Nachdem sie den Hügel hinter sich gebracht hatten und ihnen das Gefälle noch mehr Schwung verlieh, fielen die Tiere in einen schnellen, gleichmäßigen Galopp. Der Boden begann unter den Hufen der Pferde zu dröhnen, und die Luft war vom aufgewirbelten Staub erfüllt, den sie wie eine gewaltige Schleppe hinter sich herzogen. Der kleine Trupp überquerte zwei weitere felsige Hügel und sprengte durch einen Bach, dessen Wasser bis zu den Oberkörpern der Reiter hinaufspritzte. Robin hatte mit dem Gegenteil gerechnet, aber ihre Übelkeit war verflogen, und so absurd ihr das selbst beinahe vorkommen mochte, spürte sie, wie neue Kraft ihre Glieder durchströmte und sich eine sonderbare, fast erschreckende Zuversicht in ihr breit zu machen begann. Vielleicht war es dasselbe, was sie schon am Morgen gestört hatte: eine fast schon euphorische Stimmung, die sie glauben ließ, ihre Feinde auf jeden Fall besiegen zu können, und die sie wegen ihrer Absurdität erschreckte, ohne aber verhindern zu können, dass sie selbst davon mitgerissen wurde. Tatsächlich galt ihre einzige Sorge in diesen Augenblicken der Frage, ob ihre Pferde, die ebenso erschöpft und ausgelaugt sein mussten wie ihre Reiter, die Kraft für eine längere Verfolgung aufbringen würden.
Während sie auf die allmählich deutlicher erkennbare Staubwolke zusprengten und es mehr oder weniger den Pferden überließen, ihren Weg auf dem mittlerweile von Steinen und Geröll übersäten Boden zu finden, fühlte sich Robin fast nicht mehr wie sie selbst, sondern nur noch als Teil dieses gewaltigen, unsichtbaren Heeres, dem nichts auf der Welt standhalten konnte. Das Donnern der Hufe, das Klirren der Waffen, die wehenden weißen Umhänge der Männer, all das riss sie einfach mit. Vielleicht war die Zeit, die sie in Abbés Komturei verbracht hatte, doch nicht so spurlos an ihr vorübergegangen, wie sie bisher gemeint hatte. Sie hatte ihr Leben gedanklich zumindest damals der Aufgabe gewidmet, ein Ritter zu werden, und sie hatte dieses Ziel gegen alle Vernunft, gegen jede Logik und gegen alle noch so gewaltigen und unverbindlich erscheinenden Hindernisse erreicht, und nun lag ihre erste richtige Schlacht vor ihr. Das Massaker auf der Sankt Christophorus während der Hinfahrt in dieses Land unglaublicher Gegensätze, in der bittere Armut und verschwenderischer Luxus, Grausamkeit und Großherzigkeit oft erschreckend nah beieinander lagen, hatte sie niemals als ein solches gewertet - vielleicht, weil es so gar nicht ihren Vorstellungen eines ritterlichen Kampfes entsprochen hatte, und auch den Überfall auf die Sklavenkarawane hatte sie nur als nahezu unbeteiligtes, wehrloses Opfer miterlebt. Nun würde sie dem Gewand, das sie trug, zum ersten Mal wirklich Ehre machen können.
Sie überquerten einen weiteren Hügel, danach schwenkte die ganze Kolonne scharf nach links durch einen gut fünffach mannshohen Spalt zwischen den Felsen, und als die Wände wieder vor ihnen zurückwichen, lag ein lang gestrecktes, schmales Tal vor ihnen, zwischen dessen grün gewachsenen Flanken sich die Häuser eines kleinen Dorfes erhoben. Ganz flüchtig empfand Robin so etwas wie ein sachtes Bedauern, den Krieg nun auch in dieses kleine Dorf zu tragen, dann sah sie genauer hin und erkannte, dass er es bereits erreicht hatte.
Aus etlichen der kleinen, braun verputzten Häusern aus unterschiedlich großen Bruchsteinen schlugen Flammen. Was sie von weitem für eine Staubwolke gehalten hatte, war Rauch, der Rauch eines Feuers, das nur deshalb noch nicht den gesamten Ort verzehrt hatte, weil es in den einfachen Steinbauten und ihrer Einrichtung nicht genug Nahrung fand. Große Rußflocken trieben ihnen entgegen wie schwarzer Schnee aus den Abgründen der Hölle. Es stank nach brennendem Holz und Öl, nach verschmortem Haar und anderen, schlimmeren Dingen, die sie nicht identifizieren wollte (obwohl etwas in ihr es sehr wohl tat), und trotz des Trommelns der Pferdehufe, das von den Wänden des schmalen Tales zurückgeworfen und noch verstärkt zu werden schien, glaubte sie ein fernes Weinen und Wehklagen zu hören, vielleicht das Wimmern eines Kindes.
