begegneten, nun aber schon so silbern wie sein eigenes aussah. Colins üblicher Gesichtsausdruck, der eher Zurückhaltung signalisierte, geriet einen Moment lang aus den Fugen und ließ etwas Ungewohntes durchschimmern. Barnaby fragte: »Was ist los?«

»Ich mache mir Sorgen um ihn.« Colin sah Barnaby scharf an. »Das bleibt aber unter uns, Tom.«

»Natürlich.«

»Er hat ein Verhältnis mit einer Frau. Und die ist verheiratet. Er ist seit einiger Zeit nicht mehr er selbst. Etwas zu... ruhig... weißt du?« Barnaby nickte und dachte, da David ohnehin so still war, konnte wohl nur sein Vater bemerken, daß sich sein Schweigen noch vertieft hatte. »Ich dachte, das wäre es jetzt endlich«, fuhr Colin fort. »Zuerst habe ich mich wirklich gefreut, ihn in einer festeren Beziehung zu sehen. Also, daß er sich wirklich mal auf etwas Ernsteres eingelassen hat, schließlich ist er auch schon siebenundzwanzig. Also habe ich ihm vorgeschlagen, sie mit nach Hause zu bringen, damit ich sie mal kennenlerne. Doch er hat daraufhin nur gesagt, sie sei nicht frei. Er will offensichtlich nicht darüber reden.«

»Nun... ich nehme an, da gibt es auch nicht viel zu erzählen.«

»Jedenfalls nicht das, was man sich für ihn erhofft hat, nicht wahr, Tom?«

»Oh«, tröstete Barnaby. »Ich würde mir nicht zu viele Sorgen machen. Die Dinge werden sich schon regeln.« Er lächelte. »Weißt du, heute ist das nicht immer gleich was fürs Leben.«

»Ich habe mir ausgemalt, wie er mit einem netten Mädchen ausgeht, mit einer von hier. Ein wenig jünger als er... vielleicht schmusen sie auf dem Sofa im Wohnzimmer, wie Glenda und ich... und Enkelkinder. Welcher Mann in unserem Alter hat noch nicht an Enkelkinder gedacht?« Colin seufzte. »Sie werden nie so, wie man sich das denkt, oder, Tom?«

Barnaby stellte sich sein kleines Mädchen vor, das jetzt neunzehn war. Groß, klug, boshaft, geschickt, umwerfend attraktiv und mit einem Herzen aus Platin. Er konnte nicht anders, aber er war stolz auf das, was sie erreichte, doch genauso verstand er, was Colin meinte.

»Nein, das werden sie wohl nicht«, pflichtete er Colin bei. »Bestimmt ist alles absolut nicht so, wie man es sich ausgemalt hat.«

Ernest Crawley tranchierte den Braten. Er arbeitete wie ein Chirurg, ohne Emotionen, aber mit großer Präzision und äußerst stilvoll, hantierte mit dem langen blitzenden Messer wie mit einem Krummsäbel und legte die Fleischscheiben sorgsam auf die vorgewärmte Platte.

Rosa briet derweil die Kartoffeln. Sie trug ein locker fließendes Gewand, dessen Ärmel jetzt gefährlich nah über dem stinkenden, spuckenden Fett flatterten.

»Wie kommen diese Typen eigentlich mit ihrer Rolle voran, Liebling?«

»Welche Typen?«

»Die, deren Name wie ein italienisches Gericht klingt.«

»Oh, die Venticellis. Schrecklich, in mehr als nur einer Hinsicht.«

Als Rosa ihm ein oder zwei der lustigsten Zwischenfälle von der Kostümprobe erzählt hatte, hatte sie Ernests Unwissenheit und seine fast ergreifende Neugier unwillkürlich mit Esslyns grandioser Selbstversunkenheit verglichen, die immer da war, aber unglaubliche Höhen erreichte, je näher sie der Premiere kamen. Das Haus barst fast vor Primadonnengehabe. Tatsächlich war auch ihr ganzes Eheleben mit genausoviel Lärm und Fanfaren durchsetzt gewesen wie ein Karnevalszug. Ein Fanfarentusch zur Premiere, zur letzten Vorstellung, zu den Proben, den Feiern und dann das endlose Drama zwischen ihnen beiden auf der Bühne sowie im Privatleben.

Als sie überrascht feststellte, daß sie unvorsichtigerweise in bittere Erinnerungen abgedriftet war, zwang sich Rosa zu einer realistischen Sicht ihres Ehelebens. Esslyn, der gesegnete Mann, hatte den größten Teil seiner Arbeitswoche in einer anderen Welt verbracht. Er war ins Büro gegangen, hatte Klienten zum Essen ausgeführt, und mit seinen Kollegen (keinen Freunden), die nichts mit dem Theater zu tun hatten, war er trinken gegangen. Rosa dagegen hatte die wenigen Freundinnen, die sie gehabt hatte, durch Nachlässigkeit und fehlendes Interesse verloren. Und da sie durch die vielen Vorstellungen mit dem Latimer verwoben war, schien ihre Rolle als Mrs. Carmichael immer trügerischer zu werden, bis es schließlich zum Bruch gekommen war.

In ihrer Ehe war ihr schon relativ früh klar geworden, daß Esslyn sich auch mit anderen Frauen einließ. Er hatte immer behauptet, vom Hauptdarsteller einer Theatergruppe erwarte man ein derartiges Verhalten, und er käme ja schließlich stets wieder nach Hause zurück. Rosa wurde dann wütend und warf ihm an den Kopf, wenn alles, was sie sich wünschte, bloß darin bestünde, daß jemand ungeschoren nach Hause käme, dann hätte sie ihre Zukunft auch mit einer Brieftaube verbringen können. Wie dem auch sei, als die Jahre dahingingen und er immer wieder nach Hause zurückkam, hatte sie sich nicht nur mit seinen Seitensprüngen abgefunden, sondern war auch auf eine seltsame Art irgendwie stolz auf ihre dauerhafte Anziehungskraft. Ähnlich einer Mutter, deren Kind ständig irgendwelche Preise nach Hause mitbringt. Es gab auch noch eine andere gute Seite an der ganzen Untreue, nämlich die, daß er weniger sexuelle Energie für seine Frau übrig hatte. Wie viele Menschen, die in einer Wolke hochfliegender Romantik leben, hielt Rosa nicht sehr viel von anstrengenden Aktivitäten im Schlafzimmer. (Hier, wie in so vielen anderen Dingen, war Ernest ebenfalls ideal, da er sich gern damit zufriedengab, samstags nach dem Mittagessen sanft, fast entschuldigend, in der Missionarsstellung auf ihr herumzuhüpfen.) Daher kam es für Rosa völlig überraschend, als Esslyn bekanntgab, daß er die Scheidung wollte. Er hatte gesagt, er hätte sich in ein siebzehnjähriges Mädchen verliebt, die in Mutter Gans die Prinzessin Carissima spielte, und obwohl das Mädchen ein paar Wochen später einen Freund in ihrem Alter gefunden, ihr Abitur gemacht hatte und vernünftig zur Universität gegangen war, trieb Esslyn die Scheidung voran, weil er den süßen Wein der Freiheit gekostet hatte.