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Rosas Reaktion auf seine Abtrünnigkeit beängstigte und verwunderte sie gleichermaßen. Da sie so sehr daran gewöhnt war, in einer Situation ständiger Verstellung zu leben, bemerkte sie nur mühsam, daß sich ein großer Teil des echten Schmerzes hinter ihrem Schreien, dem Verrücktspielen und den großen Wogen dramatischer Szenen verbarg. Dann, als sie ausgezahlt worden war und White Wings verlassen hatte, verbrachte sie lange schreckliche Wochen in ihrer neuen Wohnung, in denen sie ihre Gefühle aufarbeitete und versuchte, das falsche Bedauern vom echten zu unterscheiden und den verwickelten Fäden ihrer Qualen auf den Grund zu kommen. Während dieser Zeit schlich sie umher, die Arme vor der Brust gekreuzt, als würde sie sich buchstäblich selbst Zusammenhalten, als wäre ihr ganzer Körper eine offene Wunde. Nach und nach kam sie ihren wahren Gefühlen näher, war in der Lage, sie zu untersuchen, zu prüfen und ihnen Namen zu geben. Das öde verzweifelte Bedauern, das hartnäckig ihren Geist erfaßt hatte, führte sie auf eine Art Trauer zurück um das Kind, das ihr nicht vergönnt gewesen war. (Sie hatte bis dahin nicht einmal realisiert, daß sie eines hätte haben wollen.) Diese Trauer schleppte sie ständig mit sich herum, wie einen kleinen Stein in ihrer Brust.

In dieser Phase hatte sie sich selbst, gestützt durch ihren natürlichen Stolz und einen enormen Einsatz an Selbstkontrolle, gezwungen, im Latimer weiterzumachen. Das zweite Gefühl, dem sie einen Namen geben konnte, war Esslyns Bekanntgabe von Kittys Schwangerschaft. Obwohl Rosa starr in eine andere Richtung blickte, hörte sie am Unterton seiner Stimme, daß er dabei breit grinste. Der Haß war danach so wild und mit solcher Kraft in ihr hochgestiegen, daß sie das Gefühl hatte, wenn sie jetzt den Mund öffnen würde, würde sie losbrüllen. Sie war zutiefst erschrocken darüber und hatte befürchtet, daß diese Bosheit die Herrschaft über sie gewinnen würde. In dieser Gefühlslage hätte sie einfach in die finstere Nacht hinauslaufen und beide übel zurichten können. Das glaubte sie jetzt nicht mehr. Aber die sengende Glut schwelte immer noch in ihr, und manchmal öffnete sie die Ofentür, stocherte darin herum und fachte sie ein wenig an, und dann verbrannte die Hitze ihre Wangen.

»Geht es dir gut, Liebling?«

»Oh«, Rosa wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Kartoffeln zu. »Ja, Liebling... mit mir ist alles in Ordnung...«

»Laß sie nicht anbrennen.«

»Nein, ich passe schon auf.«

Die Kartoffeln rochen hervorragend; sie waren tiefbraun mit einer kleinen Kruste in Butter gebraten. In erster Linie, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden, ließ Rosa sie noch eine Minute länger in der Pfanne, als es nötig gewesen wäre, dann gab sie sie in eine feuerfeste Schüssel und streute etwas gehackte Petersilie darüber. Sie setzten sich. Ernest nahm sich von dem Gemüse, und dann reichte er es Rosa.

»Nur drei Kartoffeln?«

»Na ja... weißt du...« Sie klopfte auf die Wülste ihres Bäuchleins, das sich unter ihrem weiten Kleid verbarg.

»So ein Unsinn«, rief Ernest. »Wenn Allah gewollt hätte, daß die Frauen dünn sind, dann hätte er nie die Dschellaba erfunden.«

Rosa mußte lachen. Ernest schaffte es immer wieder, sie mit seinem Witz zu überraschen. Sie nahm sich also noch ein paar Kartoffeln, während sich Ernest zu seiner weisen Entscheidung gratulierte - und das nicht zum ersten Mal -, den Reader’s Digest abonniert zu haben.

