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»Ich verstehe«, sagte er. »Dieses Dorf hat einen Beschützer. Nun - warum trittst du nicht vor und wirst deiner Rolle gerecht, mein Freund?«

Einen einzigen, aber quälend langen Atemzug lang war Robin der Panik nahe. Ganz ernsthaft erwog sie den Gedanken, einfach herumzufahren und davonzurennen, so schnell sie nur konnte, verwarf ihn aber auch fast augenblicklich wieder. Selbst wenn es ihr gelungen wäre, den Männern zu entkommen - was sie bezweifelte -, so würden die Dorfbewohner dafür bezahlen müssen. Und abgesehen von einem einzigen gönnte sie das keinem.

Vielleicht war es ja auch ihre eigene Schuld; wenigstens zum Teil. Schließlich hatte sie in den letzten Monaten keine Gelegenheit verstreichen lassen, allen hier zu demonstrieren, dass sie mit dem Schwert ebenso gut umzugehen verstand wie jeder Mann.

Entschlossen trat sie zwei Schritte vor, hob den Kopf und musterte den Anführer der Plünderer kühl. Es war ein hoch gewachsener, sehr schlanker junger Mann, bei dessen Anblick Robins Unbehagen noch weiter stieg. Er war nicht annähernd in so guter Verfassung, wie etwa Salim es war, doch allein seine Bewegungen machten Robin klar, wie gefährlich es wäre, ihn zu unterschätzen. Sein Gesicht wurde von schwarzen Bartstoppeln beherrscht, und als er sie herausfordernd angrinste, entdeckte sie hinter seinen Lippen nichts als bräunlich verfaulte Zahnstummel. Er stank nach Schweiß, säuerlichem Wein und Zwiebeln. In seinen Augen war keine Spur von Furcht zu erkennen, aber sehr wohl mehr als nur eine Spur von Vorsicht. Ohne Robin länger als einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen, suchte sein Blick gleichzeitig die Häuser in ihrem Rücken ab, als erwarte er dort das verräterische Blitzen blank gezogener Waffen.

Robin beschloss, alles auf eine Karte zu setzen - welche andere Wahl hatte sie auch schon? Rasch, aber ohne Hast ging sie auf den Räuber zu, trat so wuchtig vor den Speer, dass er umfiel und mehrere Schritte weit davonschlitterte, und zwang das verächtlichste Lächeln auf ihre Lippen, das sie zustande brachte. »Du hast Recht«, sagte sie. »Dieses Dorf hat einen Beschützer.«

Auf dem Gesicht ihres Gegenübers machte sich ein Ausdruck ehrlicher Verblüffung breit. »Du ... du bist ja noch ein halbes Kind«, murmelte er. Dann verdüsterte sich sein Blick. »Ich weiß nicht, was dieses Spiel soll, mein Junge. Aber ich habe heute meinen großmütigen Tag. Wenn du sofort verschwindest und dich hinter den Rockschürzen deiner Mutter versteckst, dann lasse ich dich am Leben. Wenigstens«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu, »genauso lange wie die anderen.«

Robin zuckte mit den Schultern, öffnete ihren Mantel, sodass man das Kettenhemd darunter erkennen konnte, und zog in der gleichen Bewegung ihr Schwert. Die Augen des Plünderers wurden ein winziges bisschen größer, aber Robin vermochte nicht einmal genau zu sagen, ob sein Erstaunen nun der Tatsache galt, dass sie bewaffnet und ganz offensichtlich auch willens war, sich ihm zu stellen, oder dem Anblick der Waffe selbst. So, wie sie allen Einwänden und Argumenten Salims zum Trotz ihr Templergewand behalten hatte, trug sie auch nicht den in diesem Teil der Welt allgemein verbreiteten Krummsäbel, sondern eine Waffe, die der nachempfunden war, wie sie in ihrer Heimat auf der anderen Seite des Meeres üblich war. Auch wenn die Klinge so schwer aussah wie das wuchtige Bastardschwert, das sie von Bruder Abbé erhalten hatte, so war es doch ungleich leichter und vor allem auch schärfer.

»Auch ich habe heute meinen großmütigen Tag«, antwortete sie. »Mir ist nicht nach Blutvergießen. Deshalb will ich euch Gelegenheit geben, euren unverschämten Auftritt zu entschuldigen und zum Zeichen eures guten Willens eines eurer Maultiere zurückzulassen - o ja, und alles Gold und Silber, das ihr bei euch tragt, versteht sich.«

Robin wünschte sich, sie hätte das weiß-rote Templergewand doch übergestreift, bevor sie das Haus verließ. Möglicherweise hätte allein der Anblick des gefürchteten Tatzenkreuzes der Tempelritter die Männer eingeschüchtert. Ihre herausfordernden Worte und die Waffe in ihrer rechten Hand allein würden es bestimmt nicht tun.

