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6. KAPITEL

Behutsam legte sie den Helm vor sich in den Sattel, blinzelte sich den Schweiß aus den Augen und versuchte, die Gestalten genauer zu erkennen. Das doppelte Dutzend Reiter stand noch immer vollkommen reglos da, vielleicht dreißig, vierzig Schritte entfernt und somit in sicherer Schussweite, aber dennoch weit genug entfernt, um sofort den Rückzug antreten zu können, sollte einer der verbliebenen Reiter vielleicht doch noch einen Angriff wagen. Und einen Moment lang sah es sogar tatsächlich so aus, als wäre Dariusz selbst jetzt noch wahnsinnig genug dazu. Sein Pferd tänzelte so nervös, dass er Mühe hatte, es unter Kontrolle zu halten. Obwohl die Schlachtrösser der Templer ausgezeichnet ausgebildet waren und im Allgemeinen selbst im wildesten Kampfgetümmel noch zuverlässig gehorchten, musste er all seine Kraft aufwenden, um es am Ausbrechen zu hindern, als hätte es gespürt, was den anderen Tieren zugestoßen war.

Dennoch zwang der Tempelritter sein scheuendes Tier, sich ein halbes Dutzend widerwilliger Schritte auf die Reihen der Sarazenen zuzubewegen, bevor er anhielt, die Lanze in den lockeren Sandboden rammte und noch in derselben wütenden Bewegung das Schwert aus dem Gürtel riss.

»Stellt euch zum Kampf, ihr elenden Feiglinge!«, brüllte er.

»Kommt hierher! Nur ihr und ich, wenn ihr den Mut dazu habt!«

Er meinte das wirklich ernst, dachte Robin entsetzt. Und das Schlimmste war: Sie war in diesem Moment nicht einmal sicher, dass Dariusz diesen scheinbar so ungleichen Kampf tatsächlich verlieren würde.

Dariusz schien in diesem Moment kaum noch etwas menschliches an sich zu haben. Hoch aufgerichtet auf dem Rücken seines gewaltigen, weiß verhüllten Schiachtrosses, das Schwert hoch in die Luft gestreckt und den wehenden weißen Mantel mit dem blutroten Tatzenkreuz um die Schultern wehend, erschien er ihr eher wie ein biblischer Racheengel, vor dessen Toben die Welt erzitterte. Und auch wenn die Sarazenen auf der anderen Seite seine Worte vermutlich gar nicht verstanden, so musste sie der Anblick des tobenden Ritters doch ebenso erschrecken. Ein einzelner Pfeil flog heran. Dariusz wischte ihn mit einer fast nachlässigen Bewegung seines Schildarmes aus der Luft und brüllte den Kriegern weiter seine Herausforderung entgegen, doch der Angriff wiederholte sich nicht, ja, keiner der Männer rührte sich auch nur. Selbst ihre Pferde waren zu vollkommener Reglosigkeit erstarrt, als spürten sogar die Tiere den heiligen Zorn der riesigen, rot-weißen Gestalt.

Dann war der fast magische Augenblick vorbei. Dariusz’ Pferd bäumte sich auf und schlug mit den Vorderläufen in die Luft, und im gleichen Moment, in dem seine Hufe den Boden wieder berührten, wandten die Sarazenen ihre Pferde einer nach dem anderen um und sprengten davon.

Endlich fiel auch die Spannung von Robin ab. Dariusz saß noch immer reglos, das Schwert herausfordernd in die Luft erhoben, im Sattel seines nervös hin und her tänzelnden Pferdes, doch sie selbst löste rasch den Schild vom linken Arm, ließ ihn kurzerhand fallen und glitt aus dem Sattel, noch bevor er ganz zu Boden gestürzt war. Jetzt, wo sie ihren Blick von Dariusz und den muslimischen Reitern losgerissen hatte, bot sich ihr ein Bild des Entsetzens. Abgesehen von ihr selbst und Dariusz saß nur noch ein einzelner Tempelritter im Sattel; alle anderen Tiere waren gestürzt und tot oder schwer verwundet, und nur wenige Schritte neben ihr bemühten sich zwei Ritter vergeblich, einen ihrer Brüder unter dem reglosen Leib seines Pferdes hervorzuziehen, das von gleich drei Pfeilen niedergestreckt worden war. Das hellrote Blut färbte den weißen Stoff seiner Schabracke und begann die Umrisse des aufgenähten roten Tatzenkreuzes zu verwischen.

Robin war mit zwei, drei schnellen Schritten dort und griff ebenfalls zu, doch nicht einmal ihre vereinten Kräfte reichten aus. Erst als zwei weitere Männer hinzutraten, gelang es ihnen, den verwundeten Tempelritter unter seinem Pferd herauszuziehen. Der Mann stöhnte vor Schmerz, und etwas schien mit seinem rechten Bein nicht zu stimmen, denn als seine Retter ihn losließen, brach er in die Knie und wäre augenblicklich wieder gestürzt, hätten die Männer nicht rasch zugegriffen.

