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»Woher soll ich das denn wissen?«

»Ich glaube auch nicht, daß das wichtig ist.«

»Es ist sogar sehr wichtig«, rief van Swieten.

»Wenn das so ist, dann drehen wir uns dreimal in jede Richtung.«

»Aber...« Boris hatte bereits vor Wut fast sein ganzes Karmesinrot von den Lippen gekaut. »... aber hebt sich das dann nicht gegenseitig auf?«

Also drehte sich Nicholas mit dem und Boris entgegen dem Uhrzeigersinn, obwohl sich später herausstellte, daß sie sich diese ganze Mühe getrost hätten sparen können.

Colin war mit dem Aufstellen des Klaviers fertig und verschwand hinter seinem wunderbaren Kamin, um die Streben und Gewichte zu überprüfen, mit denen er sicher an seiner Position befestigt war. Als er auf dem Boden herumkroch, hörte er Schritte, und als er durch den breiten Spalt im Kaminsims lugte, erblickte er Dierdre, die zwischen den gegenüberliegenden Kulissen hindurchrannte. Eine zweite Person folgte ihr und verschwand in der Toilette, kam aber gleich darauf wieder heraus. Colin wollte gerade aufstehen und etwas über die Bühne rufen, als ihm etwas Heimlichtuerisches an der Gestalt auffiel. Sie stand sehr ruhig da und sah sich in den verlassenen Kulissen um, bewegte sich dann in einen dunklen Bereich hinter dem Tisch mit den Requisiten und bückte sich. Eine Minute später richtete sie sich wieder auf, sah sich noch einmal um und eilte dann zurück in die Toilette. Colin überquerte die Bühne und näherte sich dem Tisch, aber ihm blieb gerade noch genug Zeit, einen kurzen Blick darunter zu werfen (da sah alles in Ordnung aus), als Dierdre mit ihrer kichernden Herde von Assistenten schon aus dem Vereinsraum kam. »Oh, Colin, würdest du bitte eine Pause von fünf Minuten anordnen? Das Taxi meines Vaters wird gleich hier sein, und ich muß ihn zu seinem Sitzplatz bringen.«

Das Foyer war gerammelt voll. Tom Barnaby, der ein Opernglas in der einen und das Programmheft in der anderen Hand hielt, bahnte sich in Begleitung einer großgewachsenen jungen Dame von dunkler Schönheit seinen Weg zu den Winstanleys. Aus den Lautsprechern erklang Streichermusik.

»Diese Musik ist ja einfach gräßlich. So was von affektiert.«

»Das ist Salieri.«

»Ahhh...«, sagte Cully und fügte hinzu: »Kannst du die göttliche Inspiration wahrnehmen?«

»Benimm dich, Mädchen. Oder ich bringe dich nach Hause.«

»Dad«, entgegnete Cully und lachte herzlich. »Du bist zum Schießen. Sieh mal, da ist er.«

Harold trug Abendkleidung. Ein großes gelbes Seidentaschentuch schaute aus einer Jackettasche heraus. Er trug außerdem einen kastanienbraunen Kummerbund und ein Oberhemd, das derart gestärkt war, daß man mit den Rüschen Tomaten hätte schneiden können. Huldvoll begrüßte er das Publikum. Harold liebte Premieren. Sie befriedigten sein Bedürfnis nach Anerkennung mehr als alles andere. Mrs. Harold, die eine zugeknöpfte schwarze Strickjacke mit unregelmäßig applizierten Perlen und einen karierten Rock unbestimmter Länge trug, trieb unauffällig im Kielwasser seines Ruhms, echote seine Grüße, verstand die Namen falsch und sehnte sich nach ihrem Blumensteckkurs.

»Hallo, Doris.«

»O Tom...« Da der Anblick eines bekannten Gesichts sie erleichterte, streckte Mrs. Winstanley ihre Hand aus und wurde rot, als ihr Gesprächspartner diese nicht schüttelte. »Harold hat mir gesagt, du hättest für das Bühnenbild wunderbare Arbeit geleistet.« Barnaby wußte, daß es Harold nie in den Sinn kommen würde, so etwas zu sagen, aber er lächelte und nickte. »Und wie ich höre«, fuhr Doris fort, »hat Joyce noch nie so gut gesungen wie in diesem Stück.« Statt wie beim ersten Mal, als sie einander begegnet waren, hinzuzufügen: Ihr müßt uns unbedingt demnächst einmal zum Essen besuchen, sagte sie nichts mehr. Harold hatte sie damals nämlich ganz schön angefahren, als sie später unter sich waren. Wenn er einen großen, plattfüßigen Philister von Polizisten seinen Flur entlanglaufen sehen wolle, hatte er geschimpft, wäre sie ganz sicher die erste, die er das wissen lassen würde.

