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»Ich werde den Orden verlassen«, sagte Robin unvermittelt.

»Weil dein Geheimnis keines mehr ist?« Rother schüttelte den Kopf. »Ich werde nichts sagen.«

»Nein«, antwortete Robin. »Es hat nichts mit dir zu tun. Mir ist klar geworden, dass ich nicht zu euch gehöre. Nicht wirklich. Ich ... ich habe gedacht, es wäre mein großer Traum. Alles, wofür ich wirklich lebe. Aber während der Schlacht am Litani habe ich begriffen, dass das nicht stimmt.«

»Es war entsetzlich«, sagte Rother mitfühlend, aber Robin unterbrach ihn sofort wieder.

»Ich habe einen Mann getötet«, sagte sie.

»Nur einen?«, fragte Rother. »Weißt du, wie viele tapfere Männer während der Schlacht den Tod gefunden haben, auf beiden Seiten?«

»Das war etwas anderes«, sagte Robin leise. »Er war ...« Die Erinnerung drohte sie zu überwältigen. Für einen Moment war sie wieder auf dem Schlachtfeld, und für einen schrecklichen Augenblick spürte sie noch einmal den ungläubigen Blick seiner Augen, hörte noch einmal das schreckliche, reißende Geräusch, mit dem ihre Klinge sein Gewand zerschnitt. Ihr Herz begann zu klopfen. Sie schloss für einen Moment die Augen, ballte die Fäuste und musste all ihre Willenskraft aufbieten, um die schrecklichen Bilder zurückzudrängen. »Er war kein Krieger, Rother. Nicht für mich. Ich habe ihn nicht im Kampf getötet, sondern ihn ermordet.« Sie hob die Hände. »Damit.«

Sie hatte nicht erwartet, dass Rother verstand, wovon sie sprach, doch ein einziger Blick in seine Augen machte ihr klar, dass sie den jungen Ritter abermals unterschätzt hatte. Er verstand sie nicht nur, er wusste ganz genau, wovon sie sprach, weil auch er es schon erlebt hatte.

»Wir versuchen jetzt unser Glück«, sagte Rother mit einem unbehaglichen Räuspern und stand auf. »Nemeth?«

Das Mädchen sah Robin an und reagierte erst, als Robin zustimmend nickte, dann jedoch bewegte sie sich sehr schnell und praktisch lautlos. Sie huschte die Treppe hinab und hatte ihr unteres Ende erreicht, noch bevor Rother auch nur losgegangen war. Robin nickte auch dem jungen Ritter noch einmal auffordernd zu, und endlich setzte auch er sich in Bewegung.

Was zurückblieb, war ein sonderbares Gefühl vager Enttäuschung - und eigentlich war es gar nicht so vage, wie sie es gerne gehabt hätte. Robin hatte längst begriffen, dass ihr der junge Ritter weit mehr bedeutete, als er eigentlich sollte. Sie war nur noch nicht so weit, es zuzugeben.

Sowohl Nemeth in ihrem schwarzen Gewand als auch Rother in seinem grauen Untergewand wurden vom grauen Zwielicht in den Ställen aufgesogen, kaum dass sie sich wenige Schritte entfernt hatten. Robin versuchte einen Moment lang, sie wiederzufinden, aber es gelang ihr nicht - doch das beruhigte sie eher. Wenn sie die beiden nicht sah, würde es auch anderen nicht gelingen.

Irgendwann am Nachmittag, hatte Rother gesagt. Das bedeutete, dass sie viele Stunden tatenlos hier warten musste. Vermutlich wäre es das Klügste, dachte sie, genau das zu tun, was er ihr geraten hatte, und einfach hier sitzen zu bleiben, bis er zusammen mit Bruder Abbé zurückkam, um sie zu holen.

Sie wusste, dass sie es nicht durchhalten würde.

Robin zählte in Gedanken langsam bis hundert, dann stand sie auf, nahm die Kleider, die Rother ihr dagelassen hatte, und zog sich ein paar Schritte weit in den Gang zurück, bevor sie ihr Kleid abzustreifen begann. Es fiel ihr schwer, und es tat so weh, dass sie die Zähne zusammenbeißen musste, um ein Wimmern zu unterdrücken. Nemeth hatte den Verband so fest angelegt, dass sie die Schulter kaum bewegen konnte. Sie war es nicht, aber sie fühlte sich an, als wäre sie auf die Größe eines Fasses angeschwollen und pulsiere im rasenden Takt ihres hämmernden Herzens.

Mit zusammengebissenen Zähnen streifte sie ihr Kleid vollends ab, bückte sich nach dem Kettenhemd und konnte einen Schmerzenslaut nicht mehr ganz unterdrücken, als sie es überstreifte und die eisernen Kettenglieder wie tausend winzige Messerklingen in ihre Schulter bissen. Das Hemd schien eine Tonne zu wiegen.

