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Sie ballte unter der Tischplatte die Hände so fest zu Fäusten, dass sich ihre Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen gruben, damit Dariusz ihre wahren Gefühle nicht etwa auf ihrem Gesicht ablesen konnte. Vermutlich tat er es trotzdem. Robin hatte gelernt, ihre wirklichen Empfindungen zu verbergen und stets eine Maske zu tragen, aber in diesem Moment spürte sie, wie diese Maske zu zerbröckeln begann. Sie fühlte sich überfordert, allein gelassen und verzweifelt. Was sollte sie nur tun?

»Ja, es ist sicherlich ein erfreulicher Gedanke, wieder zu unseren Brüdern zurückkehren zu dürfen«, antwortete sie mit wenig Überzeugung in der Stimme. »Dennoch sollte ich vielleicht zuerst mit Sinan reden. Immerhin bin ich ...«

»Das wird nicht nötig sein«, unterbrach sie Dariusz. »Ich werde einen Boten zu seiner Burg schicken, um ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass Ihr mit uns geritten seid, und ihm meinen Dank für Eure Errettung überbringen. Macht Euch keine Sorgen. Die Assassinen sind schließlich unsere Verbündeten.«

»Ja«, murmelte Robin einsilbig. »Das ist wohl wahr.«

Dariusz stürzte seinen dritten Becher Wein hinunter und knabberte mit sichtlichem Genuss an einem gebratenen Hühnerschenkel herum. »Nehmt es mir nicht übel, Robin«, sagte er mit vollem Mund, »aber Ihr macht mir keinen sehr ... erfreuten Eindruck.«

»Unsinn«, antwortete Robin hastig und mit einem dünnen, vollkommen verunglückten Lächeln. »Es kam nur so ... überraschend. Nach all der Zeit hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben, jemals wieder von hier wegzukommen.«

»Die Hoffnung auf ein gütiges Schicksal aufzugeben heißt, den Glauben an Gott aufzugeben«, antwortete Dariusz, entschärfte seine eigenen Worte aber sofort wieder, indem er lächelte und hinzufügte: »Aber ich glaube, das gehört zu den kleinen Schwächen, die unser Herr uns nur zu gerne vergibt.«

Er füllte seinen Becher zum vierten Mal, betrachtete die goldgelb schimmernde Flüssigkeit darin dann einen Moment lang stirnrunzelnd und setzte ihn wieder ab, ohne getrunken zu haben. Fast in der gleichen Bewegung stand er auf. »Aber nun müsst Ihr mich entschuldigen, Bruder. Ich will nach den Männern sehen. Unser Aufbruch muss vorbereitet werden. Und ich nehme an, dass Ihr Euch noch von Eurer Dienerin und deren entzückenden Tochter verabschieden wollt. Ein wirklich hübsches Kind. Ich warte dann unten am Dorfplatz auf Euch. Und sorgt Euch nicht wegen des lahmenden Pferdes. Wir werden sicherlich noch ein Ersatzpferd für Euch auftreiben.«

Robin hätte nicht einmal antworten können, wenn sie es gewollt hätte. Sie saß einfach nur da und starrte Dariusz fassungslos an, und sie hatte mit jedem Moment mehr das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Plötzlich war ihr klar, dass nichts von dem, was Dariusz gerade gesagt oder getan hatte, kein Wort, kein Blick, keine noch so winzige und bedeutungslos erscheinende Geste, in irgendeiner Form Zufall gewesen war. Und es war auch kein Zufall, dessen war sie sich jetzt vollkommen und absolut sicher, dass er und seine Begleiter ausgerechnet hierher, in dieses winzige, bedeutungslose Fischerdorf gekommen waren. Ganz plötzlich begriff sie, dass er sie gesucht hatte. All seine vermeintliche Freundlichkeit, sein ganz genau dosiertes Misstrauen hatten nur der Vorbereitung auf diese letzte Eröffnung gedient.

Robin starrte die Tür immer noch an, auch als Dariusz schon längst gegangen war. Ihre Hände begannen zu zittern. Ihr Herz klopfte plötzlich so stark, dass es ihr fast den Atem nahm, und der Innenhof drehte sich immer schneller und schneller um sie. Hätte sie nicht ohnehin auf dem Stuhl gesessen, sie hätte vielleicht wirklich den Boden unter den Füßen verloren und wäre gestürzt. Dariusz wollte sie mitnehmen? Nein - sie korrigierte sich in Gedanken. Er würde sie mitnehmen. Er war aus keinem anderen Grund hergekommen.

