Dann hatten sie die Staubwolke erreicht und waren hindurch, und Robin hätte um ein Haar aufgeschrien, als sie die Feinde erblickte. Sie begriff sofort, dass sie nicht auf einen Teil von Saladins Heer gestoßen waren, sondern dass Dariusz Recht gehabt hatte: Es war nicht mehr als eine Bande von Plünderern. Allerdings eine Bande von erschreckender Größe.
Die Zahl der Männer, die größtenteils auf kleinen, sonderbar zierlich wirkenden Pferden oder auch Maultieren saßen, musste die ihres gesamten Heeres erreichen, wenn nicht übertreffen. Kaum einer von ihnen trug eine Rüstung, einen Helm oder auch nur einen Schild, doch so weit Robin das erkennen konnte, waren sie ausnahmslos - und ausnahmslos gut! - bewaffnet, und viele von ihnen führten zusätzliche Packpferde und Mulis mit sich, deren Sättel schwer von der Last der erbeuteten Nahrungsmittel, Kleider und anderer Schätze waren. Sie bewegten sich schnell - sogar schneller als sie. Der Staub hatte sich hier, zwischen den Felsen am schmalen Ausgang des Tales, gefangen und so den Eindruck erweckt, dass der Trupp nicht nennenswert von der Stelle käme, aber ihr Abstand war mittlerweile noch weiter angewachsen, und vor ihnen lag nun ein weites, nahezu ebenes Gelände, in dem sie das überlegende Tempo ihrer schlanken Tiere noch besser ausspielen konnten.
Dariusz schien das wohl im gleichen Moment zu begreifen wie sie, denn er ließ zum dritten Mal sein fanatisches Gott will es! erschallen und versuchte zugleich, sein Pferd zu noch größerer Schnelligkeit anzutreiben, doch es gelang ihm nicht, so wenig wie irgendeinem der anderen Ritter. Die Tiere waren an den Grenzen ihrer Kraft angelangt. Robin verfluchte Dariusz dafür, die Reiter auf dem Weg hierher so angetrieben zu haben, dass die Pferde bereits erschöpft waren, noch bevor sie den Feind stellen konnten, aber aller Zorn half ihr in diesem Moment nicht. Der Abstand zwischen den Sarazenen und den Rittern auf ihren großen, schwerfälligen Schlachtrössern wuchs unerbittlich weiter.
Schließlich hob Dariusz seine Lanze und gab damit das Zeichen, die sinnlos gewordene Verfolgung abzubrechen. In diesem Moment geschah etwas Überraschendes, das sich allem Anschein nach nicht nur Robin im ersten Moment nicht erklären konnte: Der Hauptteil der Sarazenen hielt weiter und in scharfem Tempo auf das offene Land zu, aber mindestens anderthalb oder zwei Dutzend von ihnen schwenkten plötzlich nach rechts und links weg und begann in einem großen Bogen wieder auf sie zuzureiten. Dariusz wirkte irritiert. Sie konnte sein Gesicht unter dem Helm nicht erkennen, aber sein Kopf bewegte sich immer hektischer von rechts nach links und wieder zurück, während er versuchte, die beiden etwa gleich großen Reitertrupps gleichzeitig im Auge zu behalten.
Einer nach dem anderen hielten die Templer an. Auch Robin starrte die nur langsam näher kommenden Sarazenen an und fragte sich vergeblich nach dem Sinn dieses Manövers. Der gesamte feindliche Trupp wäre ihnen mit Sicherheit überlegen gewesen, aber zwei Dutzend Sarazenen ohne Rüstung oder gar Schilde gegen zwölf schwer gepanzerte Tempelritter auf ihren riesigen Schlachtrössern, das wäre kein fairer Kampf, sondern der pure Selbstmord.
Doch die Sarazenen hatten auch nicht vor, sich zum Kampf zu stellen. Jedenfalls nicht auf die Art, die Dariusz erwartet zu haben schien. Als sie auf vielleicht fünfzig Schritte heran waren, beschleunigten sie ihre Pferde wieder und sprengten plötzlich auf sie zu, schwenkten dann aber im letzten Moment nach rechts und links, und erst jetzt gewahrte Robin die kurzen, geschwungenen Bögen, die die Männer in den Händen hielten.
