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Er hatte das Kostüm anprobiert, ehe er sich heute morgen angezogen hatte, hatte den Stoff vor dem Spiegel glattgezogen und laut darüber nachgedacht, wie er aus seinem Rollstuhl aufstehen, den alten Morgenmantel abwerfen und dem Publikum damit den Atem rauben würde. Kitty hatte nur mit einem Ohr zugehört. Er war noch ein wenig länger herumstolziert und hatte dann etwas in verballhorntem Französisch gesagt, ehe er sich in seinen Geschäftsanzug warf und ordentlich den Tag in Angriff nahm. Nun drückte Kitty den Bühnenanzug zu einer kleinen Kugel zusammen, warf sie hoch und kickte sie möglichst weit durch die Luft, ehe sie ins Badezimmer ging.

Sie drehte an den Hälsen zweier goldener Schwäne und gab etwas Floris-Stephanotis-Badeöl in das einlaufende Wasser. Dann schüttete sie eine großzügige Menge von dem süßriechenden Zeug in ihre hohle Hand. Sie massierte ihre Oberschenkel, die Hüften, dann den Bauch und zum Schluß ihre Brüste. Sie schloß die Augen und genoß das Vergnügen. Die dunklen Spiegelkacheln warfen vier weitere bronzene Kittys zurück, die ebenfalls genossen, was sie tat. Dann, gänzlich eingesalbt, drehte sie die Hähne zu und ließ sich in die runde Badewanne gleiten.

Um den Rand der Wanne war elfenbeinfarbener Velours verlegt. Dort standen Cremetöpfe, Flakons und verschiedene Fläschchen Nagellack. Dort lag auch ihre Ausgabe von Amadeus, und außerdem befand sich hier ein Telefon, das mit künstlichem Hermelin bezogen war. Sie nahm den Hörer ab, wählte, und eine männliche Stimme meldete sich: »Hallo.«

»Selber hallo, mein Schnuckel. Rate mal. Er ist zur Arbeit gefahren.« Die Stimme am anderen Ende der Leitung gab ein tiefes, heiseres Lachen von sich, und Kitty fuhr fort: »Ich konnte es dir nicht vorher sagen, weil ich es ja selbst nicht ahnte, bis er halbwegs durch die gekochten Eier und den Toast war. Ich dachte, du würdest dich freuen... Ohh... du kannst nicht?« Sie schmollte auf ihre niedliche Art. »Nun ja. Habe ich nicht. Tatsächlich habe ich im Moment absolut nichts an... hör mal...« Sie planschte im Wasser herum. Ein Kichern ertönte aus der Leitung, und Kitty lachte auch. Es war derselbe rauhe, harte Klang, den Nicholas aus der Beleuchterkabine gehört hatte. »Dann werde ich mich wohl in den Whirlpool setzen müssen, Liebling. Oder auf dem Heimtrainer radeln.« Noch ein Schnaufen. »Aber das wird nicht dasselbe sein. Ich sehe dich dann am Montag.«

Kitty legte auf, und dabei schlang sich die Schnur um das Skript, und es fiel ins Wasser. Kitty seufzte, und ihre lieblichen korallenroten Lippen schoben sich auf eine entzückende Art nach vorn, wobei die beiden Spitzen der Unterlippe sich lasziv über die Oberlippe schoben. Manchmal, dachte sie, geht das Leben einfach viel zu weit. Paul Scofield, der seinen schäbigen Schal umwarf, blickte von unten durch das blaue Wasser zu ihr auf wie eine erstaunliche neue Spezies von Meeresbewohnern. Sie packte ihn mit den Zehen, lehnte sich zurück, schloß ihre Augen, legte den Kopf auf ein mit Kräutern gefülltes Kissen und dachte an die Liebe.

Harold hatte einen Pressetermin. Echte Presse, nicht bloß dieses gewöhnliche, schmerbäuchige, bierselige Pack vom Causton Echo, das Harold während der Spielzeit von Der Kirschgarten interviewt hatte, um dann das Stück als episches Bauerndrama von Tschechow zu beschreiben. Wenn man fair sein wollte, mußte man allerdings hinzufügen, daß Harold das Schauspiel aber auch immer bloß Garten genannt hatte, weil er glaubte, das ließe ihn mehr au fait mit der Theatersprache erscheinen. Er hatte von Krähen (Der Krähenhorst), Einmal (im Leben), Die Nacht (muß kommen) und Mutter (Gans) gesprochen. »Diese Mutter, das wird ein ganz großes Spektakel«, hatte er den lokalen Schreiberlingen prophezeit, die, vielleicht glücklicherweise, den fehlenden Teil des Namens hinzugefügt hatten, ehe sie diesen Satz veröffentlichten.

