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Während der Monate, die sie zusammen mit Dariusz, Bruder Abbé und den anderen Tempelrittern durch Europa bis Genua geritten war, war sie als sehr junger Mann mit sehr weichen Zügen durchgegangen; eine Rolle, die sie perfekt zu spielen gelernt hatte - schließlich hatte ihr Leben davon abgehangen, dass niemand ihre Maske durchschaute - und die sie zudem durch ein entsprechendes, manchmal bewusst rüdes Auftreten noch glaubhafter gestaltet hatte.

Aber seither war Zeit vergangen. Das gute Leben, das sie führte, hatte die Spuren des Hungers, der Kälte und der übermäßigen körperlichen Anstrengungen und schweren Arbeit fast vollkommen aus ihrem Gesicht getilgt. Robin machte sich klar, dass sie es einzig Dariusz’ Erinnerung zu verdanken hatte, dass er in ihr immer noch den jungen Mann sah, als den er sie kennen gelernt hatte. Wären sie sich nicht auf dem Weg nach Italien und auf dem Schiff begegnet, er hätte möglicherweise sofort die Frau in ihr gesehen. Vielleicht zweifelte er schon jetzt. Und sie erinnerte sich plötzlich zu gut an die vielen Gelegenheiten, bei denen Salim nicht müde geworden war, ihr zu versichern, wie sehr er ihr Lächeln liebte und wie schön er sie in diesen Momenten fand.

»Ihr sagt, Ihr seid auf Sheik Sinans Burg gewesen?«, erkundigte sich Dariusz, während sie gemessenen Schrittes nebeneinander hergingen.

Robin war sich sicher, dass diese Frage nicht bloße Konversation war. Dariusz wollte auf etwas ganz Bestimmtes hinaus. »Ja«, sagte sie. »Seit einigen Monaten bereits. Warum fragt Ihr?«

Obwohl sie nicht in seine Richtung sah, blieb ihr Dariusz’ Schulterzucken nicht verborgen. »Ich frage mich«, antwortete Dariusz, »warum Ihr nicht längst mit uns Kontakt aufgenommen habt, Bruder.«

»Manchmal frage ich mich das selbst«, gestand Robin und versuchte ihrerseits, ein verlegenes Achselzucken zu schauspielern. Ihre Gedanken überschlugen sich. Dariusz fragte ganz bestimmt nicht nur aus purer Neugier. Er wollte auf etwas Bestimmtes hinaus. »Sheik Sinan ist ein außergewöhnlich großzügiger Gastgeber«, sagte sie betont vorsichtig. »Und ich war in keinem besonders guten Zustand, als er mich aus der Sklaverei freigekauft hat. Um ehrlich zu sein - ich war mehr tot als lebendig. Es hat lange gedauert, mich von den Strapazen zu erholen.«

»Die Gastfreundschaft des Alten vom Berge schätzen zu lernen ging ganz offensichtlich schneller«, antwortete Dariusz.

»Oder liegt es an Eurer ... Dienerin?«

Robin überhörte den anzüglichen Ton in seiner Stimme ganz bewusst und wurde ein wenig langsamer; schon um Saila Gelegenheit zu geben, noch einmal mit ihrer Tochter zu reden. Dabei wusste Robin durchaus, dass Nemeth ihre kleinste Sorge darstellte. Das Mädchen war intelligent und alt genug, um die Situation zu begreifen, und Robin war sich nur zu bewusst, dass sie sich auf ihre Verschwiegenheit verlassen konnte. Aber inwieweit galt das für alle anderen Einwohner des Dorfes? Jedermann hier wusste, dass sich unter dem Kettenhemd, das sie trug, eine Frau verbarg, auch wenn sie sich nur zu oft einen Spaß daraus machte, sich wie ein Mann zu benehmen. Und Dariusz hatte über hundert Begleiter mitgebracht. Wenn auch nur ein einziger von ihnen mit den Dörflern redete, auch nur eine einzige, falsche Frage stellte, dann war alles vorbei.

Saila trat ihnen aus dem Halbdunkel entgegen, als sie das Haus betraten. Von Nemeth war keine Spur zu sehen, was Robin trotz allem bedauerte, und die dunkelhaarige Dienerin hatte ihr Kopftuch abgelegt, sodass man ihr langes, bis weit über die Schultern fallendes, schwarzes Haar sehen konnte. Robin musste sich bekümmert eingestehen, dass Dariusz vollkommen Recht hatte. Beileibe nicht zum ersten Mal fiel ihr auf, was für eine wirklich schöne Frau Saila war.

