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Robin blinzelte. »Wie?«

»Ihr seid nicht der Einzige hier, der so denkt«, bestätigte Rother. Seine Stimme wurde eine Spur leiser und unsicherer.

»Bruder Dariusz verlangt Unmögliches, nicht nur von Euch. Wir haben noch Tage vor uns, und das schlimmste Stück erwartet uns erst noch. Wenn es so weitergeht, wird die Hälfte der Männer sterben, bevor wir Safet auch nur erreichen.«

»Und warum sagt ihm das niemand?«, fragte Robin.

»Weil keiner von uns den Mut hatte, so mit ihm zu sprechen wie Ihr, Robin«, antwortete Rother.

»Mut?«, wiederholte Robin mit einem dünnen, schmerzerfüllten Lächeln. »Ich glaube, es war eher Dummheit.«

»Manchmal liegt beides dicht beieinander«, widersprach Rother. »Und manchmal entscheidet erst der Ausgang einer Geschichte, ob eine Tat unglaublich mutig oder unglaublich dumm war.«

Robin setzte zwar zu einer Antwort an, besann sich aber dann eines Besseren. Sie war mittlerweile fast sicher, Rother vertrauen zu können, aber eben nur fast. Robin war weit davon entfernt, sich bereits damit abgefunden zu haben, Salim zu verlieren, aber sie konnte - und wollte - keine Gefühle mehr investieren; nicht in einen Menschen, nicht in das Schicksal, nicht einmal in sich selbst. Sie schwieg nur und rettete sich schließlich in ein neuerliches, nur angedeutetes Achselzucken, als Rother sie weiter fragend ansah.

Der junge Tempelritter wirkte enttäuscht, aber er sagte nichts mehr, und er versuchte auch nicht, weiter in sie zu dringen, sondern stützte die flachen Hände auf die Oberschenkel und stemmte sich ächzend in die Höhe. Robin wollte es ihm gleichtun, aber Rother winkte ab. »Bleibt hier im Schatten sitzen und ruht Euch noch ein wenig aus. Dieser Landstrich ist sicher. Es wäre wahrscheinlich nicht einmal notwendig, Wachen aufzustellen. Ich kann auf uns beide aufpassen.«

»Ihr habt schon genug für mich riskiert«, wandte Robin ein.

»Dann kommt es auf eine Kleinigkeit mehr oder weniger ja nicht an«, erwiderte Rother lächelnd. »Aber wenn es Euer Gewissen erleichtert, könnt Ihr mich gerne später ablösen. Ich gebe Euch Bescheid. Und keine Sorge«, fügte er augenzwinkernd hinzu, »ich werde Euch warnen, wenn Bruder Dariusz oder einer der anderen herkommt. Ich huste einfach zweimal.«

Robin warf ihm noch einen kurzen, dankbaren Blick zu, dann ließ sie Kopf und Schultern wieder gegen den rauen Stein der Wand sinken und schloss die Augen, während Rother sich endgültig umwandte und zum anderen Ende des verfallenen Gebäudes ging. Dahinter erstreckte sich eine trostlose, rotbraune Einöde, nur gelegentlich von einem Flecken kränklichen Grüns oder verdorrten Brauns gesprenkelt, und darüber ein schon fast unnatürlich blauer Himmel, der so makellos war, dass schon die bloße Vorstellung, es hätte hier jemals eine Wolke vorbeiziehen können, geradezu absurd erschien.

Robin versuchte sich zu entspannen, gleichzeitig aber auch sorgsam darauf acht zu geben, dass sie nicht etwa einschlief und auf diese Weise Rothers Warnung überhörte, was schlechterdings unmöglich war. Sie schlief nicht ein, aber sie fand natürlich auch keine wirkliche Ruhe. Gerade, als sie die Ruine betreten hatten, war es ihr im Schatten kühl und angenehm vorgekommen, fast schon kalt, aber nun begann sie die Hitze, die sich unter ihrem Kleid, dem schweren Kettenhemd und dem rot-weißen Wappenrock angestaut hatte, immer qualvoller zu spüren. Obwohl sie reglos dasaß und sich darauf konzentrierte, möglichst ruhig ein- und wieder auszuatmen, begann ihr Herz wieder zu klopfen, und auch ihre alte Freundin, die Übelkeit, war wieder da. Sie war nicht schlimm, und das würde sie auch nicht werden, solange sie sich nicht bewegte, aber sie hielt an; gerade intensiv genug, um sich in Erinnerung zu bringen.

Was hatte Rother gesagt? Das schwerste Stück liegt erst vor uns? Robin versuchte sich vorzustellen, was denn noch schlimmer werden könnte, aber es gelang ihr nicht. Auch wenn es zweifellos nicht an ihrer mangelnden Fantasie lag, sondern eher daran, dass sie es sich nicht vorstellen wollte.