Barnaby war sich dieser Einstellung bewußt, und insgeheim amüsierte er sich gewaltig darüber. Nun sprach er mit Doris über Gartenbau, weil er vor einiger Zeit entdeckt hatte, daß ihre Leidenschaft dafür genauso groß war wie seine. Tatsächlich waren alle Sträucher in dem Garten der Winstanleys Ableger von Arbury Crescent, und er hielt jedes Jahr etwas von der Saat für Doris zurück. Obwohl sie ihm in ihrer Loyalität immer wieder versicherte, diese Geschenke seien doch unnötig, nahm Barnaby an, daß Harolds stilvolle Lebensweise ihm nur wenig Geld für Dinge ließ, die er als überflüssig einstufte. Jetzt warf Harolds Frau Barnabys Begleiterin einen freundlichen, leicht verwirrten Blick zu, der gleichzeitig fragend war.

»Erinnern Sie sich noch an meine Tochter?«

»Cully.« Das letzte Mal, als Doris Barnabys Tochter gesehen hatte, war das Kind mit einem Irokesenschnitt in Grün und Silber herumgerannt und in schwarzes Leder gekleidet gewesen, an dem Ketten hingen. Nun trug sie ein giftgelbes Abendkleid ohne Träger mit einem bauschigen Rock, der über ihren Knien zugeschnürt war. Schlanke, seidenbestrumpfte Beine endeten in hochhackigen Wildlederschuhen mit aufgestickten Laschen. Um ihre Schultern lag ein altes Spitzentuch mit Straßverzierung, und ihr Haar, blauschwarz wie Weintrauben, war auf dem Kopf zu einem straffen Knoten aufgesteckt und wurde von einem Elfenbeinkamm dort festgehalten. »Ich habe dich gar nicht wiedererkannt, meine Liebe.«

»Hallo, Mrs. Winstanley.« Cully schüttelte ihr die Hand. »Hallo, Harold.« Sie fragte sich, wie jemand sich dazu durchringen konnte, diese alte Strickjacke auch nur ein einziges Mal zu tragen, ganz davon zu schweigen, wie jemand dazu kam, sie Jahr für Jahr immer wieder anzuziehen. Nachdem er seiner Tochter einen strengen, warnenden Blick zugeworfen hatte, der allerdings nicht bei ihr ankam, bahnte sich Barnaby seinen Weg zur Tür, wo gerade ein jugendlicher Mann in Begleitung eines nichtssagenden hübschen Mädchens das Foyer betrat.

»Sie haben es also geschafft, Gavin?«

»Ja, allerdings, Sir.« Detective Sergeant Troy zog die Manschetten seines sportlichen Jacketts nervös nach unten. »Das ist Maure, meine Frau.« Mrs. Troy bewegte einen Fuß. »Ooh, Entschuldigung. Maureen.«

»Erfreut, Sie kennenzulernen.« Maureen schüttelte ihm die Hand. Sie schien nicht wirklich erfreut zu sein. Barnaby nahm an, daß sie es genauso satt hatte wie Mrs. Winstanley, jedoch keine Notwendigkeit sah, diesen Umstand zu verbergen. Er hing jedesmal ein CADS-Poster in der Kantine auf, jedoch ohne auf seine Verbindung zu der Truppe hinzuweisen, aber sein Sergeant, der gehört hatte, wie er Joyces Proben erwähnte, hatte zwei und zwei zusammengezählt und sofort die Karten gekauft. Barnaby konnte sich das Gespräch im Haushalt der Troys lebhaft ausmalen. Gavin glaubte, daß es nicht so schlecht wäre, sich mit dem alten Mann gut zu stellen; Maureen sah nur, welche Langeweile da auf sie zukommen würde. Jetzt aber lächelte sie, ein verdrießliches, zurückhaltendes Lächeln, und erklärte, sie hätte liebend gern ein Lager mit einem Spritzer Zitrone. Verlegen schob ihr Ehemann sie näher zu den Stufen des Zuschauersaals. Als er das tat, hatte er plötzlich Cully im Blickfeld. Sie lief gerade durch die Schwingtüren, die über den Korridor hinter die Bühne führten. Ein paar Momente später setzte ihn Maureen mit einem brutalen Hieb ins Kreuz wieder in Bewegung.

»Wie schade, daß du Messer und Gabel nicht dabei hast«, giftete sie, als sie sich auf ihren Sitzen niederließen.

»Wie bitte?« Er starrte sie ausdruckslos an.

»Dann hättest du sie in der Pause aufessen können.«

Mr. Tibbs war spät dran, und Dierdres Aufregung steigerte sich von einer Minute zur nächsten. Sie bereute bereits, daß sie zugestimmt und ihn in seinem Wunsch, bei der Premiere dabeizusein, sogar noch unterstützt hatte. Das kam ihr jetzt wie der Gipfel an Dummheit vor. Wenn er einen Anfall hatte oder Angst bekam, war niemand da, der ihm helfen konnte. Sie wünschte, sie hätte daran gedacht, ihn neben Tom zu plazieren, aber der Sitz direkt am Gang in der hintersten Reihe war ihr dann doch geeigneter vorgekommen. Sie fürchtete, er würde sich vielleicht bedroht fühlen, wenn er von zahllosen Reihen voller fremder Menschen umgeben war. Sie schlug ein Programmheft auf und wurde sich schmerzlich des unbedeutenden Platzes bewußt, an dem ihr Name auftauchte, und wie dagegen Harolds Name nicht noch fetter hätte gedruckt werden können. Es sei denn, man hätte die Buchstaben blutrot gefärbt.