»Ich habe den Tisch für Euch und Euren hohen Gast im Hof gedeckt, Herr«, sagte Saila mit einem angedeuteten Kopfnicken und einer einladenden Geste. »Meine Tochter wird Euch gleich zu trinken bringen.«

»Gut«, antwortete Robin. »Aber danach lasst uns bitte allein. Bruder Dariusz und ich haben sicherlich eine Menge zu besprechen.«

Saila nickte noch einmal, wiederholte ihre einladende Geste und entfernte sich dann mit schnellen Schritten. Dariusz sah ihr eindeutig bewundernd hinterher.

»Ich muss Euch Abbitte tun, Bruder Robin«, sagte er. »Habe ich vorhin gesagt, sie wäre hübsch? Das stimmt nicht. Sie ist eine wahre Blume des Orients.« Sein Lächeln wurde wieder ganz eindeutig anzüglich. »Sheik Sinan weiß tatsächlich, was er seinen Gästen schuldig ist.«

Robin blickte ihn so kühl an, wie sie konnte. »Ich verstehe nicht genau, was Ihr meint, Bruder.«

Dariusz’ Grinsen wurde nur noch breiter. Saila hatte das Zimmer mittlerweile verlassen, und er drehte sich einmal um sich selbst und sah sich dabei unverhohlen neugierig um. »Es scheint Euch ja nicht schlecht gegangen zu sein, in den letzten Monaten, Bruder«, sagte er. »Für einen freigekauften Sklaven.«

»Das hier ist nicht mein Haus«, antwortete Robin, nun in ganz leicht verärgertem Ton. »Es gehört Sheik Sinan. Die Dorfbewohner halten es bereit, falls er oder einer seiner Männer hierher kommen.«

»Und wo sind sie jetzt?«, fragte Dariusz.

»Wer?«

»Sinans Männer«, antwortete der Tempelritter. »Ihr habt mir gerade erzählt, Ihr wärt zusammen mit ihnen auf der Suche nach den Plünderern gewesen. Ich war der Meinung, sie hier anzutreffen.«

»Wären Sinans Assassinenkrieger hier gewesen«, antwortete Robin fast sanft, »so hättet Ihr und Eure Männer nicht eingreifen müssen, Dariusz. Sechs von ihnen sind mehr als genug, um mit einem Dutzend dieser Halsabschneider fertig zu werden.«

»Das beantwortet nicht meine Frage«, sagte Dariusz. »Wo sind sie?«

»Sie sind den Spuren der Plünderer in die Wüste hinaus gefolgt«, antwortete Robin. »Vielleicht eine Stunde, bevor Ihr und die Euren gekommen seid.«

»Ohne Euch?«

»Ich wollte sie begleiten«, antwortete Robin. »Aber mein Pferd hat gelahmt.« Sie hob die Schultern und deutete ein verlegenes Lächeln an. »Darüber hinaus muss ich gestehen, dass ich wohl auch mit einem gesunden Pferd Mühe gehabt hätte, mit ihnen mitzuhalten. Die Assassinen reiten wie der Teufel.«

»Ja«, antwortete Dariusz. »Das hat man mir auch erzählt. Umso mehr erstaunt es mich, dass Ihr Euch mit ihnen eingelassen habt.«

»Von ihnen gekauft zu werden, Bruder Dariusz«, antwortete Robin ärgerlich, »ist wohl kaum das, was man unter Sich-mit-jemandem-Einlassen versteht.«

Einen Herzschlag lang war sie sicher, den Bogen überspannt zu haben. Trotz des schwachen Lichts hier drinnen konnte sie sehen, wie sich Dariusz’ Gesicht verfinsterte und es in seinen Augen wütend aufblitzte. Dann aber riss er sich sichtbar zusammen und schüttelte nur den Kopf. »Ich vermute, es war keine sehr angenehme Erfahrung. Aber das ist ja nun vorbei.« Er sah sich weiter unverhohlen neugierig in dem kaum möblierten, aber großzügigen Raum um, und schließlich blieb sein Blick auf Robins Wappenrock hängen, der sauber zusammengefaltet auf der Bank neben der Tür lag. »Ich sehe, dass Ihr die Insignien unseres Ordens immer noch in Ehren haltet. Das freut mich. Trotzdem frage ich mich, warum Ihr den Rock vorhin nicht getragen habt, sondern die Kleider der Einheimischen vorzieht.«

»Weil sie sehr praktisch sind«, antwortete Robin. Sie fühlte sich immer unsicherer. Obwohl sie auf der einen Seite der Meinung war, bisher alles richtig gemacht zu haben, hatte sie gleichzeitig das Gefühl, sich mit jedem Wort tiefer in ein Gespinst aus Halbwahrheiten, Lügen und durchsichtigen Ausflüchten zu verstricken, das Dariusz einfach durchschauen musste. Vielleicht hatte er es längst. Vielleicht hatte er die Wahrheit schon vor seinem Eintreffen hier gewusst und spielte nur ein grausames Spiel mit ihr. »Und ich war etwas in Eile, als ich das Haus verließ«, fügte sie, nun bewusst leicht spöttisch, hinzu.