Aber heute... ahhh... heute würde Harold Ramona Plume vom Feuilleton des South-East Bucks Observer treffen. Natürlich hatte er sie immer von seiner Arbeit wissen lassen, aber bisher waren die Antworten stets verhalten gewesen, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Erst zwei Briefe, gefolgt von mehreren Telefonaten, in denen Harold die überwältigende schöpferische Natur der gegenwärtigen Produktion rühmte, hatten schließlich zu einer Antwort geführt. Da er damit rechnete, daß bei dem Termin ein Fotograf mit anwesend sein würde, hatte sich Harold angemessen in einen langen grauen Mantel mit einem Astrachanschal gehüllt. Er trug dazu schimmernde schwarze Stiefel und einen Hut aus Persianerlamm. Es war bitterkalt, und auf dem Bürgersteig hüpften Hagelkörner wie durchsichtige Murmeln herum. Eine Taube, deren Federn wie gefroren aussahen, glotzte ihn verdrießlich vom Eingang des Latimer aus an.

Sie waren zu spät dran. Harold blickte demonstrativ auf seine Uhr, schüttelte sie, hielt sie an seine Ohrmuschel, lauschte und begann dann, unruhig hin und her zu laufen, wobei er wie eine Kreuzung aus Diaghilev und Pu der Bär aussah. Die Taube verließ, vermutlich weil sie glaubte, ein paar Übungen würden ihre Federn aufwärmen, den Platz über dem Eingang und gesellte sich zu ihm. Harold war sehr darauf bedacht, daß die Leute Notiz von ihm nahmen, und daher beglückte er gelegentlich einen Passanten mit einem großzügigen Nicken. Die meisten wußten, um wen es sich hier handelte - war er doch schließlich seit vielen Jahren der Regisseur des einzigen Theaters in der Stadt -, aber auch die anderen erkannten, wie aus ihren Blicken und geflüsterten Bemerkungen eindeutig hervorging, seine besondere Klasse. Harold umgab nämlich permanent eine Aura des Ruhms. Er transpirierte förmlich den anstrengenden kreativen Kampf bei den Proben, das Prestige der Premiere und den Glamour der glitzernden Feiern nach den Vorstellungen.

Manchmal quälte sich Harold, um die herausragende Bedeutung seiner Position noch zu unterstreichen, mit horrenden Tagträumen. Auch jetzt ließ er sich wieder in einen abgleiten, bloß, um sich die Zeit etwas zu vertreiben. Diesmal phantasierte Harold, daß er - ähnlich wie einst Marie Antoinette als Milchmädchen am Trianon - als ein Niemand in Causton leben würde. Einfach einer unter vielen abgestumpften Kerlen in den mittleren Jahren. Er sah sich mit anderen Langweilern bei den Rotariern laut über die lokalen Finanzangelegenheiten diskutieren oder, noch schlimmer, im Gemeinderat sitzen, wo ganze Abende mit Debatten über den Zustand der Abwasserkanäle verschwendet wurden. Tätigkeiten, die eine künstliche Wichtigkeit bekamen, während sie eigentlich nur dazu dienten, den Abgrund der Langeweile auszufüllen. Sonntags würde er das Auto (einen Fiesta) waschen und abends wäre da das Fernsehen, und er hätte die voraussichtlich interessanten Programme schon vorher eingekreist. Danach würde er dann einen dieser Zuschauerbriefe an die Radio Times schreiben, in dem er auf einige falsche Betonungen oder Irrtümer in den historischen Kostümen und Drehorten hinwies, und daraufhin würde er vorübergehenden Ruhm in der Gemeinde ernten, falls seine Briefe tatsächlich abgedruckt werden sollten.

Das war für gewöhnlich der Punkt, an dem Harold das Panorama anhielt, weil ihm der kalte Angstschweiß auf der Stirn stand, von dem Karren absprang und ihn wieder in die Realität lenkte. Nun erhielt er dabei durch den Anblick eines schäbigen Citroën 2CV Hilfe, der auf einer doppelten durchgezogenen gelben Linie an der Ecke der Carradine Street parken wollte. Er sammelte sich und rannte los.

»Da können Sie nicht halten.«

»Mr. Winstanley?«

»Oh.« Harold rückte seinen Hut und seinen Gesichtsausdruck zurecht. Er fragte ungläubig: »Sind Sie vom Observer}«. Sie sah zu jung aus, um Zeitungen auszutragen, ganz zu schweigen davon, daß ihr jemand eine Kolumne im Feuilleton anvertraut hätte.

»Richtig.« Ramona Plume deutete auf die Windschutzscheibe, als sie ausstieg. Da war ein großes Schild angebracht, auf dem PRESSE stand. »Das geht für die paar Minuten doch sicher in Ordnung, oder?«