Esslyn hockte mit der Times und einer quadratischen Scheibe Toast mit Oxford-Marmelade am Frühstückstisch und sagte gönnerhaft zu seiner Frau: »Du wirst es schon richtig machen. Denn schließlich bist du ja nicht gerade mit Text überfrachtet. Jedenfalls ist es kaum mehr als bei Poppy Dickie.«

»Mir ist aber schlecht.«

»Natürlich ist dir schlecht, mein Engel. Du bist schwanger.«

Esslyn faltete den Wirtschaftsteil zusammen, ehe er wieder auf das Thema zu sprechen kam. »Wie würdest du denn damit fertig werden, wenn du den Salieri in Angriff nehmen müßtest? Ich jedenfalls verliere niemals den Faden.«

»Aber du liebst ja auch das Schauspielen.«

»Das ist nicht der Punkt.« Esslyn gab den Versuch auf, sich mit dem Vermögen von Rio Tinto Zinc zu befassen. Er sah seine Frau streng an. »Abgesehen von der Befriedigung zu wissen, daß man sehr vielen Leuten eine Menge Freude bereitet hat, ist es auch jedermanns Verpflichtung, sein Talent, wenn man denn welches besitzt, voll einzusetzen. Ich hasse Vergeudung.«

Kitty folgte seinem Blick, nahm ihre Toastscheibe, die nun ein bißchen kalt und hart war, und kaute widerwillig darauf herum. »Bei deinem Publikum handelt es sich wohl kaum um sehr viele Leute.«

»Ich habe das doch auch bildlich gemeint.«

»Hä?«

»Versuch doch mal, nicht so hohl aus der Wäsche zu gucken, Kätzchen.« Esslyn schob seinen Stuhl zurück. »Was hast du eigentlich mit meiner Aktentasche gemacht?«

»Ich habe sie mit Pilzen und Speck zubereitet, ehe du runtergekommen bist.«

»Aha.« Esslyn schritt zu der alten Tannenholzanrichte, in der hübsche blaue und weiße Krüge und Teller standen, nahm seine Mappe und legte die Times hinein. Dann kehrte er an den Tisch zurück und berührte ihre Wange mit seinen kalten Lippen.

»Ich bin bald wieder zurück.«

»Wohin gehst du?«

»Arbeiten. Ich muß etwas...« Er leckte einen Finger an und drückte ihn auf einen Krümel, der von seinem Teller auf den Tisch gefallen war.

»... Ich muß mich dort blicken lassen.«

»Aber samstags gehst du doch nie hin!« rief Kitty aus, und verzog schmollend ihre hübschen Lippen.

»Jammere nicht, mein Schatz. Das steht dir nicht.« Esslyn ließ den Krümel in den Brotkorb fallen. »Ich bleibe nicht lange. Komm und hilf mir mit meinem Mantel.«

Nachdem sie Esslyns seidenen Paisleyschal vielleicht eine Idee zu fest um seinen Hals geschlungen und seinen Mantel falsch zugeknöpft hatte, bestand Kitty darauf, die Lippen ihres Ehemannes mit vielen kleinen Küssen zu bedecken. Dann stolzierte sie zum Küchenfenster zurück und beobachtete, wie er den BMW aus der Doppelgarage zurücksetzte und losfuhr. Sie öffnete das Fenster, schreckte etwas vor der kalten Luft zurück und winkte. Kitty lauschte, weil sie das maschinengewehrartige Geräusch der Reifen auf dem Kiesweg liebte. Es hatte etwas Bestimmtes an sich. Sie würde allerdings nie verstehen, weshalb es ihr eine so große innere Befriedigung verschaffte. Vielleicht war es nur einfach die Assoziation zum Luxus - all diese reichen Pappkartonfigu-ren aus amerikanischen Serien knirschten mit ihren gestreckten Limousinen um die Säulenvorbauten vor ihren Häusern. Oder vielleicht erinnerte sie das Geräusch auch an die fröhlichen Kindertage in Dorset, mit den kalten Wellen, die den Kies hin und her purzeln ließen. Oder vielleicht auch nur deshalb, weil das knirschende Kiesbett signalisierte, daß ihr Ehemann endlich das Haus verlassen hatte.

Kitty winkte ihm noch einmal nach, weil sie glaubte, das würde Glück bringen, und dann ging sie nach oben in ihr Schlafzimmer, den Schauplatz beiderseitigen Vergnügens, wo Salieris blau und silbern gestreifter Anzug, das Spitzenhemd und die cremefarbene Hose über einer Stuhllehne hingen. Während alle anderen ihr Kostüm nur zu gern in der Garderobe ließen (die darüber hinaus auch noch sicher verschlossen war), hatte Esslyn stets darauf bestanden, seines nach White Wings mitzunehmen, weil er meinte, daß er nach so einer Kostümprobe dem Bühnenpersonal durchaus zutraute, nach einer ausgeleierten Herrenunterhose zu suchen.