Ihre Reaktion wäre um ein Haar zu spät gekommen. Im buchstäblich allerletzten Moment riss Robin den Schild in die Höhe und duckte sich dahinter. Ein harter Schlag traf ihren linken Arm und ließ sie im Sattel wanken, dann schrammte ein zweiter Pfeil an ihrer Brust entlang und verletzte sie nur deshalb nicht, weil er in einem Winkel aufgeprallt war, in dem ihn das engmaschige Eisengeflecht des Kettenhemdes ablenkte.
Der Ritter neben ihr hatte weniger Glück. Zufall oder nicht - auch er wurde von zwei Pfeilen nahezu gleichzeitig getroffen. Wie Robin wehrte auch er das erste Geschoss mit seinem Schild ab, der andere Pfeil aber bohrte sich tief in den Hals seines Pferdes. Der Hengst stieg mit einem schrillen Schmerzensschrei in die Höhe, schlug mit den Vorderhufen aus und brach dann zusammen. Sein Reiter konnte sich im letzten Moment zur Seite werfen, um nicht unter dem stürzenden Pferd begraben zu werden.
Dann waren die Sarazenen vorbei. Robin beobachtete mit einer Mischung aus Entsetzen und widerwilliger Bewunderung, wie sich zwei der Männer trotz des rasenden Galopps im Sattel umdrehten und auf die nahezu wehrlosen Ritter schossen. Sie sah nicht, ob sie trafen oder nicht, doch was sie sah, reichte aus, ihr einen Schauer des blanken Entsetzens über den Rücken laufen zu lassen.
Der Reiter neben ihr war nicht der Einzige, der getroffen worden war. Mindestens vier oder fünf Pferde lagen am Boden und wanden sich vor Qual oder rührten sich gar nicht mehr, und der Reiter, der den Abschluss der kleinen Kolonne gebildet hatte, war nach vorne gesunken und hing reglos über dem Hals seines Pferdes. Der gefiederte Schaft eines Pfeils ragte aus seinem Rücken.
Und es war noch nicht vorbei. Noch während die Templer versuchten, ihren Schrecken zu überwinden und sich zu einer neuen, engeren Schlachtformation aufzustellen, machten die beiden Reitertrupps hinter ihnen kehrt und sprengten erneut und womöglich noch schneller heran.
Diesmal waren die Templer vorbereitet - aber es nutzte ihnen nichts. Keiner der Männer wurde getroffen, denn sie duckten sich geschickt hinter ihre großen Schilde oder wurden von ihren schweren Rüstungen geschützt, aber Robin begriff plötzlich und mit kaltem Entsetzen, dass die Angreifer auch gar nicht auf sie und ihre Ordensbrüder zielten. Vielmehr schossen sie auf ihre Pferde, und ihre Pfeile trafen ihr Ziel mit schon fast unheimlicher Präzision. Als die Reiter das zweite Mal an ihnen vorübergaloppiert waren, waren Robin, Dariusz und ein weiterer Ritter die Einzigen, die noch im Sattel saßen. Alle anderen Pferde waren zusammengebrochen, und mehr als eines hatte seinen Reiter dabei unter sich begraben.
Die Luft war so voller Staub, dass Robin unter dem schweren Helm kaum noch atmen konnte und qualvoll zu husten begann. Sie sah nichts mehr als wirbelnden Staub und ein Chaos aus reiner Bewegung. Irgendetwas traf ihre Seite, hart genug, um ihr auch noch das allerletzte bisschen Luft aus den Lungen zu pressen, aber nicht hart genug, um sie aus dem Sattel zu werfen.
Robin hustete noch einmal und noch qualvoller, riss sich den schweren Helm vom Kopf und rang fast verzweifelt nach Luft. Im ersten Moment schien es nichts zu nutzen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr Herz hämmerte immer schneller. Wäre sie in diesem Moment angegriffen worden, sie wäre vollkommen hilflos gewesen.
Aber niemand griff sie an. Der Reitertrupp hatte in einiger Entfernung angehalten und wieder kehrtgemacht, eine doppelte Reihe lautloser schwarzer Gespenster, die mit dem braungrauen Staub zu verschmelzen schienen, als hätte die Wüste selbst dämonische Gestalt angenommen, um die Eindringlinge zu vernichten, aber die Männer zögerten aus einem unerklärlichen Grund, ein drittes Mal anzugreifen und ihren Gegnern endgültig den Todesstoß zu versetzen. Mit ziemlicher Sicherheit, dachte Robin bitter, war der nächste Angriff ihr Ende. Die Männer würden sich nicht auf einen Nahkampf einlassen, den sie verlieren mussten, sondern sie aus sicherer Entfernung mit ihren Bögen erledigen.
Nur, dass sie es nicht taten.