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»Mach dir keine Sorgen«, sagte Robin. »Ich bin diese Rolle gewohnt. Ich habe sie jahrelang mit Erfolg gespielt, es wird mir auch noch für einige wenige weitere Tage gelingen.« Sie schüttelte rasch den Kopf, als sie sah, dass Saila abermals widersprechen wollte, und machte eine zusätzliche, fast befehlende Geste.

»Ich brauche dich hier, Saila.«

»Wozu?«, erkundigte sich Saila verwirrt.

»Du musst auf Salim warten«, antwortete Robin. »Erzähle ihm, was geschehen ist. Und ich flehe dich an, Saila - sorg dafür, dass er keine Dummheiten macht. Du weißt, was ich meine?«

Saila nickte wortlos. Ihr Gesicht war ein einziger Ausdruck der Qual.

»Und danach müsst ihr zurück zur Burg reiten und Salims Vater berichten, was passiert ist. Er darf auf gar keinen Fall etwas Unüberlegtes tun, hast du das verstanden? Macht euch keine Sorgen um mich. Ich finde schon einen Weg, um zurückzukommen. Wahrscheinlich«, fügte sie mit einem diesmal fast überzeugenden Lächeln und in einem Ton der Zuversicht, die sie ganz und gar nicht empfand, hinzu, »werde ich schon in ein paar Tagen zurückkommen. Ich werde bei der ersten sich bietenden Gelegenheit fliehen.«

»Die erste Gelegenheit wäre jetzt«, antwortete Saila.

Robin schüttelte nur erneut den Kopf. »Das ist viel zu gefährlich«, beharrte sie. »Du kennst Dariusz nicht. Ich bin lange genug mit diesen Männern geritten, um zu wissen, wozu sie imstande sind. Er würde das ganze Dorf büßen lassen. Er würde es niederbrennen und jeden Mann und jede Frau und jedes Kind töten, glaub mir. Und selbst wenn ich es bis zur Burg schaffe, würde er sie möglicherweise belagern, nur um meiner wieder habhaft zu werden.«

Saila widersprach zwar nicht, aber sie sah sie so unübersehbar zweifelnd an, das Robin sich fast genötigt fühlte hinzuzufügen:

»Dariusz ist ein Fanatiker, Saila. Wenn es etwas gibt, was er noch mehr hasst als Saladin und seine Verbündeten, dann sind es Tempelritter, die gegen ihren Eid verstoßen. Er würde eher einen Krieg vom Zaun brechen, als einen Verräter aus seinen eigenen Reihen davonkommen zu lassen. Und ganz genau dafür würde er mich halten, wenn ich jetzt fliehe.«

»Aber das habt Ihr doch schon längst, Herrin«, sagte Saila leise. Robin sah sie fragend an, und die Dienerin fügte hinzu: »Den Eid gebrochen.«

Nicht wirklich, dachte Robin. Sie hatte ihn nie geleistet. Sie hatte diese lebensgefährliche Scharade niemals spielen wollen, zu der sie jahrelang gezwungen gewesen war, und sie verfluchte sich in Gedanken dafür, nicht nach ihrer Errettung genau das getan zu haben, worum Salim sie so oft gebeten hatte, nämlich das weiße Ordensgewand endgültig abzulegen und zu verbrennen, und auch dem Kettenhemd, dem Schwert und dem Schild abzuschwören und einfach nur Salims Frau zu sein, die an seiner Seite lebte und herrschte. Ganz plötzlich begriff sie, auf welch entsetzliche Weise sich Salims Worte zu bewahrheiten begannen.

Was sie so lange Zeit für nichts anderes als ein Spiel gehalten hatte, ein harmloses Kokettieren mit einer Vergangenheit, die sie endgültig hinter sich gelassen zu haben glaubte, das war von einem Herzschlag auf den anderen zu einer Gefahr längst nicht nur für ihr Leben geworden. Warum war sie in Rüstung und Waffenrock hergekommen? Sie war sicher, dass Dariusz sie nicht einmal erkannt hätte, hätte sie die seidenen Gewänder und kostbaren Tücher getragen, in denen Salim sie so gerne sah, und einen Strauß Blumen oder einen Korb mit Früchten in der Hand gehalten statt eines Schwertes.

Aber es war noch niemals Robins Art gewesen, mit dem Schicksal zu hadern. Sie musste einfach akzeptieren, was geschehen war, und versuchen, das Beste daraus zu machen - auch wenn sie sich sehr wohl bewusst war, dass sie die Situation in Wahrheit noch nicht einmal ansatzweise begriffen hatte.

Leichte Schritte näherten sich, dann trat Nemeth zu ihnen heraus. Auch das Mädchen war schreckensbleich. Es zitterte am ganzen Leib, und Robin musste nicht fragen, um zu wissen, dass auch Nemeth ihr Gespräch mit Dariusz belauscht hatte; vermutlich auch das mit ihrer Mutter. Bevor Nemeth jedoch auch nur ein Wort sagen konnte, machte Robin eine Kopfbewegung zum Ausgang hin. »Geh zur Tür«, sagte sie, »und pass auf, dass uns niemand stört.«

»Aber ...«, begann Nemeth.

