Der erste Akt wurde nicht besser. Die Kassette mit Salieris Willkommensmarsch in Mozarts Überarbeitung wurde zu früh abgespielt. Glücklicherweise verbarg der Deckel des Flügels, daß Nicholas keine Möglichkeit hatte, zum richtigen Zeitpunkt die Tasten zu erreichen. Wenigstens, so dachte er beim Hinsetzen, bin ich nicht über mein Schwert gestolpert.
In der Serailszene verfing sich Kitty, als sie über die Bühne rannte und ihrem Wolfgang zurief: »Gut gemacht, Pussy-Wussy«, mit einem Fuß in einem Teppich und klammerte sich an den Arm des Kaisers, um nicht hinzufallen. Franz Joseph lachte und steckte damit die anderen an. Nur Esslyn und Nicholas fielen nicht aus ihrer Rolle und blieben ernst.
An Barnabys rechter Seite tauchte Cully langsam nach unten ab; ihre Schultern zitterten leicht zwischen den schwarzen Spitzen, und sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Drei Sitze weiter vorn und nach links versetzt saß Doris Winstanley und musterte besorgt ihren Ehemann. Harold schien wie versteinert, seine Lippen waren zusammengekniffen. Dann erstrahlte plötzlich ein Licht, so gleißend, daß für Augenblicke Bühne und Saal darin versanken. Es wurde von der kosmischen Explosion des berühmten Klanges der C-moll-Messe begleitet, dann verblaßte alles wieder zu einem Vorsonnenaufgangsgrau. Esslyn beendete seinen letzten Monolog, stopfte sich den Mund mit Pralinen voll und ging ab.
Barnaby beobachtete, wie Harold den Gang hinauflief, wobei er gleich zwei Stufen auf einmal nahm, dann richtete er sich auf und wandte sich seiner Tochter zu. »Möchtest du etwas trinken?«
»O Daddy«, sagte sie und erhob sich langsam. »Ich hätte das für nichts auf der Welt verpassen wollen. Wie sieht meine Wimperntusche aus?«
»Verschmiert.«
»Kein Wunder. Wir haben letztes Jahr bei den Footlights eine pantomimische Parodie aufgeführt, aber das war ja gar nichts gegen heute abend.« Sie folgte ihm auf den Gang. »Das ist schon eine starke Leistung, wenn du ins Theater gehst, und das Beste auf der Bühne ist die Beleuchtung. Oh... oh...«
»Fang bloß nicht wieder an zu glucksen.«
»Nein, ganz bestimmt nicht...« Sie schnüffelte in ihr Taschentuch. »Ehrlich.«
Als sie auf die Höhe der letzten Reihe und des Ausgangs kamen, bemerkte Barnaby Mr. Tibbs. Er war nach vorn gebeugt und hielt die Lehne des Stuhls vor sich umklammert. Er sah schmuddelig und unwirklich aus, wie ein Heiliger bei seiner Weihung. Barnaby, der ihn schon seit etwa zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte, war schockiert über seinen physischen Verfall. Seine Haut glich einem weißen Papiertuch. Blaue Adern durchzogen seine Stirn. Barnaby grüßte ihn und erhielt als Antwort ein Lächeln von einmaliger Süße, obwohl er sich sicher war, daß der alte Mann nicht wußte, wer da mit ihm sprach. Drei junge Leute, die zwischen Mr. Tibbs und der Wand saßen, versuchten es immer wieder sehr höflich mit »Entschuldigen Sie, bitte«, aber er schien sie weder zu hören noch zu verstehen, und daher kletterten sie über die Sitzreihe vor ihnen und verließen auf diese Weise ihre Plätze.
Der Vereinsraum war gerammelt voll. Cully zog ein Taschentuch und einen Spiegel aus ihrer Handtasche, die mit schwarzen Gagaten besetzt war, spuckte in das Taschentuch und wischte die Rinnsale ihres Mascaras ab. Als Barnaby ihr Wein brachte, nickte sie in Richtung Lichtraum, gegen dessen Tür Harold immer eindringlicher klopfte. Dann legte er die Lippen an die Tür und zischte. Doch die Tür blieb geschlossen. Nachdem er das Lächeln eines erfolgsgewohnten Impresarios wieder auf sein Gesicht gezaubert hatte, trat Harold zurück und begab sich wieder in die Mitte des Raumes, wo Cully seinen Arm packte.
»Ein wunderbares Licht, Harold«, lobte sie. »Brillant. Richten Sie das Tim doch bitte aus.«
»...das... das ist nicht nötig...«, schrie Harold und stotterte dabei wie ein alter Zweitaktmotor. »Tim ist nichts weiter als ein Techniker. Nicht mehr und nicht weniger. Ich setze das Licht in meinen Produktionen.«
»Ach. Tatsächlich?« In Cullys Tonfall schwang trotz aller Höflichkeit eine Spur von Ungläubigkeit mit. Barnaby nahm ihren Arm und zog sie eilig fort.
»Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen.«
»Das hast du schon gesagt, als ich fünf war.«
»Und seitdem hast du dich nicht gebessert. Trink aus.« Barnaby schnalzte ärgerlich mit der Zunge, als Cully ihre entzückende Nase in das Glas tauchte und an der Flüssigkeit schnupperte. »Was ist denn daran nun wieder auszusetzen?«
»Nichts. Wenn du Karbol und zerdrückte Bananen magst.«
Sergeant Troy näherte sich mit seiner nachtragenden Frau, und Barnaby zwang sich zu einem Lächeln. »Gefällt es Ihnen, Gavin?«
»Nicht schlecht, finden Sie nicht auch, Sir?« Er sprach zwar mit Barnaby, aber seine Augen ruhten auf dessen Begleitung. »Ich meine, für Amateure.« Er starrte sie weiter an, bis sich der Chefinspektor gezwungen sah, die beiden einander vorzustellen.
»Ihre Tochter.« Barnaby gefiel es, daß Troy sich anscheinend vor den Kopf gestoßen fühlte. Jedesmal, wenn Cully nach Hause kam, war er von neuem erstaunt darüber, daß diese elegante, vergnügungssüchtige Person eine Frucht seiner Lenden sein sollte. »Es wundert mich, daß wir uns nicht schon früher kennengelernt haben, Cully.«
»Ich bin in Cambridge. Letztes Semester.«
Na klar, sagte sich Mrs. Troy und dachte sehr streng über die ungleiche Verteilung der Gaben zur Weihnachtszeit nach.
»Oh, das ist übrigens meine Frau Maure«, stellte Troy vor, und die beiden gaben einander die Hand.
»Maure und weiter?« fragte Cully.
»Troy«, antwortete Maureen mit einem kleinen Funkeln in ihren Augen.
Und erneut lenkte Barnaby seine Tochter am Ärger vorbei. Als sie sich abwandten, stießen sie beinahe mit Tim zusammen, der sich aus seiner Kammer stahl, schnell im Raum umsah und dann die Stufen hinabeilte. Inzwischen war Harold durch die Kulissen gestürmt, hatte dem Bühnenpersonal, das als einziges keinen falschen Schritt getan hatte, Blicke des Abscheus zugeworfen und stand nun in der Herrengarderobe. Er blies sich wie jemand auf, der mächtig Wind machen wollte.
»Niemals... niemals in all den Jahren meines Theaterlebens«, brüllte Harold, »habe ich eine derart groteske AnSammlung von wahnsinniger Inkompetenz gesehen! Von dem absoluten Mangel an Echtheit mal ganz zu schweigen. Ihr habt alle versagt. Außer Salieri.«
»Glaubst du?« entgegnete Nicholas ärgerlich. »Du vergißt mich.«
»Die Beleuchtung hat uns verwirrt«, entschuldigte sich Kaiser Joseph. Unglücklicherweise fügte er hinzu: »So toll sie auch war.«
»Du solltest dich langsam an mein Licht gewöhnt haben!« schrie Harold, rot vor Wut.
Nicholas, dem der Kiefer herunterklappte, starrte seinen Regisseur an. Er hatte sich gefragt, wie Harold wohl auf Tims Affront reagieren würde. Er hatte sich alles von eiskalter sofortiger Entlassung bis hin zum heftigen Wutanfall und ausschreitender Gewaltanwendung vorstellen können. Doch was er auch in hundert Jahren nicht vermutet hätte, war, daß Harold ganz ruhig die neue Beleuchtung akzeptierte und sie als seine eigene ausgab.
»Sag mal, willst du mit deinem aufgesperrten Kiefer etwa Fliegen fangen, Nicholas?« fuhr Harold ihn an. »Ich brauche jetzt wohl nichts mehr zu sagen. Ihr wißt alle, daß ihr mich im Stich gelassen habt. Ja, du auch, Mozart. Du brauchst mich gar nicht so anzuglotzen. Wo ist dein Schwert?«
»Oh.« Langsam dämmerte es Nicholas, wieso er am Flügel nicht darüber gefallen war. »Entschuldige.«
»Eine Entschuldigung langt nicht. Ich will im zweiten Akt von euch allen eine Verbesserung sehen, nein, nicht nur eine Verbesserung, ich will eine Verwandlung. Ihr könnt das. Ich habe doch gesehen, wie wunderbar ihr alle gearbeitet habt. Also geht raus und zeigt ihnen gefälligst, was ihr draufhabt.« Er wirbelte hinaus und einen Moment später hörten sie, wie er den Frauen eine Tür weiter eine Standpauke hielt.