Sie schlüpfte in die Stiefel, die ihr zu klein waren, sodass sie wahrscheinlich nur unter Schmerzen eine längere Strecke darin laufen konnte, und streifte den Ordensrock über, doch als sie den Schwertgurt umband, begannen ihre Hände zu zittern. Robin versuchte sich einzureden, dass es einfach am Gewicht der Waffe lag. Rothers Schwert musste sehr viel schwerer sein als ihre eigene Waffe, die einem normalen Breitschwert zwar zum Verwechseln ähnlich sah, in Wahrheit jedoch eine täuschend ähnliche Kopie war, die Salim aus feinstem Damaszenerstahl für sie hatte anfertigen lassen; zehnmal so scharf wie normaler Stahl, aber nicht einmal halb so schwer.

Immerhin war es eine gute Ausrede, um sich nicht selbst eingestehen zu müssen, warum es ihr so schwer fiel, die Waffe umzubinden.

Minutenlang blieb sie einfach sitzen, lauschte auf das Hämmern ihres eigenen Herzens und wartete darauf, dass die Schmerzen in ihrer Schulter nachließen. Es wurde nicht wirklich besser, doch groteskerweise war es nun ausgerechnet das Fieber, das ihr zugute kam, denn es machte es ihr nicht nur zunehmend schwerer, klar zu denken, sondern dämpfte auch all ihre Empfindungen. Sie schleppte sich mehr zur Treppe zurück, als sie ging, und sie war selbst von diesen wenigen Schritten so erschöpft, dass sie schon wieder zu Boden sank und um ein Haar eingeschlafen wäre.

Wahrscheinlich wäre sie es sogar, hätte sie nicht in diesem Moment donnernden Hufschlag gehört, der sich rasend schnell näherte. Alarmiert richtete sich Robin wieder auf und starrte in die Halle hinab. Nichts rührte sich dort unten. Nicht einmal von den angeblich allgegenwärtigen Stallburschen und Knechten, von denen Rother gesprochen hatte, war eine Spur zu sehen, und Robin wäre versucht gewesen, das Geräusch als neuerliche Fieberfantasie abzutun, doch es wurde immer lauter und kam zugleich rasend schnell näher, als galoppiere eine ganze Armee heran. Die Gruppe, von der Rother gesprochen hatte? Aber er hatte etwas vom Nachmittag gesagt, und bis dahin waren es noch viele Stunden. War sie vielleicht eingeschlafen, ohne es selbst gemerkt zu haben? Robin hielt das für unwahrscheinlich, aber fiebernd und erschöpft, wie sie nun einmal war, konnte sie es auch nicht vollkommen ausschließen.

So oder so - der unterirdische Saal erzitterte mittlerweile unter dem donnernden Hufschlag von mindestens hundert Pferden. Noch waren sie nicht zu sehen, aber es konnte sich nur noch um Augenblicke handeln. Sie musste sich entscheiden.

So schnell sie konnte, stand sie auf und eilte mit einer Leichtfüßigkeit die Treppe hinab, die sie fast selbst überraschte - die aber auch durchaus angebracht war, wie sich schon im nächsten Augenblick zeigte. Das Donnern der Pferdehufe wuchs zum Tosen eines Erdbebens heran, und dann erschienen die ersten Reiter als fahle Schemen am jenseitigen Ende des riesigen unterirdischen Raumes.

Für einen Moment drohte Robin in Panik zu geraten. Etwas in ihr reagierte noch immer mit gewohnter Schnelligkeit, sodass sie sich blitzartig hinter eine der hüfthohen Mauern duckte und sich mit angehaltenem Atem gegen den unverputzten Stein presste. Selbst diese hastige Bewegung war schon beinahe zu viel. Ihr wurde schwindelig, und sie musste etliche Sekunden darum kämpfen, nicht endgültig zusammenzubrechen.

Als die Welt aufhörte, sich nicht nur rings um sie herum, sondern in gegenläufiger Richtung auch in ihrem Kopf zu drehen, war das Donnern der Pferdehufe verklungen. Nur dann und wann hörte sie einen vereinzelten Hufschlag oder ein Wiehern, einen Wortfetzen oder auch ein erleichtertes Aufatmen. Mit klopfendem Herzen beugte sie sich zur Seite und spähte zu den Reitern hin.

Sie hatte sich getäuscht. Möglicherweise hatte ihr auch die Akustik des unterirdischen Stalles einen Streich gespielt - es waren nicht Hunderte von Reitern, nicht einmal Dutzende, sondern allenfalls ein knappes Dutzend. Die Männer hatten ihre Pferde kaum zwanzig Schritte entfernt angehalten und saßen nun gerade ab. Etliche Tiere scheuten vor Schwäche und zitterten; Schaum troff von ihren Nüstern, und Robin konnte trotz des schwachen Lichtes sehen, dass sich ihre Reiter in kaum besserem Zustand befanden. Ihre Kleider waren verdreckt und zerrissen, und die meisten von ihnen zitterten vor Anstrengung und waren ebenfalls in Schweiß gebadet. Robin konnte zwar keine frischen Wunden oder Verbände erkennen, was bedeutete, dass die Männer wahrscheinlich nicht in einen Kampf verwickelt gewesen waren, aber es war zugleich auch unübersehbar, in welcher Eile sie den Weg hierher zurückgelegt hatten. Sie dachte an die Gluthitze draußen und fragte sich, wie wichtig eine Nachricht sein musste, dass die Männer eine solche Tortur auf sich nahmen.