»Herrin?«

Robin schrak heftig zusammen, als eine Stimme in ihre Gedanken drang. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass ihre Dienerin zu ihr auf den Hof getreten war. Mühsam und erst nach endlosen Sekunden riss sie den Blick von der Tür los, durch die Dariusz verschwunden war, und drehte sich, wie gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfend, zu ihr um. Saila sah sie aus aufgerissenen Augen an, die dunkel vor Furcht waren. »Ist alles ... in Ordnung?«, erkundigte sie sich.

Die Frage erschien Robin so grotesk, dass sie beinahe laut aufgelacht hätte. »Nein«, antwortete sie mit flacher, tonloser Stimme. »Es ist ... nichts in Ordnung. Dariusz ...«

»Ich habe alles gehört«, unterbrach sie Saila. »Verzeiht, dass ich Euch belauscht habe, aber ...«

»Das macht nichts«, unterbrach sie Robin. Nervös fuhr sie sich mit dem Handrücken über das Kinn. Ihre Gedanken jagten sich noch immer. Sie hatte Mühe, sich darauf zu konzentrieren, Saila zu antworten. »Dariusz war ja auch laut genug.«

»Was werden wir jetzt tun?«, fragte Saila.

»Wir?« Robin schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, es gibt nicht viel, was wir tun können«, murmelte sie. Ein Teil von ihr weigerte sich immer noch zu glauben, was gerade geschehen war. Es konnte nur ein Albtraum sein. Mühsam stand sie auf.

Ihre Bewegungen mussten unsicherer sein, als ihr selbst klar war, denn Saila steckte plötzlich die Hände aus, wie um sie aufzufangen, sollte sie stürzen, dann fuhr sie fast unmerklich zusammen, wich einen halben Schritt zurück und sah gleichermaßen betroffen wie erschrocken aus. »Ihr müsst fliehen, Herrin. Ich habe Nemeth schon losgeschickt, um Euer Pferd ...«

»Ich fürchte, das geht nicht«, unterbrach sie Robin. Sie schluckte, um den bitteren Geschmack loszuwerden, der plötzlich in ihrem Mund war. Ein Teil von ihr lauschte mit einer Art hysterischen Entsetzens ihren eigenen Worten, aber da war noch ein anderer Teil, der sich der Ausweglosigkeit ihrer Situation vollkommen klar war und sie fast schon unnatürlich ruhig weitersprechen ließ. »Du hast Dariusz gehört. Er ist auf Befehl des Königs und unseres Großmeisters hier. Er wird nicht ohne mich abziehen.«

»Aber Ihr könnt doch nicht wirklich mit ihm reiten!«, antwortete Saila ungläubig. »Nicht in Eurem ...«

»Ich muss«, unterbrach sie Robin. Sie schüttelte ein paar Mal hintereinander den Kopf und versuchte, Saila beruhigend zuzulächeln, spürte aber selbst, wie kläglich es misslang. »Ich kenne diesen Mann von früher, Saila. Er wartet nur auf einen Vorwand, mich in Ketten von hier wegzubringen.«

»Aber Salim wird bald zurück sein«, sagte Saila. Sie klang plötzlich hilflos. Fast so hilflos und verstört, wie Robin selbst sich fühlte. »Er wird niemals zulassen, dass dieser schreckliche Mann Euch mitnimmt.«

»Und ganz genau darum muss ich mit ihm gehen«, antwortete Robin. »Ich kann nur hoffen, dass Salim und seine Männer nicht zurückkommen, bevor wir aufgebrochen sind. Dariusz würde ihn töten.«

»Ein Grund mehr, zu fliehen«, beharrte Saila. Ihre Stimme klang jetzt fast panisch. »Das Pferd steht hinter dem Haus bereit. Und es ist schnell. Auf der Burg unseres Herrn seid Ihr in Sicherheit.«

Aber nicht einmal dessen war sich Robin wirklich sicher. Sheik Sinan würde niemals zulassen, dass Dariusz sie gegen ihren Willen zwang, ihn und seine Männer zu begleiten, aber sie vermochte einfach nicht zu beurteilen, wie Dariusz’ Reaktion darauf ausfallen würde. Sie traute diesem Fanatiker durchaus zu, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen - oder es wenigstens zu versuchen. Dariusz hatte nie zu denen gehört, die das Bündnis zwischen den Tempelrittern und den Assassinen billigten, und er hatte niemals einen Hehl daraus gemacht.

»Nein«, sagte sie noch einmal, und jetzt mit ruhiger, fester Stimme. »Ich muss sie begleiten.«

»Dann komme ich mit«, sagte Saila bestimmt.

Robin lächelte. »Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber es geht nicht. So gerne ich dich bei mir hätte, eine Frau bei den Tempelrittern ist ... undenkbar.«

»So?«, fragte Saila. Ihr Blick blieb ernst, aber der Tonfall, in dem sie dieses eine Wort ausgesprochen hatte, war beredt genug.