Und dennoch, dachte Robin schaudernd, hatten sie ein fast unvorstellbares Glück gehabt. Nur ein einziger Ritter war tatsächlich von den Pfeilen der Angreifer getroffen worden, und auch er war noch am Leben und stand sogar - wenn auch schwankend - auf seinen eigenen Füßen. Robin war plötzlich nicht einmal mehr sicher, ob der einzelne Pfeil, der seinen Rücken getroffen hatte, auch tatsächlich auf ihn gezielt gewesen war. Der Angriff hatte tatsächlich nicht ihnen, sondern ihren Pferden gegolten.

Dennoch war seine Wirkung verheerend gewesen. Ohne ihre gewaltigen Schlachtrösser waren die Templer im Grunde nur ein Schatten ihrer selbst. Hätten die Angreifer auch nur noch eine einzige, weitere Pfeilsalve abgeschossen, so hätten sie sie alle töten können, ohne sich auch nur in ihre Nähe zu wagen. Robin verstand nicht wirklich, warum sie diese Gelegenheit ungenutzt hatten verstreichen lassen - bis sie sich umdrehte und wieder in die Richtung sah, aus der sie gekommen waren.

Der schmale Felsspalt, der den Ausgang des Tales bildete, war noch immer hinter einer braungrauen Staubwolke verborgen, aber nicht mehr leer. Ein gutes Dutzend Reiter, angeführt von einem einzelnen Tempelritter, sprengte in scharfem Tempo auf sie zu, und dahinter glaubte Robin die Umrisse zahlreicher, weiterer Männer zu erkennen. In das Rauschen des Blutes in ihren Ohren mischte sich nun herannahender dröhnender Hufschlag. Rother und der Rest des Heeres waren gekommen.

Robin unterdrückte im letzten Moment den Impuls, die Hand zu heben und dem jungen Tempelritter zuzuwinken. Stattdessen drehte sie sich um und ließ ihren Blick noch einmal über die schreckliche Szene schweifen. Nur ein kleines Stück neben ihr kniete einer ihrer Ordensbrüder neben seinem gestürzten Pferd. Er hatte den Helm abgenommen und neben sich in den Sand gelegt, und seine Hand umschloss den Griff seines Schwertes so fest, als versuche er ihn zu zerquetschen. Auf seinem Gesicht war ein Ausdruck von Schmerz zu erkennen, den Robin noch vor kurzem bei keinem dieser Männer für möglich gehalten hätte. Das Pferd des Ritters war noch am Leben, aber es war schwer verwundet. Ein Pfeil hatte sich tief in seinen Hals gebohrt, und das Tier atmete schwer und ließ ein leises, gequältes Schnauben hören. Seine Hinterläufe zuckten, sodass Robin in einem großen Bogen um das Pferd herumgehen musste, um nicht getroffen zu werden.

»Soll ich es tun, Bruder?«, fragte sie, leise und mit einer Kopfbewegung auf das Schwert in der Hand des Ritters.

Im ersten Moment schien es, als hätte der Mann die Worte gar nicht gehört. Dann hob er langsam, so mühevoll, als müsse er gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen, den Kopf und blickte sie voller Trauer und stummer Dankbarkeit an. »Nein«, flüsterte er. »Das ist meine Aufgabe. Aber ich danke dir.«

Robin wandte sich ab, während der Ritter aufstand und das Schwert mit beiden Händen ergriff, um das Tier von seinen Qualen zu erlösen. In ihrem Hals war plötzlich ein bitterer, harter Kloß, der ihr das Atmen schwer machte.

Mittlerweile waren Rother und die anderen Ritter fast heran. Ihr Tempo war so ungestüm, dass Robin halbwegs damit rechnete, dass sie einfach weitergaloppieren und die Verfolgung der flüchtenden Sarazenen aufnehmen würden, doch Dariusz machte eine befehlende Geste mit seinem Schwert, und der ganze Trupp wurde langsamer und hielt schließlich an. Aus der Staubwolke weit hinter ihnen tauchten nun auch die einfachen Soldaten auf, sichtlich erschöpft und am Ende ihrer Kräfte nach dem Gewaltritt, den Rother ihnen aufgezwungen hatte, und viel zu spät. Zum allerersten Mal begriff Robin wirklich, wie wichtig die Hilfstruppen waren, auf die Dariusz und die anderen mit so unverblümter Verachtung hinabsahen, um die Ritter in der Schlacht zu beschützen. Ein scharfes Schwert und eine unüberwindliche Rüstung allein waren noch längst kein Garant für den sicheren Sieg; eine Lektion, die Robin in diesem Moment begriff und deren wahre Tragweite sie in nicht mehr allzu ferner Zukunft und auf ungleich schrecklichere Weise noch kennen lernen sollte.