Robin unterbrach sie sofort. »Schnell. Es ist wichtig, Nemeth. Wir verlassen uns auf dich.«

Das Mädchen sah sie noch einen Moment lang aus großen, furchterfüllten Augen an, aber dann wandte es sich um und verschwand mit schnellen Schritten im Haus, und Robin drehte sich wieder zu Saila um und streifte gleichzeitig mit einer entschlossenen Bewegung den Turban ab. »Eines musst du noch für mich tun, Saila«, sagte sie.

»Herrin?« Saila wirkte unsicher, fast erschrocken.

»Hol das schärfste Messer, das du in der Küche findest«, sagte Robin schweren Herzens. »Und dann schneide mir das Haar.«

4. KAPITEL

»Bruder Robin?« Jemand schüttelte sie sanft an der Schulter. Robin schob die Hand weg, nuschelte verschlafen irgendetwas in sich hinein und drehte sich auf die Seite, wobei sie mit der Hand nach einer Decke tastete, die es gar nicht gab. Die Stimme, die ihren Namen genannt hatte, wiederholte sich nicht, aber die Hand war wieder da und rüttelte noch einmal und diesmal deutlich kräftiger an ihr. Widerwillig öffnete Robin die Augen, blinzelte verständnislos in ein schmutziges, von einem unordentlich gestutzten Bart eingerahmtes Gesicht und versuchte vergeblich, sich zu erinnern, wo sie war.

»Es ist Zeit, Bruder«, sagte der Bärtige. Er flüsterte fast; dennoch entging Robin der missbilligende Unterton in seinen Worten nicht. Sie hatte auch das Gefühl, den Grund für seinen leisen Ärger kennen zu müssen, aber sie war einfach noch nicht richtig wach. Dennoch deutete sie eine Bewegung an, die der Bärtige zumindest als zustimmendes Nicken auslegen konnte, wenn er es denn wollte, presste für einen Moment die Lider so fest aufeinander, dass bunte Lichtblitze vor ihren Augen flimmerten, und stemmte sich zugleich auf beide Ellbogen hoch. Dem Bärtigen schien das als Antwort zu genügen, denn er warf ihr zwar noch einen halb strafenden, halb aber auch verzeihenden Blick zu, sagte aber nichts mehr, sondern drehte sich wortlos um und ging. Robin stemmte sich ein kleines Stückchen weiter in die Höhe und unterdrückte nur noch mit Mühe ein Gähnen. Im allerersten Moment hatte sie immer noch Mühe, sich zu erinnern, wo sie war. Ihr Körper begann vielleicht allmählich zu erwachen, aber ihre Gedanken und erst recht ihre Erinnerungen schienen größere Schwierigkeiten damit zu haben. Ihre Umgebung hatte jedenfalls alle Voraussetzungen, geradewegs aus einem Albtraum stammen zu können, dessen Nachhall sie noch spürte, ohne sich wirklich daran zu erinnern. Es war ein einfacher, niedriger Raum in einem engen Turm, dessen Wände aus unverputzten Ziegeln bestanden und der von einer einzelnen, schon fast heruntergebrannten Kerze nur unzureichend erhellt wurde, sodass sie kaum mehr als die dunklen Schatten einiger Männer wahrnahm, die sich rings um sie herum allmählich zu rühren begannen. Es war stickig, und es stank. Der zerschlissene Strohsack, auf dem sie sich zum Schlafen ausgestreckt hatte, musste unter ihrem Gewicht aufgeplatzt sein, denn sie spürte mindestens ein Dutzend trockener Halme, die in ihrem Nacken kitzelten und stachen, und der Geruch des schon halb in Fäulnis übergegangenen Strohs war noch beinahe der angenehmste hier drinnen.

Das war etwas, was sie in der Zeit mit Salim schlichtweg vergessen hatte. Die Tempelritter mochten gefürchtete Krieger sein, tapfere und - zumindest zum größten Teil - aufrechte Männer, die tatsächlich an das glaubten, wofür sie standen, aber eines waren sie gewiss nicht: reinlich. Robin musste sich keine Sorgen darum machen, dass ihr Geheimnis spätestens beim ersten gemeinsamen Bad entdeckt würde. Die Tempelritter badeten nie. Einige wenige, allen voran zweifellos Dariusz, bildeten da vielleicht eine Ausnahme, doch Robin hatte weder damals in ihrer Zeit in der Komturei noch auf dem Schiff während der Überfahrt oder jetzt eine Ausrede benötigt, um sich in ihrem langen Unterkleid oder auch gleich komplett angezogen zum Schlafen auszustrecken. Sie war sicher, dass etliche der Männer, die rings um sie herum allmählich erwachten oder auch noch lautstark vor sich hin schnarchten, ihre Kleidung seit Jahren nicht mehr abgelegt hatten.