Ihre Glieder wurden schwer. Plötzlich fand sie die Hitze, die ihr noch vor einem Moment den Atem genommen hatte, als wohltuend wie die Umschließung unsichtbarer, schützender Arme, und sie konnte selbst spüren, wie ihre Gedanken langsamer und träger wurden. Sie spürte auch die Gefahr, doch plötzlich erschien es ihr als viel zu mühsam - und warum auch? -, dagegen anzukämpfen. Selbst die Vorstellung, Dariusz könne unvermittelt neben ihr auftauchen und sie schlafend während der Wache vorfinden, schreckte sie in diesem Moment nicht mehr wirklich (auch wenn ein Dutzend Stockschläge auf den nackten Rücken zu Dariusz’ bevorzugten Strafen gehörte, was unzweifelhaft bedeuten würde, dass man sie vorher ausziehen und so ihrer blanken Brust ansichtig werden würde - eine Katastrophe, die ihren und den Tod aller Eingeweihten zur Folge haben musste). Unbeschadet von allem, was sie sich in den zurückliegenden Tagen immer und immer wieder selbst eingeredet hatte, hatte ein Teil von ihr bereits resigniert. Ihr Verstand klammerte sich noch immer an das Versprechen, das sie Saila gegeben hatte, und ersann einen verwegenen Fluchtplan nach dem anderen, den sie ebenso schnell auch wieder verwarf, und ein kleiner Teil von ihr war trotz Erschöpfung, Müdigkeit und Mutlosigkeit stets hellwach und hielt nach der besten Gelegenheit Ausschau, sich zu entfernen und die Flucht zu ergreifen, aber da war noch ein anderer, leiserer und stillerer Teil, der längst aufgegeben hatte.

Es war die reine Logik, die ihr sagte, wie vollkommen unmöglich eine Flucht war. Obwohl es eigentlich gar nicht ging, ließ Dariusz sie nicht eine Minute des Tages aus den Augen, und des Nachts war sie zusammen mit einem Dutzend Männer in einem Raum eingesperrt, in dem schon ein Husten oder eine unvorsichtige Bewegung ausreichte, sie alle zu wecken - ganz davon abgesehen, dass vor der Tür stets eine Wache postiert war - und selbst, wenn sie das Unmögliche möglich gemacht hätte und irgendwie entkommen wäre ... Dariusz würde wortwörtlich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihrer wieder habhaft zu werden. Sie wusste nicht, warum, aber sie spürte ganz genau, dass er selbst seinen Heerzug nach Safet abbrechen würde, um sie wieder einzufangen. Eine einzelne Frau, in einem von Krieg, fremden Besatzern, Räubern und plündernden Banden heimgesuchten Land würde keine fünf Stunden überleben, geschweige denn fünf Tage. Nein, sie musste auf eine Gelegenheit warten, bei der Dariusz und die anderen hinlänglich und für mehr als nur ein paar Minuten abgelenkt waren, und mit jeder Meile, die sie sich weiter nach Osten bewegten, erschien es ihr unwahrscheinlicher, dass sich eine solche Gelegenheit überhaupt noch ergeben könnte.

Salims Gesicht tauchte vor ihr auf. Seine dunklen Augen schienen ihr zuversichtlich zuzulächeln, aber sie verscheuchte das Bild fast erschrocken, riss die Augen auf und straffte fast trotzig die Schultern. Man hätte meinen können, dass ihr der Gedanke an Salim Kraft gab, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Wenn sie an ihn dachte, schloss sich eine kalte Hand aus Furcht um ihr Herz. Furcht um ihn. Salim würde schwerlich die Hände in den Schoß legen und gar nichts tun, aber gerade das war es, was ihr Angst machte.

Mit einem Male hatte sie das Gefühl, die Untätigkeit nicht mehr auszuhalten. Obwohl ihr jede Bewegung noch immer große Mühe abverlangte, hatte ihr die kurze Erholungspause doch spürbar gut getan. Ihre Knie zitterten leicht, als sie aufstand und zu Rother hinüberging, aber zumindest die Übelkeit war größtenteils verflogen.

Der junge Tempelritter hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte in nachlässiger Haltung an einem Mauerrest, hinter dem der Hügel wie abgeschnitten aufhörte und gute sechs oder acht Meter weit senkrecht in die Tiefe stürzte. Er wirkte nicht besonders aufmerksam, sondern schien im Gegenteil eher mit offenen Augen vor sich hinzudösen, aber mehr war nach Robins Meinung auch nicht nötig. Wenn sie jemals einen Platz gesehen hatte, der sich nicht für einen Hinterhalt eignete, dann diesen. Von der Kuppe des Hügels aus fiel ihr Blick über Meilen ungehindert über das weite Land mit seinen ausgedörrten Hügelrücken und den fruchtbaren, flachen Tälern. Ab und zu gewahrte Robin zwar eine Bewegung, aber es waren nur die üblichen Herden, deren Hirten sich vor dem näher kommenden Heer versteckt hatten. Nur ein Stück unterhalb ihres improvisierten Aussichtsturms suchte sich ein schmales Rinnsal seinen Weg zwischen Felsen und verbranntem Erdreich hindurch, und der bloße Anblick allein reichte schon, Robins Durst erneut zu wecken.