Ohne langsamer zu werden, sprengte der Trupp zwischen den Häusern dahin. Nirgendwo war ein Zeichen von Leben zu sehen.
Vor der gemauerten Ölpresse, die sich in der Mitte des Dorfes erhob, lag ein erschlagener Esel unter seinem Joch, und nur wenig dahinter entdeckte sie drei tote, große Hunde, die mit Pfeilen niedergestreckt worden waren, als wäre, wer immer dieses Dorf angegriffen und niedergebrannt hatte, in Raserei verfallen, die es ihm unmöglich gemacht hätte, auch nur eine Spur von Leben zurückzulassen.
Doch dann wurden das Wehklagen und die Schreie lauter, und plötzlich senkte Dariusz, der noch immer an der Spitze des kleinen Heeres dahinpreschte, seinen Speer und deutete auf eine einfache Moschee, die das letzte Gebäude des Ortes war und kein Minarett, wohl aber die typische, halbrunde Kuppel auf dem Dach hatte. Jemand hatte ein großes Holzkreuz auf dieser Kuppel errichtet und vermutlich damit das Todesurteil über das Dorf und all seine Bewohner gesprochen. Das Kreuz war noch vorhanden, aber es stand in hellen Flammen, und auch aus dem Inneren des kleinen Gebäudes drang schwarzer, fettiger Rauch, in dem es dann und wann dunkelrot zuckte und drohend aufblitzte. Robins Herz zog sich zusammen, als ihr Verstand ihr sagte, dass nichts und niemand in dieser Kirche überlebt haben konnte, aber die Schreie kamen eindeutig von dort.
Erst als sie fast heran war, entdeckte sie die Frau, die an der Wand der ausgebrannten Moschee lehnte. Ihr Gesicht war blutüberströmt. Schleier und Kopftuch waren heruntergerissen, und aus ihrer Schulter ragte der Schaft eines abgebrochenen Pfeils. Ein in blutgetränkte Tücher gewickeltes, regloses Kind lag in ihren Armen. Als sie die heransprengenden Ritter gewahrte, versuchte sie sich kraftlos aufzurichten, aber es gelang ihr nicht. Zitternd sank sie abermals zurück und stieß einen schrillen, gepeinigten Schrei aus, deutete aber zugleich mit den Armen auf das jenseitige Ende des Tales. Robins Blick folgte der Geste, und für einen winzigen Moment glaubte sie wehende Mäntel, Turbane und bunte Burnusse nach Art der Heidenkrieger zu erkennen, dann waren sie verschwunden, aufgesogen von dem wirbelnden Staub, der ihren Weg markierte.
Sie war nicht die Einzige, die die Männer gesehen hatte. Dariusz’ Lanze stieß mit einer befehlenden Geste nach vorne.
»Tötet sie alle!«, schrie er. »Gott will es!«
Noch einmal schneller werdend, setzten die Ritter den fliehenden Sarazenen nach. Auch Robin beugte sich tiefer über den Hals ihres Pferdes und versuchte, es noch einmal zu größerer Schnelligkeit anzuspornen. Als sie an der brennenden Moschee vorbeikam, brach die junge Frau endgültig zusammen. Das leblose Bündel entglitt ihren Armen und rollte über den Boden, und ihr Kopf schlug schwer gegen den harten Stein des Türrahmens. Der schwarze Rauch, der aus dem Inneren des Gebäudes drang, griff wie eine riesige Hand nach ihrem Gesicht, und Robins Herz zog sich zu einem harten Ball aus Eis zusammen. Sie lenkte ihr Pferd ein winziges Stück zur Seite, wie um möglichst weit an der sterbenden Frau und ihrem toten Kind vorüberzugaloppieren, und ein Gefühl von Kälte und Entschlossenheit machte sich in ihr breit, das sie selbst erschreckte. Wenn schon nicht wegen allem anderen, was hier geschehen war, so würde sie die feigen Mörder allein um ihretwillen büßen lassen.
»Gott will es!«, schrie Dariusz noch einmal, und diesmal stimmten alle anderen Ritter in seinen Schlachtruf ein. Rasch fielen die Häuser des geschändeten Dorfes hinter ihnen zurück, und im gleichen Maße schien der Abstand zwischen den Templern und der braungrauen Staubwolke, die noch immer das Ende des Tales verhüllte, zusammenzuschrumpfen. Wenn die Sarazenen überhaupt vor ihnen flohen - und Robin war plötzlich gar nicht mehr so sicher, dass es tatsächlich so war -, dann nicht besonders schnell.