Ihr Gegenüber antwortete fast zu ihrer Überraschung nicht auf diese Provokation, sondern leckte sich unruhig die Lippen. Sein Blick huschte immer noch nervös über die Häuser rings um den Platz. Er argwöhnte ganz offensichtlich eine Falle. Robin hätte in diesem Moment ihre rechte Hand dafür gegeben, wäre es so gewesen. Aber die einzige Falle, die es hier gab, war die, in die sie sich selbst hineinmanövriert hatte.

Sie sah aus dem Augenwinkel, wie sich einer der Plünderer ein wenig umdrehte. Ihr Mut sank, als sie die gespannte Armbrust erblickte, mit der er wie beiläufig auf sie zielte. Salim hatte ihr gezeigt, wie man selbst auf kürzere Entfernung noch einem heranfliegenden Pfeil ausweichen oder ihn zur Not beiseite schlagen konnte; bei dem viel schnelleren Armbrustgeschoss war das nicht möglich, und gegen die heimtückischen, mit furchtbarer Wucht abgeschossenen Bolzen würde ihr auch das Kettenhemd nichts mehr nutzen.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, wurde das hässliche Grinsen des Anführers der Plünderer noch breiter. »Aber dein Vorschlag gefällt mir, Junge. Dein Kettenhemd und die prachtvolle Waffe, die du da trägst, sollten uns als Tribut für dieses Dorf genügen. Mehr hat dieses arme Pack wahrscheinlich ohnehin nicht zu bieten.« Sein Lächeln erlosch wie abgeschaltet und machte einer nur umso größeren Härte Platz, die in seinen Augen erschien. »Der Bastard ist allein. Erschieß ihn, Marco.«

Vielleicht war es einzig dieser letzte Befehl, der Robin letztendlich das Leben rettete. Und ein schier unglaubliches Glück. Die Armbrust bewegte sich noch ein winziges Stückchen weiter nach oben, und Robin stürmte warnungslos vor, schlug im allerletzten Moment einen Haken und sprang auf den Armbrustträger zu. Der Mann war für den Bruchteil eines Lidschlages irritiert, und die heimtückische Waffe in seiner Hand zitterte ganz leicht. Dann drückte er ab.

Aber Robin war bereits nahe genug. Was sie tat, war der pure Wahnsinn, aber vielleicht gerade deshalb ihre einzige Chance, am Leben zu bleiben. Blitzschnell riss sie das Schwert hoch und herum, brachte die breite Klinge in eine Linie mit der Armbrust, die jetzt genau auf ihr Gesicht zielte, und schrie im nächsten Moment vor Schmerz auf, als ein peitschendes Geräusch erklang und ihr Schwertarm mit grausamer Wucht zurückgerissen wurde. Die Klinge entglitt ihren Fingern, die plötzlich - ebenso wie ihr ganzer Arm - so taub und nutzlos waren wie ein Stück Holz. Aber das Schwert stürzte nicht zu Boden. Noch bevor es fallen konnte, griff Robin mit der anderen Hand zu, war mit einem blitzschnellen Ausfallschritt ganz bei dem Armbrustschützen, der sie mit offen stehendem Mund und vollkommen fassungslos anstarrte, und zersplitterte den hölzernen Bogen der Armbrust mit einem einzigen, wuchtigen Hieb.

Der Mann taumelte mit einem Schrei zurück, und Robin drehte sich, die Wucht ihres eigenen Schlages ausnutzend, auf der Stelle um und war mit einem zweiten, noch schnelleren Schritt wieder bei dem Stoppelbärtigen. Ihre Schwertspitze schlitzte den schmuddeligen Gambeson des Anführers auf und kam einen Fingerbreit unter seinem stoppelbärtigen Kinn zum Stehen. Eine feine, blutrote Linie, aus der in fast regelmäßigen Abständen winzige, hellrot schimmernde Tröpfchen quollen, markierte die Spur, die die Schwertspitze von seiner Brust über den Hals und seine Kehle bis unmittelbar hinauf unter sein Kinn genommen hatte. Ein einzelner, hellrot schimmernder Tropfen rann die Blutrinne des Schwertes hinab und blieb in der Delle liegen, die der abprallende Armbrustbolzen in die Klinge geschlagen hatte. Robin starrte auf die Waffe in ihrer Hand und begriff erst jetzt, was für ein unvorstellbares Glück sie gehabt hatte. Ihr rechter Arm bis hinauf zu Schulter war noch immer taub.